Offshoring in Deutschland

Die Inder sind da

06.09.2010
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Wie Offshoring funktionieren kann

Quelle: Torsten Gründer
Quelle: Torsten Gründer

Viele Probleme betreffen nicht nur die indischen Provider, sondern jeden Dienstleister, der Offshore-Komponenten in Kundenprojekte integriert. "Es ist unrealistisch, den Kundenkontakt auf die deutsche Schnittstelle zu begrenzen. Der direkte Draht zu den Spezialisten ist in vielen Fällen wichtig", berichtet etwa Wolfgang Messner, Principal und Head of Offshore Delivery bei Capgemini. Alle Anbieter wissen um die Schwierigkeiten und arbeiten intensiv daran, sie zu beheben. Capgemini bittet beispielsweise in vorbereitenden interkulturellen Schulungen die Kollegen aus beiden Ländern die jeweils andere Seite zu charakterisieren, mit erstaunlichen Ergebnissen.

Die Deutschen empfinden die Inder als unverbindlich, unzuverlässig, unqualifiziert, passiv und unselbständig. Die Inder urteilen über die Deutschen, sie seien qualitätsfixiert, aggressiv, gefühllos, unsozial, perfektionistisch und arbeitswütig. Die hiesigen Projektmitglieder wiederum reagieren verschnupft, wenn die Inder unvoreingenommen Deutschland mit Hitler und der Nazivergangenheit assoziieren. Die Inder sind betroffen, wenn Deutsche vom Subkontinent nur Fakire, Elefanten, Armut und das Kastensystem kennen.

Um Vorurteile abzubauen und eine Grundlage für die Zusammenarbeit zu schaffen, richtet Capgemini vor jedem Vorhaben einen eintägigen Workshop mit indischen und deutschen Mitarbeiten sowie den Kunden aus. "Wenn die Projektmitglieder die sozialen und geschichtlichen Hintergründe und ihre unterschiedlichen Wertesysteme verstehen, können sie die Eigenheiten in der Kommunikation und Zusammenarbeit besser einordnen", beschreibt Messner, der viele Jahre in Indien gearbeitet hat.

Entscheidend ist seiner Meinung nach zudem die Zusammensetzung des Teams: Sowohl in Indien als auch in Deutschland installiert der Dienstleister einen Projektleiter. Der eine kennt die Abläufe und Ansprechpartner des Kunden, der andere koordiniert die Arbeiten in Indien. Beide sprechen zusammen mit dem Kunden die Zeitpläne, Kommunikationswege, Aufgaben und Governance-Themen ab. Für viele Abläufe hat Capgemini Prozesse und Templates eingerichtet, die den Projektmitgliedern Orientierung bieten.

Angesichts der enormen Fluktuation in Indien ist zudem die laufende Dokumentation wichtig, damit Aufgaben möglichst reibungslos übergeben werden können. "Erfahrenen indischen Mitarbeitern muss man Führungspositionen anbieten, den jungen Kollegen interessante Aufgaben, um sie im Job zu halten", weiß Messner. Spätestens seit der Finanzkrise seien die Zeiten vorbei, in denen die Inder mit jedem Arbeitsplatzwechsel plötzlich 40 Prozent mehr verdienen konnten.

Das Offshoring-Geschäft wächst schnell

Im weltweiten Offshoring-Geschäft werden laut IDC-Erhebung in diesem Jahr rund 32,3 Milliarden Dollar umgesetzt. Bis 2014 soll der Markt um jährlich 6,6 Prozent auf 42,8 Milliarden Dollar wachsen, mehr als 60 Prozent davon stammen von US-amerikanischen Anwendern.

Nach einer Studie vom indischen Branchenverband Nasscom und Pricewaterhouse Coopers (PWC) umfasst der Markt im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich und Schweiz) rund 5,6 Milliarden Dollar. Allerdings schließt die Summe sowohl Offshore- als auch Nearshore-Dienste ein. Der Nasscom-Analyse zufolge werden derzeit lediglich 25 Prozent der Dienste nach Indien vergeben. Der Großteil der fremdbezogenen Services, knapp 70 Prozent, kommt aus Osteuropa und Russland.

Die vergleichsweise geringe Präsenz der indischen Provider im hiesigen IT-Servicegeschäft bestätigen auch die Marktforscher von PAC. "Die größten indischen Anbieter im deutschen Markt sind Infosys und TCS. Beide nähern sich der Umsatzmarke von 100 Millionen Euro", erläutet Klaus Holzhauser, Director bei Pierre Audoin Consultants (PAC). "Keiner hat bis dato den Sprung in die Liste der 20 umsatzstärksten IT-Service-Provider in Deutschland geschafft."