Mobility-Branche in Bewegung

Das Handy wird zum Kleinst-PC

19.12.2007
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Mit der Mutation der Handys zu Multimedia-Maschinen steht eine ganze Branche vor dem Umbruch: Das Telefonieren wird zur Nebensache - mobiles Internet oder das viel beschworene Handy-TV sollen künftig die Kassen klingen lassen.

Wenn eine Neuerscheinung das Mobility-Jahr 2007 prägte dann war es sicher das iPhone von Apple. Hier kann man vor der Apple-Marketing-Abteilung nur den Hut ziehen.

Wie sich das iPhone mit beliebigen SIM-Karten nutzen lässt, zeigt das Video (nach einem Klick ins Bild).
Wie sich das iPhone mit beliebigen SIM-Karten nutzen lässt, zeigt das Video (nach einem Klick ins Bild).

Sie schaffte es, dass ein Handy, das von einigen Gimmicks abgesehen kaum dem Stand der Technik entspricht, vom "Time Magazine" zur "Innovation of the year" gekürt wurde. Und dies, obwohl etliche Mobiltelefone das iPhone in Disziplinen wie Klangqualität, Connectivity oder Datentransfer schlagen. Doch unabhängig von dem Streit zwischen Apple-Fan-Boys und Apple-Hassern um das derzeit beste Handy-Konzept gebührt der Company zumindest ein Verdienst: Mit dem iPhone sind mobile Datenanwendungen auf dem Handy endgültig salonfähig und Nokias Werbeslogan "Dein Computer 2.0" Anfang des Jahres zur Einführung des Multimedia-Handys N95 Realität geworden.

iPhone beflügelt Handy-Flatrates

Gleichzeitig dürfte dieser Schritt für die gesamte Mobilfunkbranche zwei Konsequenzen haben: Durch die mit dem iPhone weiter etablierten Flatrates für die mobile Datenkommunikation werden wohl die Datentarife der gesamten Branche unter Druck geraten. Wenn dann noch EU-Kommissarin Viviane Reding wie bereits angedroht 2008 ein Machtwort spricht und den Wucher in Sachen Daten-Roaming unterbindet, steht dem mobilen Web 2.0 voraussichtlich nichts mehr im Weg.

Lange Zeit stand der Blackberry als Synonym für den mobilen E-Mail-Push. Doch die Konkurrenz aus dem Windows-Mobile-Lager holt auf (Video startet nach Klick ins Bild).
Lange Zeit stand der Blackberry als Synonym für den mobilen E-Mail-Push. Doch die Konkurrenz aus dem Windows-Mobile-Lager holt auf (Video startet nach Klick ins Bild).

Die Webifizierung der Mobiltelefone hat noch eine weitere Folge: Selbst eingefleischte Hersteller von Business-Handys, wie etwa RIM mit seinen Blackberrys kommen nicht umhin, mit Web-Anwendungen wie Google Maps, integrierten Navigationssystemen oder Musik-Playern mit Online-Plattenläden dem Freizeitaspekt Tribut zu zollen.

War in der Vergangenheit der kastrierte Datendienst WAP auf dem Handy noch das Höchste der Gefühle, so kann es sich mittlerweile kein Hersteller mehr leisten, ein Mobiltelefon ohne vernünftigen Browser auszuliefern. Dabei markierte die mobile Variante des Apple-Safari-Browsers nur einen vorläufigen Höhepunkt.

Wird Google mit Android den Mobilfunkmarkt neu aufteilen?

Mit der Handy-Betriebssystem-Plattform Android und Google tritt ein neuer Player auf den Markt, der für eine Neuverteilung der abgesteckten Mobilfunk-Claims sorgen könnte.

Dabei ist weniger von Bedeutung, dass mit Google und der Open Handset Alliance endlich eine potente Gemeinschaft hinter einem Linux-Betriebssystem für Handys steht, das vielleicht, wie Symbian-Chef Nigel Clifford formuliert, wirklich nur "another Linux" ist. Davor müssen die etablierten Handy-Systemanbieter wie Nokia mit Symbian, Microsoft mit Windows Mobile sowie RIM mit seinem Blackberry nun wirklich keine Angst haben. Dementsprechend lästerte auch Microsoft Steve Ballmer über das G-Phone. (video)

Viel entscheidender ist, ob es Google und Co. gelingt, eine Wertschöpfungsnetz aus neuen Anwendungen und Services sowie Werbeeinnahmen aufzubauen. In Sachen Services und Applikationen hat Google im Zuge der Android Developer Challenge diesbezüglich bereits einen Programmierwettbewerb mit Preisgeldern von insgesamt zehn Millionen Dollar ausgerufen.

Und attraktive Anwendungen werden Google und die Open Handset Alliance auch brauchen, wenn sie nicht nur fanatische Linux-Jünger zur Migration auf ihre Plattform bewegen wollen. Spannend wird es dabei sein, ob Android wirklich eine offene Plattform ist und der User beispielsweise seinen Browser frei wählen kann. Etliche Mini-Handy-Browser wie etwa OperaMini blenden nämlich die Werbung aus, mit der Google eigentlich Geld verdienen will.

Fußball-EM 2008: Durchbruch für Handy-TV?

Sehen so künftig Handys aus, die mit Googles Betriebssystem Android laufen?
Sehen so künftig Handys aus, die mit Googles Betriebssystem Android laufen?

Darüber zu spekulieren, wie die Handys des Modelljahrgangs 2008 angesichts von Android, iPhone und Blackberrys Consumer-Avancen aussehen werden, ist jedoch müßig. Zumal nach dem Willen der Mobilfunkbranche im kommenden Olympia- und Fußball-EM-Jahr die Totgeburt des Jahres 2006 ihre Wiederauferstehung feiern soll: Floppte das Handy-TV zur Fußball-WM noch, glauben die Marketiers jetzt an den großen Durchbruch.

Die Weichen wurden zumindest gestellt. Selbst im föderal zerstrittenen Deutschland, wo Rundfunk und Fernsehen Ländersache sind, hat man sich jetzt auf einen Standard geeinigt, nachdem in der Vergangenheit das Rennen zwischen DVB-H, DMB und Mediaflo noch offen war. Im Oktober vergab die Bundesnetzagentur die DVB-H-Frequenzen für den bundesweiten Sendebetrieb an die Telekom-Tochter T-Systems Media&Broadcast GmbH (TSMB). Für den eigentlichen Inhalt der rund 15 Fernseh- und vier Radioprogramme wird Mobile 3.0 verantwortlich sein. An dem Joint Venture sind unter anderem MFD, Burda sowie Holtzbrinck beteiligt.

Erste Sendungen im Wirkbetrieb will man zur CeBIT 2008 in Hannover zeigen können. Bis zum Sommer ist dann die Überführung in den kommerziellen Betrieb geplant. In einem ersten Schritt sollen bundesweit die wichtigsten Ballungszentren erschlossen werden. Ein fast flächendeckender Ausbau ist bis 2015 vorgesehen, falls die Bevölkerung das Angebot annimmt. Genau das ist aber die Frage, denn bislang scheint Handy-TV die Europäer kaum zu interessieren. Laut einer Gartner-Studie haben lediglich fünf Prozent der Befragten ein Interesse an dem Mini-TV. Zudem ist es mehr als zweifelhaft, dass sich damit das große Geld verdienen lässt, denn die Zahlungsbereitschaft der potenziellen Klientel ist äußerst gering: Lediglich fünf bis zehn Euro wollen die Befragten pro Monat dafür ausgeben. Ein Wert, der sich mit den Erfahrungen der Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH (MFD) deckt. Das Unternehmen strahlt seit Mitte 2006 TV-Sendungen via DMB in Zusammenarbeit mit Debitel und Mobilcom aus (Hier können Sie Handy-TV empfangen).

Egal wie man zum Briefmarken-Fernsehen auf dem Handy steht, einen Vorteil hat die Einführung einer separaten Technik zur TV-Übertragung auf alle Fälle: Die knappen Kapazitäten zur mobilen Datenübertragung werden dann hoffentlich nicht mehr mit dem Transfer von Musikvideos zugemüllt.

Aktuelle Datenkarten (hier ein Modell von T-Mobile) erreichen Download-Raten von bis zu 7,2 Mbit/s),
Aktuelle Datenkarten (hier ein Modell von T-Mobile) erreichen Download-Raten von bis zu 7,2 Mbit/s),

Denn Bandbreite dürfte vor allem an hochfrequentierten Orten wie Messen selbst nach der Aufrüstung auf HSDPA mit 7,2 Mbit/s im Download und 1,4 Mbit/s im Upload knapp bleiben. Dafür ermöglichen aber die neuen Übertragungsverfahren aufgrund ihrer geringen Latenzzeiten auch das Arbeiten mit zeitkritischen Anwendungen wie etwa VoIP (Test: VoIP over UMTS).

Unter dem Strich zeigt die Entwicklung eines: Das Telefonieren ist auf dem Handy 2008 nur noch eine Funktion unter vielen.