Prozessautomatisierung enttäuscht

Lohnt sich Prozessautomatisierung?

09.11.2011
Von   
Dirk Stähler befasst sich seit vielen Jahren mit der innovativen Gestaltung von Organisationen, Prozessen und IT-Systemen.

3. Versprechen: Höhere Plastizität

Foto: Fotolia/Norbert Zeller

Gerne werden Lösungen zur Automatisierung von Geschäftsprozessen mit dem Argument einer hohen Plastizität verkauft. Häufig wird diese fälschlich als Flexibilität bezeichnet. Demnach sind automatisierte Geschäftsprozesse einfach zu verändern. Das soll sowohl interne als auch externe Prozesse betreffen, also Abläufe, in die Partner eingebunden sind. Auf dieses Argument stößt man durchgängig von der abstrakten Beschreibung der Geschäftsprozesse bis zur informationstechnischen Implementierung.

Kunden machen sich in der Folge zu wenige Gedanken über die Pflege und Anpassung einer implementierten Lösung mit all den möglicherweise auftretenden Unsicherheiten. Sie kalkulieren lediglich einen festen Satz für zukünftige Anpassungsaufwendungen. Dieser Faktor ist aber kaum auszurechnen, da man nicht weiß, welche Anpassungen am Ende erforderlich sein werden. Bei vielen automatisierten Geschäftsprozessen ist die angestrebte Lösung nur scheinbar flexibel. Die realen Kosten in Folge von Veränderungen zeigen sich erst im Lauf der Zeit.

Eine stabile kaufmännische Kalkulation ist also kaum möglich. Dieser Punkt wird umso bedeutender, je komplexer die zu implementierende Lösung ist. Die Kosten für einen potenziellen Wechsel zu einem anderen Technologieanbieter ist nahezu unmöglich. Je weiter die Integration der automatisierten Geschäftsprozesse reicht, desto stärker wird sich ihre Plastizität einschränken.

Schlussfolgerung 3: Erwarten Sie nicht, dass die Automatisierung dazu führt, dass Prozesse einfacher und schneller an grundsätzlich veränderte Gegebenheiten anpassbar sind. Haben Sie zusätzlich viele Prozesse mit vormaligen Anteilen menschlicher Interaktion automatisiert, wird eher das Gegenteil der Fall sein. Je stärker und tiefer Sie Ihre Geschäftsprozesse automatisieren und damit dem direkten Zugriff einer individuellen menschlichen Interaktion entziehen, desto aufwändiger wird jede Anpassung. Das plastischste Werkzeug, das wir zur flexiblen Gestaltung von Geschäftsprozessen haben ist das Gehirn unserer Mitarbeiter.

Fazit

Die Erfahrungen meiner Kunden mit automatisierten Prozessen lassen mich in einigen Fällen an deren Sinn zweifeln. Insbesondere bei Prozessen mit direktem Kundenkontakt stellt sich die Frage, ob nicht einige Unternehmen über das Ziel hinausgeschossen sind. Wenn ein automatisierter Prozess nicht mehr flexibel auf individuelle Situationen reagieren kann, Kostenvorteile durch undurchsichtige Abläufe bei Problemen verloren gehen, komplexe Verknüpfungen im Geschäftsmodell erschwert werden und notwendige Anpassungen aufgrund steigender Änderungskosten nicht erfolgen, gefährdet der Anbieter seine Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb sollte die Automatisierung zunächst immer nur dort erfolgen, wo sie zu 100 Prozent ohne menschliche Interaktion gekapselt werden kann oder (fast) alle Ereignisse im Prozess vorhersehbar sind.

Geschäftsprozesse mit einem hohen Anteil individueller menschlicher Interaktionen sind im Regelfall zu komplex, um flexibel, kostengünstig und plastisch mit den heute verfügbaren IT-Lösungen bearbeitet zu werden. Das gilt besonders bei der Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse und Fehlerfälle. Meine Prognose ist, dass wir in den kommenden Jahren bei manchen kundennahen Prozessen eine Rückkehr zur menschlichen Bearbeitung sehen werden. (hv)