Hirnforscher Hüther im Interview

Keine Leistung ohne Vertrauen

02.10.2010
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, wie Menschen dazulernen und welches Klima Mitarbeiter brauchen, damit sie Höchstleistungen erzielen.

CW: Bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter legen Unternehmen großen Wert auf Schlüsselqualifikationen. Die Mitarbeiter sollen vorausschauend denken und handeln, komplexe Probleme lösen können sowie motiviert und flexibel sein. Kann man sich diese Qualifikationen aneignen?

Gerald Hüther: Die Fähigkeit, sich erfolgreich Herausforderungen zu stellen, ist keineswegs angeboren oder gar zufällig. Sie wird durch Lernprozesse gewonnen, die auf Erfahrung beruhen. Unabdingbar für die Ausbildung dieser so genannten Metakompetenzen ist der Stirnlappen, der das höchste Integrationszentrum des Großhirns darstellt. Von hier aus werden in anderen Hirnregionen gespeicherte Gedächtnisinhalte abgerufen und zu einem Gesamtbild zusammengefügt, um die erhaltenen Informationen für Entscheidungsprozesse und zur Modifikation bestimmter Verhaltensweisen zu nutzen. Je nach Erfahrung und individueller Ausprägung dieser Kontrollfunktionen können Menschen ihr Verhalten in einer Situation, die Initiative erfordert, unterschiedlich gut steuern. Da sich der Stirnlappen sehr langsam ausbildet, ist er in seiner Entwicklung auch sehr durch das soziale Umfeld, in das man schon als Kind hineinwächst, beeinflussbar.

CW: Können auch Erwachsene noch dazulernen?

Hirnforscher Gerald Hüther appelliert an Führungskräfte, Mitarbeitern mehr Vertrauen und Verantwortung zu geben.
Hirnforscher Gerald Hüther appelliert an Führungskräfte, Mitarbeitern mehr Vertrauen und Verantwortung zu geben.

HÜTHER: Das menschliche Gehirn bleibt bis ins hohe Alter plastisch, so dass wir nie aufhören, auf diese Weise dazuzulernen. War unsere Vorgehensweise beim Lösen des Problems erfolgreich, können wir auf diese Erfahrung zurückgreifen, wenn uns ein ähnliches Problem begegnet. War sie es nicht, passen wir unser Verhalten neu an. Mit einem größer werdenden Repertoire an etablierten Handlungsoptionen wächst somit auch die Flexibilität gegenüber wechselnden Problemen.

Gerald Hüther...

...ist Professor für Neurobiologe an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen und leitet das Institut für Public Health der Universität Mannheim/Heidelberg. Als Grundlagenforscher befasst er sich unter anderem mit dem Einfluss psychosozialer Faktoren und psychopharmakologischer Behandlungen auf die Hirnentwicklung, den Auswirkungen von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Bindungen.

Das Verharren im wissenschaftlichen Elfenbeinturm ist ihm fremd. In seinen Vorträgen erklärt er seinen Zuhörern - die Bandbreite reicht von Kreuzberger Hauptschülern bis zu ausgewählten IT-Managern - plastisch, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Er hat auch zahlreiche Sachbücher verfasst, angefangen von einer "Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn" über " Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn" bis hin zu dem Ratgeber "Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden."