Die harte Landung der Web-Agenturen

10.09.2003
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.

Damit unterscheiden sich die heutigen Auftraggeber deutlich von der einstigen Attitüde der Multimedia-Agenturen, denen die wirtschaftlichen Grundlagen vielfach als Buch mit sieben Siegeln galten. "Oft hatten die Companies keine Ahnung von Projektplanung, Forecasts und von ihren Kosten", sagt Forrester-Analyst Pascal Matzke. Solange man nach Aufwand abrechnen konnte, war das kein Problem. Mussten Experten aus Übersee eingeflogen werden, weil es die Kompetenzen hierzulande nicht gab, wurden die Spesen und Reisekosten einfach den Kunden in Rechnung gestellt. Dass diese so verprellt wurden, nahm man in Kauf.

Doch die goldenen Zeiten sind vorbei: Festpreise sind an der Tagesordnung, die Tagessätze sowieso im Keller. Auf der Ebene der Senior-Berater und Partner hätten sich die Tagespreise halbiert, berichtet Matzke, während sie im mittleren Beratungsfeld um rund 20 Prozent eingebrochen seien. Zudem gibt es jetzt die Vorprojektarbeit wie etwa Assessment-Workshops kostenfrei dazu. Das finanzielle Risiko hat die Seiten gewechselt.

Strategische Partner gefragt

Die Chancen, Aufträge direkt mit großen Unternehmen zu verhandeln, werden zudem immer seltener. Konzerne sichten ihr Portfolio von Service-Providern und konsolidieren die Zahl ihrer Geschäftsbeziehungen auf wenige, dafür aber strategische Partnerschaften: "Kleine Nischenanbieter fallen immer häufiger unter den Tisch", hat Forrester-Analyst Matzke beobachtet. Natürlich können die Spezialisten weiterhin Geschäfte mit schwergewichtigen Kunden machen, dann aber in der Regel als Subunternehmer eines anderen Dienstleistungskonzerns.

Die Erkenntnis, dass kleine Gemischtwarenläden Krisen selten unbeschadet überstehen, ist alt - sie spricht sich aber anscheinend nur langsam herum. So will Pixelpark, offiziell ein Full-Service-Dienstleister, künftig neben dem Agenturgeschäft IBM-Rechner und -Speicher verkaufen. Framfab-Chef Brettschneider hat sich von einer derartigen Diversifizierung verabschiedet: "Kein Kunde nimmt Ihnen die Beratungskompetenz ab, wenn Sie behaupten, Sie können alles." Die Besinnung etwa auf eine Branche sei für die Agenturen "zwingend notwendig".

Techies oder Werber

Dass durch den Zwang zur Spezialisierung die Geschäftsfelder der einschlägigen Szenevertreter auseinderdriften, hat auch Christian Glas festgestellt. Der Analyst von Pierre Audoin Consultants (PAC) sieht bei der Veränderung zwei Hauptrichtungen: Während ein Teil der Web-Spezialisten auf die technologische Kompetenz setze, orientiere sich die andere Gruppe an der Werbebranche. Beide Wege sind steinig, denn während hüben die klassischen Systemhäuser auf die neue Konkurrenz warten, steht drüben die Front der Agenturnetzwerke.

Für die Multimedia-Experten sprechen laut Glas ihre schlanken Strukturen nach der Krise, da sie nur noch einen kleinen Verwaltungsapparat finanzieren müssen: "Sie haben einen Kostenvorteil." Nach Einschätzung des PAC-Analysten ist dies aber auch schon das einzige Pfund, mit dem die Web-Agenturen wuchern können. "Auf Dauer wird das nicht ausreichen", sagt Glas. Auf die etablierten Kundenbeziehungen zu vertrauen, "das kann funktionieren." Wenn aber einer der Auftraggeber wegfällt, haben die Spezialisten ein Problem.

Pixelpark profitierte einst von Bertelsmann-Verträgen, GFT vom Beziehungsgeflecht zu den Großaktionären Deutsche Post und Deutsche Bank. Kaum drosselten die Konzerne ihre Nachfrage, gerieten die Companies in Schwierigkeiten. Neue Auftraggeber sind jedoch in Krisenzeiten selten geworden, darüber hinaus wildern die großen Beratungskonzerne im Revier der Spezialisten, weil diese selbst nicht ausgelastet sind.

Gleichzeitig ist das Volumen der Beratungsaufträge deutlich geschrumpft. "Man kriegt heute keine großen Consulting-Projekte mehr", sagt Forrester-Analyst Matzke. Statt dessen sollte der Fokus auf kleine Schritte gelegt werden, die einen nachweislichen Nutzen erbringen können. "Consulting muss standardisiert vordefiniert werden, damit es die Kunden leichter und kostengünstiger abrufen können", fordert Matzke.

Die Momentaufnahme der Branche fällt insgesamt wenig schmeichelhaft aus: Einige Unternehmer unternehmen etwas, andere stecken noch mitten in der Phase der Vergangenheitsbewältigung fest. "Bertelsmanns peinliche Altlast" titelte vergangene Woche die "Süddeutsche Zeitung" am Tag nach der Pixelpark-Hauptversammlung. Die Veranstaltung war von einer Nicht-Entlastung Neefs sowie anhaltenden Querelen über die Stimmrechte der Anteilseigner gekennzeichnet. Die Branche der Web-Agenturen bewegt sich tatsächlich Anno 2003 irgendwo zwischen altem Glanz und alter Last.