Novell: Mit Linux zum One-Stop-Shop

21.08.2003
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Des Weiteren suchen Netware-Administratoren der ersten Stunde künftig einen anderen alten Novell-Bekannten vergeb-lich: Das Netzwerkprotokoll SPX/IPX der Netware-Versionen 2.x und 3.x. Das Protokoll, das zwar nicht mit dem Funktionsumfang von TCP/IP aufwartet, dafür aber um ein erhebliches Maß performanter und sicherer als das Internet Protocol ist, gehört für Novell ebenfalls nicht mehr zur langfristigen Strategie. Soll dieses in einem Linux-Verbund weiter genutzt werden, ist der Einsatz von IPX-IP-Gateways erforderlich.

Skepsis ist zudem gegenüber Novells Bekenntnis in Sachen Open Source angebracht. Wie andere IT-Hersteller hat Novell Linux und den Open-Source-Gedanken nicht aus reinem Altruismus entdeckt, sondern will damit Geld verdienen. Deshalb haben die Netzwerker auch nicht die Absicht, Eigenentwicklungen wie etwa "Novell I-Folder" als Open Source zur Verfügung zu stellen. Lediglich Open-Source-Code, den Novell im Falle von Apache, PHP oder MySQL verwendet und ändert oder erweitert, wird das Unternehmen der Community wieder als frei zugänglichen Code bereitstellen. Alles andere wird die Company jedoch nicht offen legen, wobei Novell-Manager Michael Naunheim überzeugt ist, "dass der B2B-Bereich auch künftig bereit ist, für hochwertige Produkte, selbst unter Linux, entsprechende Linzenzgebühren zu bezahlen".

Novells Produktpläne im Detail

Mit der seit Mitte August erhältlichen Netware 6.5 setzt Novell seine bisherigen Lippenbekenntnisse in Sachen Open Source in die Tat um. Die neue Version des Netzwerk-Betriebssystems enthält Techniken wie Apache, MySQL, Perl, PHP und Tomcat. Diese arbeiten nahtlos mit Novells Verzeichnisdienst Novell Directory Service (NDS) sowie den Sicherheits- und Management-Produkten der Netzwerker zusammen. Ferner untermauert das Unternehmen mit diesem Release, dass die Idee von plattformübergreifenden Applikationen auf Novell-Servern keine Vaporware ist. Der integrierte "Extend Application Server" erlaubt nämlich die Entwicklung von J2EE-Applikationen und Web Application Services. Zudem können IT-Manager mit Netware 6.5 Server-Systeme in zentralen Storage Area Networks (SANs) konsolidieren sowie Server-Cluster räumlich getrennt einrichten. Zur Verwaltung von Zweigstellen in der IT-Infrastruktur dient das "Novell Branch Office". Ferner trägt das Unternehmen dem Trend zur Gruppenarbeit und Mobile Computing mit dem "Novell Virtual Office" Rechnung. Anwender können hier ohne Unterstützung der IT-Abteilung virtuelle Büros einrichten, um unternehmensübergreifend und vom Standort unabhängig an einem Projekt zu arbeiten. Unterwegs kann ein Mitarbeiter dann per Web-Browser auf Informationen wie E-Mail, Kalender oder Drucker zugreifen.

Im Selbstverständnis der Company markiert Netware 6.5 einen wichtigen Schritt hin zu den folgenden Netware-Versionen, die den Einsatz aller Netware-Funktionen unter Linux ermöglichen sollen. Einen ersten Eindruck, wohin die Linux-Reise geht, vermitteln die "Novell Nterprise Linux Services", die sich seit Juli im Betatest befinden.

Die erste Version der Linux Services besteht aus Novell-Netzwerkdiensten, die zu einer einheitlichen Unternehmenslösung zusammengefasst wurden. Dazu gehören ein Identitäts-Management über "Novell Edirectory" und "Dir XML", Dateidienste wie "Novell I-Folder" oder die Druckdienste "Novell I-Print". Zum Messaging steuert Novell "Netmail" bei. Als Management-Dienst enthält die Lösung "Novell Zenworks for Servers". Ein virtuelles Büro für Anwender kann über den "Extend Director Standard Edition" genutzt werden. Die Administration der Linux Services erfolgt zentral und Browser-gestützt über den "Novell I-Manager".

Diese Version soll gegen Jahresende erhältlich sein und dann auch von Hardwareherstellern wie Dell, HP und IBM angeboten werden. Entsprechende Abkommen haben die Netzwerker bereits unterzeichnet. Mit der Einführung der Linux-Dienste wird Novell auch sein Schulungsprogramm erweitern und Ende 2003 das "Novell Certified Linux Professional Program" starten .

Allerdings beinhalten die Netzdienste für Linux in der ersten Version nur Teile der Netware-Funktionalität. So sind etwa die File-Dienste (Novell Storage Services = NSS), mit denen Novell groß wurde, noch nicht integriert. Diese sollen mit der zweiten Version der Linux-Services Ende 2004 folgen. Zu diesem Zeitpunkt will Novell nach Aussagen von Manager Michael Naunheim das gesamte File System inklusive Verwaltung, Rechtevergabe, Skalierbarkeit und Verfügbarkeit auf Linux portieren. Die Netzwerker betrachten ihr Dateisystem als einen der Softwarediamanten des Unternehmens, denn die NSS seien im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten in der Lage, riesige Datenmengen in kürzester Zeit zu mounten. Eine Funktion, die heute so unter Linux noch nicht möglich sei. Ähnlich wie bei Unix werden die NSS unter Linux als Dateisystem in einer Partition abgelegt.

Mit den NSS, I-Folder und dem hauseigenen Directory unter Linux sieht sich Novell gut gewappnet für den Angriff von Datenbankherstellern wie Oracle, die versuchen, ihre Collaboration-Plattformen als Dateisysteme zu etablieren. Nach Novells Lesart sind diese datenbankgetriebenen Ansätze zu sehr auf den Benutzer ausgerichtet und deshalb nicht in der Lage, unterschiedlichste Dateien, wie sie etwa in heterogenen Umgebungen von Messgeräten und Industrie-Produktionsanlagen anfallen, schnell und zuverlässig zu speichern. Zudem glaubt man bei Novell, dass File-Systeme auf Datenbankbasis mittelfristig nicht die Performance und Zuverlässigkeit aufweisen, um Daten schnell und verteilt abzulegen.

Mitte 2005 sollen dann die Produktlinien Netware und Nterprise Linux Services in der Netware Version 7.0 zu einem Produkt verschmelzen.