IT-Profis im Projekteinsatz in Afrika und Indien

Arbeiten jenseits der Komfortzone

11.12.2014
Von Manuel Göpelt
IBM und SAP schicken Freiwillige in Schwellenländer. Vor Ort unterstützen sie Non-Profit-Organisationen und lösen anspruchsvolle Projektaufgaben. Von den Einsätzen profitieren alle.

Die Zeit war extrem intensiv", erinnert sich Nadine Ebert. "Man ist 14 Stunden am Tag mit anderen Leuten zusammen und hat nicht viel Zeit für sich. Eine Erfahrung, die total zusammenschweißt." Im April 2014 hatte die 32-jährige SAP-Managerin ihr Büro im kalifornischen Palo Alto mit einem alten Fabrikgebäude in Porto Alegre getauscht, wo das brasilianische Sozialunternehmen Nós Coworking Arbeitsplätze für Startups bereitstellt. Ziel der Südamerikaner ist es, das ehemalige Industriequartier zu revitalisieren und neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Dies soll vor allem über eine Crowdsourcing-Plattform geschehen, für die Nadine Ebert mit zwei Kollegen aus Bulgarien und Irland das Umsetzungskonzept entworfen hat.

Von Palo Alto ins brasilianische Porto Alegre: SAP-Managerin Nadine Ebert (rechts) entwarf mit Kollegen aus Irland und Bulgarien eine Crowdsourcing-Plattform, die brasilianischen Startups zugutekommt.
Von Palo Alto ins brasilianische Porto Alegre: SAP-Managerin Nadine Ebert (rechts) entwarf mit Kollegen aus Irland und Bulgarien eine Crowdsourcing-Plattform, die brasilianischen Startups zugutekommt.
Foto: SAP

Das Projekt in Porto Alegre ist ein typisches Beispiel für eine Wirkungsbeziehung, die sozialverantwortlich handelnde Unternehmen "Social Impact" nennen. Gemeint ist die Arbeit mit Bildungseinrichtungen, Non-Profit-Organisationen, staatlichen Stellen und dem Privatsektor, die nachhaltige Entwicklungen in den Zielländern fördert. Dazu greifen die Mitarbeiter auf die Fähigkeiten zurück, die sie auch in ihrem Job zu Hause nutzen. Allerdings tun sie es in einem unbekannten kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld. Von der "Pro Bono Volunteering" genannten Projektarbeit profitieren die Partner in den Entwicklungs- und Schwellenländern ebenso wie die Mitarbeiter und ihre Unternehmen, die sie für den Auslandseinsatz freistellen.

Das bestätigt auch Bahram Maghsoudi von IBM. 2011 war der heute 37-jährige Business Consultant nach Kenia aufgebrochen. Für den in Frankfurt am Main ansässigen Manager ging es mitten in die Gründerszene Nairobis. Das kenianische Wissenschaftsministerium wollte Vorschläge, wie sich die Hochschulen des Landes mit Startups bestmöglich vernetzen können. Mit Kollegen aus Dänemark, Indien und Japan setzte Maghsoudi ein 100 Seiten starkes White Paper auf. "Damit haben wir das Wissen aus einer vierwöchigen Feldforschung erschlossen, bei der wir mit allen Stakeholdern im Land gesprochen hatten", erklärt Maghsoudi. "Wesentliche Teile unserer Arbeit sind in eine staatliche Richtlinie eingegangen."

Pro Bono nimmt Fahrt auf

IBM und SAP zählen zu den Vorreitern der Pro-Bono-Bewegung, stellte eine Benchmarking-Studie von Pyxera Global im August 2014 fest. Pyxera analysiert die Pro-Bono-Programme von 26 multinationalen Konzernen. 14 dieser Unternehmen haben ihr Engagement in den vergangenen vier Jahren begonnen.

Für viele Unternehmen liegt einer der zentralen Nutzen im Personalwesen. "Führungskräfte zu finden, die sich in kürzester Zeit auf völlig neue Anforderungen einstellen können, zählt zu den größten Herausforderungen, denen wir uns als Unternehmen stellen müssen", unterstreicht Alexandra van der Ploeg, die das Pro-Bono-Programm von SAP koordiniert. Eine Einschätzung, zu der auch der Wirtschaftsprüfer Pricewaterhouse Coopers in seiner diesjährigen CEO-Befragung kommt. 93 Prozent aller CEOs sind der Meinung, dass sie ihre bisherigen Strategien ändern müssen, um neue Talente auf ihr Unternehmen aufmerksam zu machen und erfolgreich an sich zu binden.

Zwei Entwicklungen lassen den Handlungsbedarf immer dringlicher werden. Erstens steigt die Zahl der Unternehmen, die nach passenden Mitarbeitern für die aufstrebenden Märkte Afrikas und Asiens suchen. Allein für den afrikanischen Kontinent äußerten 74 Prozent der von PwC befragten Manager die Erwartung, dass ihre dortige Wertschöpfung signifikant zunehmen werde.

Die zweite grundlegende Entwicklung betrifft die Mitarbeiter selbst: Vor allem unter den nach 1980 Geborenen wächst die Zahl derer, denen es wichtiger ist, "etwas Positives in der Welt zu bewegen, als Anerkennung an ihrem Arbeitsplatz zu bekommen". So das Ergebnis einer Befragung von 1000 Millennials durch die Bentley University.

Auch SAP nimmt die sich verändernden Rahmenbedingungen zum Anlass, neue Wege zu gehen. Ihr 2011 gestartetes Social-Sabbatical-Programm sehen die Walldorfer als wichtigen Meilenstein. "Die Teilnehmer entwickeln ihre Fähigkeiten als Führungskraft in einer Art weiter, wie sie es in solch kurzem Zeitraum mit anderen Maßnahmen kaum erreichen würden. Nach den Einsätzen kehren überdurchschnittlich engagierte und motivierte Mitarbeiter zu uns zurück", erklärt Alicia Lenze, die weltweit die Corporate-Social-Responsibility-(CSR-)Organisation von SAP leitet. Gleichzeitig lerne das Unternehmen, wie man in Schwellen- und Entwicklungsländern erfolgreich arbeiten kann. SAP will dieses Wissen von der Markterschließung bis zur Produktentwicklung nutzen.

Einsatz in Bangalore: Auf sich selbst gestellt

Dass tatsächlich alle Seiten profitieren, erfuhr auch Helle Dochedahl während ihrer vierwöchigen Pro-Bono-Arbeit in Indien. In ihrem eigentlichen Job leitet Dochedahl die 550-köpfige Presales-Organisation von SAP in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Ende 2013 reiste die Managerin für vier Wochen nach Bangalore, um die dortige Parikrma Foundation zu beraten. Parikrma betreibt eine Schule für 1600 Kinder, die in 69 Slums und vier Waisenhäusern der indischen Megacity leben. Mit zwei Kollegen aus Bulgarien und Irland half Dochedahl der NGO, ihre Spendenorganisation zu professionalisieren, um die weitere Entwicklung der Schule zu sichern.

Helle Dochedahl leitet die 550-köpfige Presales-Organisation von SAP in Europa. An einer Schule für Waisenkinder in Bangalore lernte sie, „wie man mit einem Minimun an Ressourcen ein Höchstmaß an Nutzen schafft“. Vier Wochen lang half sie, die Spendenorganisation der Schule zu verbessern.
Helle Dochedahl leitet die 550-köpfige Presales-Organisation von SAP in Europa. An einer Schule für Waisenkinder in Bangalore lernte sie, „wie man mit einem Minimun an Ressourcen ein Höchstmaß an Nutzen schafft“. Vier Wochen lang half sie, die Spendenorganisation der Schule zu verbessern.
Foto: SAP

"Die Arbeit in Indien hat mir gezeigt, wie wichtig es für unser Team war, zuallererst auf unsere eigenen Stärken zu bauen", bringt Dochedahl ihre Erfahrungen auf den Punkt: "In unseren Heimatmärkten setzen wir auf ein hohes Maß an Arbeitsteilung. Wir haben ausgefeilte Business-Pläne und mächtige IT-Werkzeuge, mit denen wir eine Menge bewegen können. Im Vergleich dazu waren wir in Bangalore weitgehend auf uns allein gestellt. Zusammen mit den Mitarbeitern der Schule haben wir gelernt, wie man mit einem Minimum an Ressourcen ein Höchstmaß an Nutzen schafft. Der Schlüssel dazu liegt im unbedingten Vertrauen auf das eigene Talent."

350 Bewerber für 100 Pro-Bono-Plätze

Dochedahl will dieses Wissen mit möglichst vielen Kollegen teilen. Seit ihrer Rückkehr aus Indien zählt sie zu den aktivsten Botschaftern des Pro-Bono-Programms. Hierbei weiß sie sich inzwischen in prominenter Gesellschaft: Seit Anfang des Jahres ruft auch SAP-Chef Bill McDermott via Twitter zur Teilnahme auf. Die Resonanz ist groß. Um die 100 jährlich vergebenen Pro-Bono-Plätze bewarben sich 2014 bereits 350 Mitarbeiter.

"Damit haben wir eine Größe erreicht, die wir uns eigentlich erst für 2015 vorgenommen hatten", konstatiert die CSR-Verantwortliche Lenze. "Um das Momentum zu nutzen, experimentieren wir jetzt auch mit nationalen Pro-Bono-Einsätzen. Im Oktober haben wir einen Pilotversuch in Berlin gestartet. Dort unterstützen unsere Kollegen vier Sozialunternehmen, die ein drängendes Business-Problem haben. Sollte der Pilot erfolgreich sein, können wir unser Programm noch einmal signifikant ausweiten."