Die harte Landung der Web-Agenturen

10.09.2003
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Lack ist endgültig ab von den einst glänzenden Multimedia-, Web- und Internet-Agenturen. Die Überlebenden setzen auf den Klang ihrer Namen, suchen ihr Heil in vermeintlich lukrativen Nischen und decken Kundenwünsche notgedrungen über Partnerschaften ab.
Seite an Seite durch die Krise: Pixelpark-Gründer Paulus Neef und GFT-Vorstandssprecher Ulrich Dietz (beide oben). Ihre Herausforderer: Thomas Notemann, Divine GmbH, und Joachim Brettschneider, Framfab Deutschland AG (unten).
Seite an Seite durch die Krise: Pixelpark-Gründer Paulus Neef und GFT-Vorstandssprecher Ulrich Dietz (beide oben). Ihre Herausforderer: Thomas Notemann, Divine GmbH, und Joachim Brettschneider, Framfab Deutschland AG (unten).

Was wurde nicht alles berichtet über die Szene der Multimedia-, Web- oder E-Business-Agenturen in Deutschland, wie sie ihre Mitarbeiter pflegten und umhegten mit frischem Obst bei kostenfreien Massagen am Arbeitsplatz. Alles, aber auch wirklich alles (Wirtschaft, Gesellschaft, Sexualität, Fußball) werde sich durch das Internet ändern, hatte es damals geheißen, so dass selbst Berufskritiker irgendwann in die Jubelarien einstimmten. Inzwischen ist das Internet Alltag geworden, jeder bastelt sich mit einfachen Tools die Website, die er haben möchte.

Kleiner Markt, was tun?

In der IT-Branche spielt das einst gefeierte Segment Multimedia nur noch eine untergeordnete Rolle. Marktführer im vergangenen Jahr war laut "New Media Ranking" die Dresdner Firma T-Systems Multimedia Solutions (MMS). Die Tochter einer Tochter der Telekom verzeichnete 2002 einen Honorarumsatz von 31 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Muttergesellschaft T-Systems setzte im Geschäftsjahr 2002 rund 10,5 Milliarden Euro mit IT-Dienstleistungen um. Insgesamt schätzen Beobachter den deutschen Markt der Internet-Agenturen auf ein Volumen von 500 Millionen Euro.

Andere Branchenvertreter wie Sinnerschrader, Die Argonauten oder Divine kämpfen derweil mit der Umsatzschwelle von zehn Millionen Euro - und vor allem darum, nicht noch weiter zu schrumpfen. Im einstelligen Millionenbereich tummelt sich hingegen die überwiegende Masse der Frontend-Designer. Die Namhafteren zehren, wenn sie es noch können, von den Reserven, die nach dem Börsengang nicht direkt verbrannt worden sind. Und sie zehren von ihren Bestandskunden, die ihnen über Jahre die Treue gehalten haben. Von der einst positiven Aufbruchstimmung, der Andersartigkeit und dem frischen Wind, ist weit und breit nichts mehr zu spüren.

Bunt statt Backend

Andere Konstanten im Markt wurden in der Vergangenheit ebenfalls im Handstreich weggefegt. Galt die Schwarzwälder GFT Technologies AG einst als finanziell stabil, wegen der technischen Kompetenz der Belegschaft in der Szene aber als unspektakulär, macht das Unternehmen inzwischen Verluste und hat sich mit Pixelpark-Gründer Paulus Neef einen Paradiesvogel als Berater ins Boot geholt.

Neefs ehemalige Firma Pixelpark geht derweil in die Offensive: Ihr aktueller Vorstandschef Michael Riese vernahm unlängst den "nach wie vor guten Klang" des Namens Pixelpark bei potenziellen Kunden: "Pixelpark nutzt alten Mythos für neuen Anfang", hieß es dazu in der "Financial Times Deutschland". Das erste Halbjahr brachte den Berlinern einen Umsatz von 6,5 Millionen Euro, im gleichen Vorjahreszeitraum waren es noch 25,9 Millionen Euro gewesen. Immerhin konnte der Nettoverlust von 21,2 Millionen auf 4,4 Millionen Euro reduziert werden.

Ende Juni beschäftigte Pixelpark 200 Mitarbeiter, im Frühjahr 2001 waren rund 1500 Angestellte für die Company tätig gewesen. Im Jahr zuvor hatte Pixelpark den Sprung in die "Europe's 50 Hottest Tech Firms" des renommierten "Time Magazine" geschafft - mit Intershop und Brokat. Nun interessiert sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für das Unternehmen, die Beschlüsse der vergangenen Hauptversammlung sind unter Umständen ungültig, und Pixelpark hat den eigenen Großaktionär Neef auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf der Schweizer ZLU-Gruppe im Jahr 2000 verklagt.

Doch während sich einige Unternehmen immer noch dagegen sträuben, die veränderte Realität zu akzeptieren, suchen andere nach Auswegen aus der verfahrenen Situation. Vorigen Monat ging etwa die Hamburger Divine GmbH an den Neustart, die sich per Management-Buyout die Reste der bankrotten Vorgängergesellschaft sichern konnte. "Wir sind mit den Füßen auf dem Boden angekommen", sagt Geschäftsführer Thomas Notemann. Vom Softwaregeschäft hat sich Divine gelöst, künftig sollen Dienstleistungen im Bereich Content-Management für Umsätze sorgen.

"Nur implementieren reicht heute nicht mehr", sagt auch Joachim Brettschneider, Vorstandschef der Framfab Deutschland AG. Die hiesige Niederlassung einer ehemals führenden Web-Agentur aus Schweden hat sich notgedrungen auf Veränderungen einlassen müssen. Schwerpunkt der Kölner sind nun Beratungsleistungen für Vertriebsprozesse. Der klassische Ansatz, mittels der Marketing-Abteilung nach außen zu kommunizieren, sei nur noch ein Teilaspekt der Arbeit. Für Großkunden wickelt Framfab nun auch Projekte ab, bei denen es sich nicht mehr um das Internet dreht: "Es geht den Kunden", sagt Brettschneider, "nicht mehr um bunte Bilder, sondern darum, wie sie Geld verdienen und Kosten sparen."