Wege aus der Komplexitätsfalle

Appliances feiern ein Comeback

17.04.2013
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Oracle - Appliances als geschlossene Systeme

Das klappt allerdings nicht immer. Vor allem nicht, wenn die Partner anfangen, eigene Ambitionen in Richtung Appliances zu entwickeln. Oracle hatte seine Idee einer speziellen Datenbank-Appliance 2008 zunächst gemeinsam mit HP umgesetzt. Von Oracle stammte die Software, HP steuerte die Hardware für die erste Version der Exadata-Maschine bei. Mit der Übernahme von Sun Microsystems im Jahr 2010 änderte Oracle seine Strategie jedoch grundlegend. Oracle-CEO Lawrence Ellison ging zunehmend auf Konfrontationskurs mit den großen Komplettanbietern HP und IBM. "Die Übernahme von Sun verändert die IT-Industrie", sagte Ellison damals. "Oracle wird der einzige Anbieter sein, der ein integriertes System - von Applikationen bis zur Disk - entwickeln kann, bei dem alle Teile zusammenpassen und -arbeiten, ohne dass sich Kunden besonders darum kümmern müssen."

In der Folge entwickelte Oracle unter dem Label "Engineered Systems" eine eigene Appliance-Roadmap. Dem Datenbanksystem, das erst kürzlich als "Exadata X3" in einer neuen Version vorgestellt wurde, folgten weitere Maschinen: "Exalogic" positionierte der Konzern als dedizierte Middleware-Appliance, im vergangenen Jahr folgte mit "Exalytics" ein speziell auf Analyseanwendungen ausgelegtes System. Alle Appliances gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Systeme arbeiten mit Intels Xeon-CPUs beziehungsweise der mit Sun übernomenen Sparc-Prozessorarchitektur. Nachdem viele Anwender die hohen Preise der Systeme kritisiert hatten, hat Oracle mittlerweile günstigere Mittelstandsversionen seiner Engineered Systems vorgestellt.

Mit der Highend-Datenbank- maschine Exadata begann Oracle seine Appliance-Initiative.
Mit der Highend-Datenbank- maschine Exadata begann Oracle seine Appliance-Initiative.

Auf Seiten der Anwender begrüßte man grundsätzlich die Appliance-Strategie. Unternehmen müssten einen gigantischen Aufwand treiben, um Produkte unterschiedlicher Hersteller zu integrieren, hieß es von Seiten der Deutschen Oracle-Anwendergruppe (Doag). Diesen Aufwand wollten die Firmen nicht mehr selbst stemmen, sondern an die IT-Hersteller abgeben. Der Wechsel zu einem Komplettanbieter berge allerdings die Gefahr einer gewissen Abhängigkeit, argwöhnten die Anwendervertreter. Die Anbieter müssten mit dieser Verantwortlung sorgfältig umgehen, um das Vertrauen der Kunden nicht zu missbrauchen.

Das Oracle-Management um Gründer und CEO Lawrence Ellison hat jedenfalls hohe Erwartungen an die Appliances. Anfang des Jahres sprach der Oracle-Chef von bereits 200 verkauften Systemen. Bis Ende des Geschäftsjahres im Mai könnte sich der Absatz auf möglicherweise 400 Maschinen verdoppeln und damit bis zu einer Milliarde Dollar zum Jahresumsatz beitragen, hieß es damals. Doch die ehrgeizigen Vorgaben ließen sich nicht halten. Ellison räumte ein, die selbst gesteckten Ziele nicht zu erreichen. Konkrete Zahlen, wie sich das Appliance-Geschäft zuletzt entwickelte, behielt der Anbieter für sich. Das Ziel, mit dem neuen Geschäftsjahr, das im Juni begann, die seit der Sun-Übernahme rückläufigen Hardwaregeschäfte wieder ins Plus zu drehen, wurde nicht erreicht. Im ersten Fiskalquartal brach der Produktumsatz der Hardwaresparte im Vergleich zum Vorjahresquartal erneut um 24 Prozent auf 779 Millionen Dollar ein.

IBM - Versprechen eines neuen Computing-Modells

Auch IBM versucht, seinem Hardwaregeschäft mit Appliances neuen Schwung zu geben. Trotz des internen Know-hows ist Big Blue vergleichsweise spät auf den Zug aufgesprungen. Erst im Frühjahr 2012 haben die IBM-Verantwortlichen mit den "PureSystems" einen neuen Anlauf in diesem Segment genommen. "Wir sehen das als große neue Systemkategorie", versucht Marie Wieck, General Manager von IBM für den Bereich Application and Middleware Integration bei IBM, die eigenen Produkte von den Erzeugnissen der Konkurrenz abzugrenzen. Die Rechner unterschieden sich von üblichen Appliances und speziellen Kundenlösungen. Während sich Appliances auf einen eng gefassten Einsatzbereich begrenzten, eigneten sich die PureSystems von Haus aus für ein weitergefasstes Aufgabenspektrum. Außerdem ließen sich die Systeme relativ schnell einführen, erläutert Wieck. Das sei anders als bei individuellen Kundenpaketen, die erst nach spezifischen Anforderungen zusammengestellt und integriert werden müssten. Die IBM-Managerin spricht daher von einer komplett neuen Systemfamilie - den "Expert Integrated Systems".

Mit seinem neuen System PureData zielt IBM auf Datenbank- und Analytics-Funktionen.
Mit seinem neuen System PureData zielt IBM auf Datenbank- und Analytics-Funktionen.
Foto: IBM

Die ersten beiden Vertreter, die IBM Anfang April vorgestellt hatte waren "PureFlex" und "PureApplications". Das Infrastruktur-System PureFlex kombiniert Server-, Storage- und Netzressourcen sowie Betriebssysteme, Virtualisierungsumgebung und Middleware-Komponenten. Einen Schritt weiter geht das System PureApplications. Hier sind zudem Anwendungen von Softwarepartnern in den Systemen integriert. IBM spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten Patterns, die Software und Best Practices kombinieren. Im "PureSystem Center", in dem IBM diese Patterns für seine Kunden sammelt und zur Verfügung stellt, finden sich derzeit mehr als 350 solche Anwendungspakete von über 200 Partnern. Darüber hinaus könnten Kunden auch eigene Patterns entwickeln und auf den PureSystems integrieren. IBM zufolge stehen die dafür notwendigen Spezifikationen frei zur Verfügung.

Darüber hinaus hat IBM Anfang Oktober mit "PureData" ein weiteres Expert Integrated System vorgestellt. Die auf schnelle Datenverarbeitung ausgelegte Appliance soll es in drei Ausprägungen geben: einmal für OLTP und außerdem speziell ausgelegt für Reporting und Analysen beziehungsweise Operational Analytics. Jede dieser Varianten gibt es zudem in drei verschieden Systemgrößen, um unterschiedliche Leistungsanforderungen der Kunden erfüllen zu können.

Mit Hilfe von "Topology-Patterns" und "Database Patterns" ließen sich die Systeme zügig beim Kunden einführen verspricht Boris Bialek, Director im Bereich Information Management Technology Ecosystem von IBM. Vom Stromanschluss bis zum Laden der Daten sei so ein System innerhalb von Stunden einsatzbereit. Die Maschinen seien in einem hohen Grad integriert und vorkonfiguriert. Letzten Endes gehe es nur noch um die Frage, welchen Typ Stromstecker der Kunde benötige. Einen Seitenhieb auf die Konkurrenz kann sich der IBM-Manager nicht verkneifen. Wettbewerber bräuchten nach wie vor lange, um die Systeme beim Kunden zusammenzuschrauben. Außerdem müssten Anwender dabei immer noch einzelne Softwareteile selbst installieren.

Fazit

Die technischen Nuancen unterscheiden sich zwar von Hersteller zu Hersteller. Die Grundidee einer Plattform, die verschiedene, bis dato in separaten Silos gehaltene IT-Komponenten integriert, ist jedoch gleich. Je nach Ausgangssituation der Anbieter sind die Systeme unterschiedlich komplett. Cisco kann mit seinem Netz-Know-how punkten, muss aber noch daran arbeiten sein Server-Renommee aufzupolieren. Außerdem müssen die Netzwerker stark auf Partnerschaften bauen, um die Lücken im Storage- und Softwarebereich zu schließen. Hewlett-Packard kann auf der Hardwareseite ein vollständiges Angebot vorweisen und positioniert sich daher vor allem als Infrastruktur-Appliance-Anbieter. Auf der Anwendungsseite setzt man auf Kooperationen. Oracle hat den komplettesten Stack - vom Server bis zur Applikation. Dafür haben die Kunden allerdings wenig Optionen, die Systeme anzupassen. Mehr Freiheiten verspricht IBM mit seinem Pattern-Ansatz. Damit sollen die Kunden ihre Systeme unter Berücksichtigung von Best Practices individuell auf ihre Anforderungen zuschneiden können. Der darunter liegende Infrastruktur-Stack kommt integriert und komplett von IBM.

Auch andere Hersteller wollen sich als Appliance-Anbieter in Position bringen. Dell hat beispielswiese gemerkt, dass mit der Standardhardware nicht mehr viel Geschäft zu machen ist, und versucht sich mit Zukäufen gerade im Softwarebereich breiter aufzustellen. Softwareanbieter SAP hat mit seiner Datenbank- und Analytics-Appliance HANA ebenfalls ein Komplettpaket im Programm. Allerdings müssen die Softwerker in Sachen Hardware komplett auf Partner wie beispielsweise IBM bauen. Wenn die jedoch zunehmend eigene mit HANA vergleichbare Angebote entwickeln, könnte das Standing für SAP in diesem Bereich in Zukunft schwieriger werden. (mhr)