Angebotsvielfalt im IT-Sourcing-Markt

Knackpunkt Service-Integration

14.02.2013
Von Martin  Winter
Die Angebotsvielfalt im IT-Sourcing-Markt birgt die Gefahr, dass Bedürfnisse der Kunden aus dem Blickfeld geraten. Die vordringliche Aufgabe besteht daher in der Service-Integration.
Foto: Itestro, Fotolia.com

Bei den heute üblichen IT-Auslagerungsverträgen spricht man häufig auch vom Outsourcing der zweiten beziehungsweise dritten Generation. Aktuelle Abkommen sind demnach Sourcing-Vorhaben, die zum zweiten oder dritten Mal erneuert wurden, wobei die Anwender ihre Abkommen nicht ausschließlich verlängern, sondern zum Teil auch erweitern und restrukturieren. Zudem kommt es im Rahmen der neuen Outsourcing-Generation auch zu Neuabschlüssen sowie zum Anbieterwechsel. Die Frage, ob sich in diesem Zusammenhang auch das Insourcing signifikant ausweiten wird, lässt sich allerdings noch nicht abschließend beantworten. Klar erkennbar zeichnen sich im Zusammenhang mit verringerten Vertragslaufzeit und -umfängen jedoch folgende Trends ab:

Services werden flexibler

Die Preismodelle heutiger Outsourcing-Verträge beinhalten häufig verbrauchsorientierte Abrechnungsmodelle, die es dem Kunden ermöglichen, die vom Provider abgenommenen Mengen seinem variablen Kapazitätsbedarf anzupassen. Kunden können dadurch zunehmend flexibel auf Änderungen auf der Nachfrageseite reagieren. In der Praxis bedeutet das, den Mengenbezug von IT-Services je nach Geschäftsverlauf anzupassen. Auch die kurzen Vertragslaufzeiten schaffen mehr Flexibilität, weil es Kunden leichter fällt, zusätzliche Servicearten dem eingekauften Portfolio hinzuzufügen beziehungsweise sie wieder aus dem Serviceskatalog zu entfernen.

Diese gewonnene Flexibilität schafft neue Freiräume, an den Innovationen der Anbieter teilzuhaben. Weil die Verträge nicht mehr so starr wie in der Vergangenheit sind, laufen die Anwender weniger schnell Gefahr, über einen längeren Zeitraum auf das falsche Pferd zu setzen. Treiber für die wachsende Flexibilisierung ist sicher auch das Cloud Computing, das vor allem mit dem schnellen Zu- und Wegschalten von IT-Services lockt.

Keine Standards in Sicht

Während sich die Flexibilisierung etablieren konnte, hat sich in der Service-Standardisierung wenig getan. Sie ist aber nicht minder wichtig, weil sie den Umstellungsaufwand im Falle des Provider-Wechsel verringert. In einer aus Kundensicht idealen Cloud-Welt wäre ein Anbieterwechsel jederzeit möglich, weil die Services den gültigen Standards entsprächen. Einen technischen Lock-in beim einmal gewählten Dienstleister gäbe es nicht.

Die Marktmacht von Anbietern wie Amazon, Microsoft und IBM steht einer Standardisierung derzeit noch entgegen. Trotzdem arbeiten verschiedene Organisationen weltweit an offenen Standards, dazu zählen etwa das National Institute of Standards and Technology (NIST) in den USA und das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) in Europa. Es wird sich zeigen, inwieweit es zum Beispiel neue kleinere Anbieter schaffen, sich mit Hilfe von offenen Standards zu etablieren, oder ob es einem der etablierten Anbieter gelingt, Defacto-Standards zu schaffen.

Die Quellenvielfalt steigt

Trotz der noch wenig entwickelten Standardisierung von IT-Services setzt sich das Multisourcing durch, in dessen Rahmen die Anwender mehrere Verträge geringeren Umfangs abschließen. Dafür gibt es zwei vorrangige Gründe:

  • In einem sehr wettbewerbsintensiven Markt konnten sich mittlerweile spezialisierte Anbieter etablieren.

  • Die Anwender haben erkannt, dass die Vergabe von vielen Services an einen einzigen Anbieter eine unerwünschte Abhängigkeit schaffen kann.

Der Sourcing-Mix in den Unternehmen umfasst in den meisten Fällen natürlich auch selbst erbrachte Services, die zum Beispiel aufgrund ihrer Geschäftskritikalität entweder nie extern vergeben oder aber mittels Insourcing wieder zurückgeholt wurden, weil man sie inzwischen wieder als Kernkompetenz bewertet.

Wachsender Kontrollbedarf

Im laufenden Betrieb müssen sich die Kunden von IT-Services nicht nur um die Leistungen und Abrechnungen der einzelnen Provider kümmern, sondern auch dafür sorgen, dass die Nutzer die notwendige Servicequalität erhalten. Dies ist umso schwieriger, je fragmentierter die Servicekette in einer Multi-Provider-Umgebung ist.

Das zeigt sich etwa in der Lokalisierung von Störungen, deren Ursache ohnehin oft nur schwer genug zu finden und somit zu beheben ist. Sind nun mehrere Provider involviert, kann es zu gegenseitiger Schuldzuweisung kommen, ohne dass das Problem behoben wird. Je preissensitiver die Leistungen und geringer die abgenommen Mengen sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit eines solches Verhaltens.

Gleiches gilt für die Datensicherheit und den Datenschutz: Hat im Outsourcing der ersten Generation oft ein einziger Provider sämtliche erforderlichen Audits verantwortet, so müssen heute viele Anbieter in den Prozess eingebunden werden. Damit steigt das Risiko von unerkannten Sicherheitslücken und Versäumnissen.

Kernaufgabe Service-Integration

Die Service-Integration in den Verträgen der aktuellen Generation setzt also insgesamt eine reifere Governance beim Einkauf und beim Management von IT-Services voraus, vor allem was das zentralisierte Vertrags-Management und das Zusammenspiel von IT-Delivery-Management, Einkauf und Fachbereichen angeht. Eine gezielte Weiterentwicklung der Sourcing-Strategie sollte in jedem Unternehmen darauf abzielen, die entsprechenden Initiativen so auszurichten, dass die eigentlichen Geschäftsziele optimal unterstützt werden. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang wird künftig also weniger lauten, ob Outsourcing oder Insourcing geeigneter wäre, sondern inwieweit Unternehmen das dynamische Kontinuum zwischen diesen Sourcing-Formen und deren Integration zum eigenen Vorteil beherrschen lernen.

Von der Transaktion zur Transition

Der Begriff Transaktion beschreibt üblicherweise den Weg von der Erstellung der Ausschreibung bis zum Vertragsabschluss. Da nun aber auch Aufgaben wie das Insourcing und die Restrukturierung bestehender Verträge in den Fokus rücken, versteht man heute unter einer Sourcing-Transaktion die Neukonfiguration des Sourcing-Mix basierend auf einer angepassten Sourcing-Strategie.

Transaktionsbeschleunigung

Sowohl bei den Kunden als auch den Providern ist der Wunsch nach zügigen und schlanken Transaktionen feststellbar. Das ist verschiedenen Einflussfaktoren geschuldet: Zum einen sind die Umfänge einzelner Verträge überschaubarer geworden, zum anderen wollen beide Parteien schnell und flexibel auf sich ständig ändernde Marktanforderungen reagieren. Hilfreich dabei ist sicher auch, dass Anwender und Anbieter inzwischen mehr Erfahrungen mit Transaktionsprojekten sammeln konnten.

Die offensichtlichen Vorteile der neuen Outsourcing-Modelle, also der flexible, schnelle und kostengünstige Servicebezug aus jeweils passenden Quellen, haben für die Anwender allerdings einen organisatorischen Preis. Ihn zahlen die Kunden vor allem damit, dass das Beherrschen der Service-Integration seinen ganz eigenen Herausforderungen folgt.

Komplexe Transaktionsgeflechte

Sourcing-Transaktionen fügen sich zunehmend in ein Geflecht von Verträgen mit spezialisierten IT-Services, unterschiedlichen Vertragslaufzeiten und zahlreichen Anbietern bei noch nicht ausgereiften Standards ein. Hinzu kommt ein wachsender Einfluss der Fachabteilungen auf das IT-Delivery-Management und den IT-Einkauf.

Kunden dieser Services müssen sich also bei kürzeren Beschaffungszyklen mit immer komplexeren Make-or-buy-Entscheidungen befassen. Beispielsweise erfordert eine übergreifende Kostenkontrolle weit mehr, als nur einzelne Servicepreise zu bewerten. Sie muss auch verschiedene Umsetzungsalternativen im Rahmen eines übergreifenden SourcingDesigns analysieren können.

Anspruchsvollere Transitionen

Auf jede Outsourcing-Transaktion folgt die Transition des Betriebs. Diese Aufgabe war schon immer schwierig, auch in früheren Zeiten, als nur ein Vertrag mit meistens nur einem Provider abgeschlossen wurde. Manches Abkommen rutschte schon von Anfang an in einen permanenten Krisenmodus.

Die heutigen Verträge sind im Umfang zwar meistens kleiner, aber die Einführung von neu abgeschlossenen Sourcing-Komponenten erfordert in der Regel ein sehr sorgfältiges, Provider-übergreifendes Change-Management. Neu einzuführende Leistungen müssen in bestehende Serviceketten integriert werden, ohne sie zu destabilisieren.

Auch im Rahmen einer Transition von Out- zu Insourcing muss die Frage der Service-Integration gelöst werden. Sollen etwa zuvor extern betriebene IT-Services künftig von verschiedenen internen IT-Abteilungen erbracht werden, kann dies die Komplexität erhöhen. Auch den Aufwand, inzwischen verlorenes Know-how wieder aufzubauen, sollte man nicht unterschätzen.

»

Der Autor

Martin Winter ist Principal Consultant bei der Information Services Group GmbH (ISG) in Frankfurt am Main.