"I fell in love with IBM"

19.02.2002
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Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.

Massenentlassungen

Der Turnaround hatte seinen Preis, vor allem für langjährige Mitarbeiter, die mit der Vorstellung einer Beschäftigungsgarantie auf Lebenszeit ihren Dienst verrichteten. 1993 standen noch 256 207 Mitarbeiter auf den Gehaltslisten, ein Jahr später waren es 219 839. In den 80er Jahren hatten zeitweise mehr als 400000 Menschen für den Konzern aus Armonk, New York, gearbeitet.

Der viel zitierte kulturelle Wandel Big Blues lässt sich treffend mit einem Satz von Timothy Brown beschreiben. IBM habe sich davon verabschiedet, "MIPS zu verkaufen", kommentierte der Forrester-Research-Analyst 1997. In der Vergangenheit dienten fast alle Softwareentwicklungen des IT-Riesen nur dem Ziel, die eigenen Rechnermodelle - allen voran die margenträchtigen Großrechner - zu verkaufen. Inzwischen habe sich der Konzern zu einer auf das "kundenorientierte Lösungsgeschäft" ausgerichteten Company gewandelt.

Damit einher ging die Erkenntnis, dass IBM trotz der immensen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten nicht alle Produkte selbst herstellen konnte. Umgekehrt gewährte Gerstner den Bereichen, die Hardwarekomponenten fertigten, mehr Freiheiten. War es früher undenkbar, Konkurrenten wie EMC etwa mit Festplatten zu beliefern, änderte der Unternehmenslenker diese Politik grundlegend. Das OEM-Geschäft wuchs zu einer milliardenschweren Einnahmequelle heran.

Louis Gerstner

Louis Gerstner wurde am 1. März 1942 geboren. Als zweiter der vier Söhne von Louis V. Gerstner wuchs er in Mineola, New York, auf. Nach dem Abschluss an der katholischen Highschool Chaminade studierte er Maschinenbau am Dartmouth College. 1963 schrieb er sich an der Harvard Business School in Cambridge ein. Ausgestattet mit einem MBA-Abschluss, begann er seine berufliche Laufbahn 1965 bei der Unternehmensberatung McKinsey in New York City, wo er vor seinem Ausscheiden 1978 einen Direktorenposten innehatte. Es folgte eine elfjährige Karriere bei American Express, bevor er als CEO zum Nahrungsmittel- und Tabakkonzern RJR Nabisco wechselte. IBM bestellte ihn zum 1. April 1993 zum CEO und Chairman. Seit 1968 ist Gerstner verheiratet mit Elizabeth Robins Link, mit der er zwei Kinder hat. Am 1. März 2002, seinem 60. Geburtstag, gibt er sein Amt an Sam Palmisano ab.

Betrachtet man nur die Eckdaten der Unternehmensgeschichte, legt Gerstner eine makellose Bilanz vor. Bei genauerer Betrachtung aber relativiert sich das Bild vom blitzsauberen Turnaround. Seinem Nachfolger Palmisano (50) hinterlässt der 59-Jährige ein Portfolio mit Stärken und Schwächen. Unbestreitbar sind die Erfolge der Dienstleistungssparte IBM Global Services (IGS). "Services sind IBMs stärkste Waffe", sagt etwa Luis Praxmarer, Europa-Chef der Meta Group. Über diese Stärke verkaufe der Anbieter sowohl Hardware als auch Software.

Services werden zur tragenden Säule

Gemessen an Größe und Marktanteil ist IGS weltweit die Nummer eins in den meisten Ländern. Lag der Umsatz mit Dienstleistungen 1993 noch bei 7,69 Milliarden - damals bescheidene 12,7 Prozent vom Gesamtumsatz -, erwirtschaftete die Sparte im vergangenen Jahr Einnahmen in Höhe von 35 Milliarden Dollar. Der Serviceanteil am Konzernumsatz stieg auf gut 40 Prozent.

Etwas schwieriger gestaltet sich die Bewertung der Softwaresparte. Im Januar 1995 hatte Gerstner den Aufbau einer schlagkräftigeren Software-Division zur Chefsache erklärt. Um den früheren Verantwortlichen für IBM Kanada, John Thompson, bildete er ein hochkarätiges Management-Team.

Auch in Thompsons Verantwortungsbereich lautete die Devise zunächst Konsolidieren. In allein vier Betriebssystem-Welten (OS/2, OS/400, AIX und OS/390) hatten sich Überschneidungen und Verkrustungen gebildet, vom Wildwuchs in den Bereichen SystemManagement und Middleware ganz zu schweigen. Mit OS/2 erlebte Gerstner denn auch eine der schwärzesten Stunden. Im Zuge der auseinander brechenden Partnerschaft mit Microsoft setzte er viel zu lange auf die vermeintlich strategische Position von OS/2 als Konkurrenzprodukt zu Windows.

IBM erfindet das E-Business

Ebenfalls 1995 kaufte IBM für 3,5 Milliarden Dollar Lotus Development. Dem als IT-Dinosaurier verschrienen Konzern gelang es damit, seine Stärken in Bereichen wie Transaction Processing und Datenbank-Management mit Web-Technologien, Groupware-Applikationen und Java-basierenden Komponenten zu kombinieren. "Der brillante Part von Gerstners Strategie ist es, mit der durchgängigen Unterstützung von Web-Technologien den alten Legacy-Systemen bei seiner Kundschaft neues Leben einzuhauchen", schrieb das US-amerikanische "Software Magazin" 1997. IBMs Marketing-Experten begleiteten diese Strategie mit einer aufwändigen Werbekampagne; das Thema "E-Business", konnte Big Blue lange Zeit für sich beanspruchen.

Alleine hätte Lotus gegen Microsoft keine Chance gehabt, resümiert Andreas Zilch, Analyst bei der Kasseler Techconsult. IBM andererseits habe von der Technologie profitiert und sich ein innovatives Image als Softwareanbieter aufgebaut. Zilch: "Diese Wandlung ist für mich die größte Überraschung."

Weitere Lücken im Portfolio schlossen die Armonker mit der Übernahme des System-Management-Spezialisten Tivoli Systems 1996. Für die Akquisition von Informix im Sommer 2001 erntete Gerstner dagegen weit weniger Beifall. Neue Technologie, die mit DB2 nicht schon im eigenen Haus verfügbar gewesen wäre, kaufte sich der Branchenprimus damit nicht, immerhin aber etliche Datenbankspezialisten und eine Basis von rund 1000 Informix-Kunden.