Der Staat hat große Ohren

28.01.2004
Von Rolf Gössner

Diensteanbieter, Internet-Provider und Administratoren im Netz sind gesetzlich zur Mitwirkung bei staatlichen Überwachungsmaßnahmen verpflichtet. Sie müssen die Überwachungstechnik auf ihre Kosten installieren und betriebsbereit halten sowie - sicherheitsüberprüftes - Personal abstellen. Alle geschäftsmäßigen TK-Diensteanbieter sind nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) darüber hinaus verpflichtet, Kundendateien mit Rufnummern, Namen und Anschrift der Anschlussinhaber zu führen und die Personendaten jederzeit den Sicherheitsbehörden - Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichten und Geheimdiensten - online zu übermitteln, wobei deren Zugriff auch unbemerkt erfolgen kann. Das Recht auf freie und anonyme Kommunikation ohne Angst vor Überwachung und Repressalien ist längst nicht mehr gewährleistet - weder für Privatpersonen und Geschäftsleute noch für Verbände und Wirtschaftsunternehmen.

Die Praxis der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) zur Strafverfolgung, also zur Aufklärung einer Straftat und zur Ermittlung der Täter, kann seit Anfang der 90er Jahre exorbitante Steigerungsraten aufweisen. Seit 1995 hat sich die Anzahl der richterlichen Anordnungen pro Jahr von 3800 auf über 26000 (2002) fast versiebenfacht. Die Bundesrepublik gehört damit weltweit zu den Spitzenreitern im Abhören. Die Dimension dieser Abhörpraxis ist skandalös - immerhin kann eine einzige Anordnung mehrere Anschlüsse umfassen und Tausende von Gesprächen betreffen. Nicht nur Tatverdächtige werden oft monatelang abgehört - auch Millionen von vertraulichen Gesprächen unverdächtiger Kommunikationspartner werden dabei aufgenommen, abgespeichert, ausgewertet. Dies ist ein gravierender Eingriff in das

Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Die als "Ultima-ratio"-Maßnahme gedachte TKÜ hat sich mittlerweile zum Standardinstrument entwickelt.

In Thüringen und Niedersachsen ist bereits die präventive TKÜ legalisiert worden - also das vorsorgliche Abhören von Telefonen und Handys sowie das vorsorgliche Mitlesen von Faxen, SMS und E-Mails, ohne dass eine Straftat oder ein konkreter Anfangsverdacht vorliegen muss. Beim Reinhören könnte sich ja der Verdacht auf eine schwer wiegende Straftat ergeben, so die Logik der Gesetzesmacher, der auch andere Bundesländer folgen wollen. Im Zuge solcher polizeilichen Lauschaktionen werden zwangsläufig auch Verwandte, Nachbarn, Arbeitskollegen und sonstige Bekannte der "vorverdächtigen" Personen unmittelbar involviert.

Den Sicherheitsbehörden ist es zudem gestattet, die näheren Umstände der Telekommunikation zu erforschen und die TK-Verbindungsdaten bei den TK-Dienstleistern anzufordern und abzuspeichern. Also: Wer hat mit wem, wann, wie oft und wie lange von wo nach wo fernmündlich oder schriftlich kommuniziert, welche SMS- oder Internet-Verbindungen genutzt, welche Suchmaschinen mit welchen Begriffen benutzt, welche Homepages besucht und mit welchen E-Mail-Empfängern kommuniziert? Zu diesem Zweck müssen von allen TK-Anbietern Unmengen von Überwachungsdaten auf Verdacht und Vorrat erfasst und gespeichert werden.

Diese Vorratsdatenspeicherung soll sogar noch ausgeweitet werden. Geht es nach dem neuen TKG-Entwurf der Bundesregierung, sind Diensteanbieter künftig berechtigt, alle Verkehrsdaten nach Versendung ihrer Gebührenrechnung bis zu sechs Monate zu speichern. Der Bundesrat will gar eine Verpflichtung zur Vorratsspeicherung für polizeiliche und geheimdienstliche Zwecke verankern.