7 gute Gründe

Digitale Verwaltung braucht Open-Source

18.07.2023
Von   
Tillmann Braun ist freier Journalist und Kommunikationsberater für non-profit Organisationen und Unternehmen. Sein Fachgebiet sind innovative IT-Lösungen für die Vernetzung von Menschen und Maschinen. Zu seinen Spezialthemen gehören intelligente (Heim-)Netzwerke, Machine-to-Machine-Kommunikation, Mobile Payment, IT-Strategien und vielfältig einsetzbare Kommunikationssysteme.
Die Digitalisierung in den Verwaltungen von Städten und Gemeinden ist in vollem Gange. Proprietäre Software mag dabei auf den ersten Blick bequem und vertraut erscheinen, birgt aber Risiken und Nachteile.
Um sich nicht gleich in die nächste Technologie-Abhängigkeit zu stürzen, sollten Ämter bei der Digitalisierung Open-Source-Lösungen in Betracht ziehen.
Um sich nicht gleich in die nächste Technologie-Abhängigkeit zu stürzen, sollten Ämter bei der Digitalisierung Open-Source-Lösungen in Betracht ziehen.
Foto: Heiko Kueverling - shutterstock.com

Software ist der Schlüssel der Digitalisierung und zählt zur kritischen Infrastruktur. Ohne die Kontrolle über alle Softwarekomponenten wächst die Gefahr, zum Spielball politischer Interessen oder zum Ziel von Hackern zu werden. Negativbeispiele gibt es zur Genüge. Höchste Zeit also, einige der Gründe unter die Lupe zu nehmen, die für den Einsatz von Open-Source-Lösungen in der öffentlichen Verwaltung sprechen.

Verwaltungsdigitalisierung: 7 Gründe für Open Source

1. Keine Kontrolle bei Datenschutz und Privatsphäre

Bei proprietärer Software ist der Quellcode nicht öffentlich, sondern wird von einem Unternehmen wie Microsoft kontrolliert. Das bedeutet letztlich, dass die Nutzerinnen und Nutzer nicht wissen können, was mit ihren Daten passiert. Bei Open-Source-Software ist der Quellcode hingegen offen und kann von vielen unabhängigen Experten eingesehen und überprüft werden.

Ohne auf eine Reaktion und Lösung des jeweiligen Anbieters warten zu müssen, können Sicherheitslücken schneller erkannt und behoben werden. Außerdem gibt es keine versteckten Hintertüren, die von Geheimdiensten oder anderen Regierungsbehörden genutzt werden können. Was Datenschutz und Privatsphäre betrifft, ist Open Source also deutlich überlegen.

2. Individuelle Bedürfnisse

Auf die Preise der Lizenzen für proprietäre Software haben Anwender keinen Einfluss, selbst große Städte und Gemeinden nicht. Nutzungsrechte für Open-Source-Software hingegen sind in der Regel günstiger und können vor allem an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer angepasst und für individuelle Lösungen wiederverwendet werden.

Auch bei bundesweit ähnlichen Fachanwendungen, beispielsweise bei der Zulassung eines Kfz oder bei einem Antrag auf einen Personalausweis, können öffentliche Verwaltungen den Aufwand minimieren und mit Hilfe von wiederverwendbaren Softwarelösungen ihr Budget besser nutzen.

3. Digitaler Fortschritt made in Europe

Studien belegen: Open-Source-Software fördert digitalen Fortschritt und Innovation, denn durch die quelloffene Entwicklung können neue Ideen und Technologien schneller und einfacher entwickelt werden. Aber auch Europa als Standort für Software wird gestärkt.

Aktuell dominieren US-Unternehmen die globale Softwareentwicklung, allen voran das Silicon Valley. Bei quelloffener (Open-Source) Software hat jedoch Europa die Nase vorn. Die Kontrolle über den digitalen Fortschritt gewinnt nicht zuletzt über die Meta-Themen künstliche Intelligenz und Machine Learning an Bedeutung.

4. Aus praxisnahen Beispielen lernen

Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von Open-Source-Software in der öffentlichen Verwaltung ist Barcelona. Die für ihre Technologie-Offenheit bekannte Metropole Kataloniens hat bereits 2017 beschlossen, auf Open-Source-Lösungen umzusteigen, und gilt seither als Vorbild, wie sich die Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern besser und günstiger erfüllen lassen. Auch kleinere Gemeinden wie Schwäbisch Hall oder Städte wie München haben enorme Erfolge bei der digitalen Unabhängigkeit erzielt.

5. Der Nutzer im Mittelpunkt

Auch die öffentliche Verwaltung soll für ihre "Kunden" (die Bürger) sowie für sich und ihre Mitarbeiter ganzheitliche Qualitätsprinzipien befolgen und die Vorteile digitaler Angebote ausbauen. Bereits 2017 wurde dazu das Onlinezugangsgesetz erlassen, das öffentliche Verwaltungen seit 2022 verpflichtet, alle Verwaltungsdienstleistungen elektronisch und online anzubieten. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht, aber bei aller Kritik gibt es schon enorme Fortschritte bei der digitalen Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen.

Die Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltungs­dienstleistungen lassen sich alle auf offene Standards und offene Schnittstellen, die eine Interoperabilität der Systeme gewährleisten, zurückführen. Im Mittelpunkt der Erfolge steht Open-Source-Software, die alle Anforderungen erfüllt und gleichzeitig die Digitalisierung vorantreibt.

6. Der souveräne Arbeitsplatz

Auch der souveräne Arbeitsplatz von Zendis (Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung) ist ein gutes Beispiel für den funktionierenden Einsatz von Open-Source-Software in der öffentlichen Verwaltung. Dabei wird eine sichere und datenschutzkonforme Arbeitsumgebung geschaffen, die auf offenen Standards und quelloffener Software basiert.

Da gleich mehrere Dienstleister für die gleiche Softwarelösung zur Auswahl stehen, wird eine Abhängigkeit von einem einzelnen Unternehmen ausgeschlossen und damit eine echte digitale Unabhängigkeit gewährleistet. Darüber hinaus belebt der Wettbewerb der unterschiedlichen Anbieter das Angebot und reduziert die Kosten.

7. Expertenmeinungen

Das Onlinezugangsgesetz und der souveräne Arbeitsplatz von Zendis sind gute Beispiele dafür, wie durch den Einsatz offener Standards und Schnittstellen die Interoperabilität der Systeme gewährleistet und die digitale Unabhängigkeit gestärkt werden kann. Experten fordern alle öffentlichen Verwaltungen auf, sich für eine digitale Unabhängigkeit zu entscheiden und damit auch ein Zeichen für die Wahrung von Datenschutz und Privatsphäre zu setzen.

"Die öffentliche Hand hat eine besondere Verantwortung für den Datenschutz und die Privatsphäre ihrer Bürgerinnen und Bürger", erklärt Peter Ganten, CEO der Univention GmbH und Vorsitzender der Open Source Business (OSB) Alliance. "Deshalb ist es wichtig, dass sie auf quelloffene Lösungen setzt und damit eine digitale Unabhängigkeit erreicht. Proprietäre Software birgt zu viele Risiken und Unsicherheiten und sollte nicht länger zum Einsatz kommen."

Vittorio Bertola, Head of Policy & Innovation beim Open-Source-Spezialist Open-Xchange, betont ebenfalls, dass Open-Source-Software nicht nur sicherer und kosteneffizienter ist, sondern auch die Innovation und den Fortschritt fördert. "Es ist an der Zeit, dass öffentliche Verwaltungen auf diese Vorteile setzen und sich von proprietärer Software verabschieden", so Bertola.

Alexander Sander, Policy Consultant der FSFE (Free Software Foundation Europe), die sich seit vielen Jahren für eine digitale Unabhängigkeit einsetzt, mahnt gleichermaßen einen Wechsel zu unabhängiger, nachhaltiger sowie krisenresistenter Software an. Eine weiterwachsende Abhängigkeit von US-Softwareanbietern bei der Digitalisierung Deutschlands und Europas ist für ihn undenkbar. (mb)