Unix sinkt in der Gunst der Anwender

Linux und Windows im Aufwind

01.06.2004
Von 
Bernd Reder ist freier Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Technologien, Netzwerke und IT in München.

Die IT-Abteilung der WHU übertrug die Daten von den Solaris- auf die Windows-Maschinen, inklusive der Nutzer- und Dateistrukturen. „Es ist uns gelungen, weitgehend alle Funktionen auf die neue Umgebung abzubilden“, sagt Retzmann. Teilweise war dazu allerdings Handarbeit nötig, vor allem bei der Übernahme der E-Mail-Konten aus der Unix- in die Microsoft-Welt. Das Synchronisieren der Passwörter erfolgte mithilfe von „Microsoft Service für Unix“. Das dauerte rund drei Wochen, lief aber reibungslos.

Flexibles Linux

Auf Linux setzt die WHU, um den Studenten und Dozenten den Fernzugriff (Remote Access) auf Dateien im Intranet und auf ihre E-Mails zu ermöglichen. Die Server sind für die Verschlüsselung der Daten zuständig und prüfen E-Mails auf Viren. „Ein Vorteil von Linux ist seine Flexibilität“, betont Retzmann. „Das zeigte sich, als wir Schnittstellen zwischen den neuen Systemen programmieren mussten. Linux erwies sich hier im Vergleich zu Windows als deutlich offener.“ Ein weiterer Vorteil von Linux sei der große Software-Pool, der Anwendern zur Verfügung steht. Hinzu kommt laut Retzmann, dass die Open-Source-Gemeinde schneller als Microsoft oder die großen Unix-Anbieter Lösungen für Probleme zur Verfügung stellt.

Hohe Verfügbarkeit bei niedrigeren Kosten - in diesen Worten lassen sich die Erfahrungen zusammenfassen, die Phoenix Contact mit Linux gemacht hat. Bei Phoenix greifen die etwa 150 Anwender auf ein ERP-System von SAP und Oracle-Datenbanken zu. Statt Risc-Maschinen unter HPUX kommen nun Mehrprozessor- „Proliant“-Server mit Suse Linux Enterprise Server zum Einsatz.

Für die Migration sprachen zum einen die Kosten: „Dank des extremen Preisunterschieds amortisierte sich die Investition sofort“, erzählt Dietmar Stein, Systemadministrator bei dem Automatisierungsspezialisten. Phoenix Contact setzt Linux zudem auf den File-, Print- und Web-Servern ein. Ein weiteres Argument, das für die Open-Source-Software sprach, war deren Flexibilität: „Selbst unser Apple-Talk-Filesharing läuft unter dem Enterprise Server anstandslos“, betont Stein.

Dass Unix nicht zwangsläufig für ein mittelständisches Unternehmen „out“ ist, zeigt das Beispiel der bereits erwähnten Firma Spectro Instruments. „Unser ERPSystem läuft auf einem Risc-System RP 5470 von Hewlett-Packard unter HP-UX“, erläutert DV-Leiter Klaus Hering, „und es ist superstabil.“ Deshalb sieht Hering auch keinen Anlass, den Server gegen ein Windows- oder Linux-System auszutauschen.

Bei dem Messgerätehersteller sind insgesamt 20 Server und 250 Clients im Einsatz. Erfahrungen in Sachen Migration, und zwar wenig erfreuliche, hat Spectro auf einem anderen Gebiet gemacht: „Endeder neunziger Jahre wollten wir unsere heterogene IT-Landschaft konsolidieren“, erinnert sich Hering. Damals waren File-Server unter Novell Netware 3.10/3.11 im Einsatz, außerdem Unix-Systeme für das Enterprise Resource Planning und Telekommunikations- Anwendungen. Hinzu kam eine NT-4.0-Domäne mit Exchange.

Die Planung sah vor, die Dateiund Druckdienste auf Linux zu verlagern und ein reines IP-Netz (IP = Internet Protocol) aufzubauen. Die Migration lief denn auch reibungslos. Mit der Zeit erwies sich jedoch die Administration der Linux-Systeme unter Red Hat als höchst problematisch: „Wir hatten mit einer doppelten Benutzerführung und Schwierigkeiten bei der Vergabe von Rechten zu kämpfen“, erinnert sich Hering. „Das System-Management unter Linux ähnelt zwar stark dem von Windows-Rechnern“, so Hering, „aber ohne Unix-Tools kommt man nicht weit.“

Dann trat der Super-GAU ein: Zuerst verließ der einzige Linux- Experte das Unternehmen, dann fiel das Mail-Relay aus, das unter Linux lief. Spectro sah sich daraufhin gezwungen, die Linux-Distribution von Red Hat gegen Suse Linux 6.2 auszutauschen. „Und dann zeigte sich, dass Linux nicht gleich Linux ist“, kritisiert der IT-Leiter. So ließen sich Backups, die unter Red Hat erstellt worden waren, unter Suse nicht ohne weiteres einspielen. Selbst externe Linux-Experten konnten nicht weiterhelfen, weil sie entweder nur auf Red Hat oder nur auf Suse spezialisiert waren.

Keine Angst vor Migration

Spectro zog daraufhin die Notbremse: Die Datei- und Druckservices laufen nun auf Windows- 2000-Servern. Die Umstellung auf Windows Server 2003 ist derzeit im Gang. Das Mail-Relay betreut ein Dienstleister. „Nach unseren Erfahrungen ist Support für Windows- Systeme leichter und günstiger zu bekommen“, resümiert Hering.

Die Summe der Anwendererfahrungen zeigt, dass mittelständische Unternehmen durchaus darüber nachdenken sollten, von Unix auf andere Betriebssysteme umzusteigen.Was an die Stelle von Unix treten sollte, hängt vom Einzelfall ab. Eine „Goldene Regel“ gibt es nicht. Aber viele gute Argumente pro und contra jede Lösung (siehe Kasten). (uk)