Wege aus der Komplexitätsfalle

Appliances feiern ein Comeback

17.04.2013
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit vorkonfigurierten Systemen versprechen die großen IT-Anbieter ihren Kunden einen eleganten Ausweg aus der Komplexitätsfalle. Sie selbst hoffen auf bessere Geschäfte und einen intensiveren Zugriff auf ihre Kundenbasis.
Foto: IBM

Engineered Systems, Expert Integrated Systems, Converged Systems, Unfied Computing Systems, PureSystems - viele Systeme, eine gemeinsame Idee. Seit einiger Zeit gehen große IT-Anbieter wie Cisco, Hewlett-Packard, IBM und Oracle wieder verstärkt dazu über, ihren Kunden vorkonfigurierte und integierte Systeme aus Hard- und Software anzubieten. Glaubt man den Herstellern, laufen die Geschäfte mit diesen Maschinen nicht schlecht. Das Interesse auf Anwenderseite ist auch nachvollziehbar. In den vergangenen Jahren waren die Klagen über komplexe IT-Landschaften immer lauter geworden. Der Appliance-Ansatz nährt die Hoffnung, einen Weg zu finden, Implementierungsprojekte zu beschleunigen und Infrastrukturen deutlich zu vereinfachen.

Die Idee, vorkonfigurierte Systeme zu verkaufen, ist allerdings nicht neu. In der Vergangenheit hat das beispielsweise IBM mit seinen legendären AS/400-Maschinen bereits über einen längeren Zeitraum erfolgreich praktiziert. Die Rechner, die IBM 1988 erstmals auf dem Markt präsentierte, waren in der meist mittelständisch geprägten Anwenderschaft bekannt und geschätzt für ihre Zuverlässigkeit, Stabilität, Ausfallsicherheit und einfache Bedienbarkeit. Immer wieder kursierten in der Branche Geschichten über Unternehmen, die nicht mehr wussten, wo ihr AS/400-Rechner stand, weil das System über Jahre hinweg problemlos lief und es eines Tages niemanden mehr in der Firma gab, der den Standort der Maschine kannte.

Anwender wollten mehr Freiheiten

Mit neuen Paradigmen rückte der Appliance-Ansatz in der Folge jedoch mehr und mehr in den Hintergrund. Ende der 90er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends sollten die Anwender zunächst im Zuge des Best-of-Breed-Gedankens und später mit Service-orientierten Architekturen mehr Freiheiten erhalten, ihre Systemlandschaften individueller zusammenstellen zu können. Offene Plattformen und standardisierte Schnittstellen waren in diesen Jahren aus Sicht der Branche die geeigneten Mittel, um den Kunden diesen Modulansatz schmackhaft zu machen.

„Letzten Endes muss der Kunde nur den richtigen Stromstecker auswählen.“ Boris Bialek, Director of Technology Ecosystem IBM
„Letzten Endes muss der Kunde nur den richtigen Stromstecker auswählen.“ Boris Bialek, Director of Technology Ecosystem IBM
Foto: IBM

Ganz in Vergessenheit geriet die Appliance-Idee allerdings nie. In besonderen Anwendungsbereichen hielten die IT-Anbieter an dem Modell fest, vorkonfigurierte Systeme mit einem dedizierten Funktionsumfang zu bauen. Ein Beispiel sind Security-Appliances, die Firmen wie Cisco, Check Point und Juniper bereits seit etlichen Jahren im Markt platzieren. Die Geschäfte mit diesen Maschinen legen kontinuierlich zu. Allein im zweiten Quartal des laufenden Jahres verkauften die Hersteller IDC zufolge weltweit Systeme im Gesamtwert von fast zwei Milliarden Dollar. Das bedeutete ein Plus von über sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Zahl der verkauften Appliances legte im gleichen Zeitraum um 6,5 Prozent auf fast 500.000 zu.

Die IT-Security ist nur ein Bereich, in dem sich die Idee vorkonfigurierter Systeme über die Jahre hinweg gehalten hat. Ein anderes Anwendungssegment bilden Storage-Funktionen. Hier haben sich beispielsweise eigene Märkte für Backup- beziehungsweise Deduplizierungs-Appliances herausgebildet. Die separaten Systeme sollen Anwender dabei unterstützen, ihre Daten sicher und effizient in den Storage-Architekturen abzulegen.

Neue Impulse für Server-Geschäfte

Aus Sicht der Analysten von Gartner bietet die Neuauflage der Appliance-Idee den Herstellern eine Chance, ihre lahmenden Server-Geschäfte neu zu beleben. Obwohl der weltweite Server-Markt weitgehend gesättigt sei, werde es auch in den kommenden Jahren durchaus an der einen oder anderen Stelle neue Gelegenheiten für weiteres Wachstum geben, konstatiert Kiyomi Yamada, Principal Research Analyst von Gartner. Seiner Einschätzung nach ergeben sich diese Gelegenheiten, wenn beispielsweise die Nachfrage der Anwender nach bestimmten Typen von Workloads weiter ansteigt.

Gerade im Server-Markt tun sich die Hersteller allerdings nicht leicht, Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten, ergänzt sein Analystenkollege Jeffrey Hewitt, Research Vice President von Gartner. Das Geschäft mit den Hochleistungsrechnern sei heftig umkämpft, biete allerdings meist nur geringe Margen. "Das Übergewicht der standardisierten x86-Plattformen macht es für die Hersteller schwierig, ihre Produkte im Wettbewerb von denen der Konkurrenz abzugrenzen." Dafür müssten sich IBM, HP, Dell, Oracle und Co. etwas einfallen lassen. Eine Antwort darauf könnte aus Sicht des Gartner-Analysten sein, sich mit seinen Produkten der Idee integrierter Systeme anzunähern.

Cisco - mit Partnern zu Komplettangeboten

Neuen Schwung bekam die Appliance-Idee vor wenigen Jahren, als die großen IT-Anbieter das Thema wiederentdeckten. Den Anfang machte 2009 Netzspezialist Cisco mit seinem "Unified Computing System" (UCS). Die auf Blade-Systemen basierende Plattform integriert in erster Linie Server- und Netzbausteine. Dazu kommt eine Management-Suite, mit deren Hilfe Anwender ihre UCS-Infrastruktur verwalten können. Um seine Appliance-Strategie zu komplettieren, sucht Cisco Partnerschaften mit anderen IT-Anbietern, beispielsweise mit EMC und VMware, damit zusätzlich Storage- und Virtualisierungskapazitäten angeboten werden können.

Obwohl die Cisco-Verantwortlichen immer wieder den Erfolg ihrer UCS-Strategie beteuerten, setzen Experten bis heute ein Fragezeichen hinter die Server- und Data-Center-Ambitionen des Netzwerkspezialisten. Auch Cisco war in den vergangenen Jahren durch das schwierige wirtschaftliche Umfeld in Turbulenzen geraten. Der weltweite Primus für Netzequipment musste Mitarbeiter entlassen und seine Geschäfte neu organisieren. Beispielsweise wurde die mit viel Elan gestartete Consumer-Sparte rund um die Kamera "Flip" komplett eingestellt. Dieser Schlingerkurs sowie Äußerungen aus den Reihen des Topmanagements, man wolle sich künftig wieder stärker auf die eigenen Kernkompetenzen konzentrieren, schüren in Analystenkreisen Argwohn: Wird sich Cisco über kurz oder lang aus dem Server- und damit auch aus dem Appliance-Geschäft wieder verabschieden?

Der Konzern selbst bemüht sich, derartige Spekulationen zu entkräften. Nach Angaben des Managements wies das UCS-Segment in den beiden zurückliegenden Fiskaljahren die höchsten Wachstumsraten aller Produktkategorien aus. Von 196 Millionen Dollar im Geschäftsjahr 2010 legte die Sparte Data Center im darauffolgenden Jahr auf 694 Millionen Dollar zu und erreichte im Ende Juli abgeschlossenen Fiskaljahr 2012 sogar ein Volumen von knapp 1,3 Milliarden Dollar.

Cisco zufolge gibt es mittlerweile 11.000 UCS-Kunden weltweit. Außerdem werde kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Plattform gearbeitet. Erst Anfang August dieses Jahres hat der Konzern neue Systeme für sein Data-Center-Portfolio vorgestellt. Die dritte Generation der Computing-Plattform arbeitet mit den aktuellsten Xeon-Prozessoren von Intel. Außerdem sollen noch im laufenden Jahr die Management-Werkzeuge erweitert werden. Der UCS Manager soll künftig mehrere Domains mit mehreren tausend Servern über verschiedene Rechenzentren hinweg orchestrieren und verwalten können.

Grundsätzlich scheint der Netzwerkgigant sein Standing in Sachen Software verbessern zu wollen. Chief Technology Officer (CTO) Padmasree Warrior hatte erst im vergangenen Februar angekündigt, sich auf verschiedene Bereiche wie Applications, Management-Software und ein Betriebssystem für Netze konzentrieren zu wollen. Software werde in Zukunft ein entscheidender Faktor im Wettbewerb sein, erklärte die Managerin.

Hewlett-Packard - als Autodidakt Appliances gelernt

Auch Hewlett-Packard muss weiter an seinem Software-Stack arbeiten, um möglichst komplette Appliance-Lösungen im Markt anbieten zu können. Zwar ist der zurzeit größte IT-Konzern mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rund vier Milliarden Dollar der sechstgrößte Softwarehersteller weltweit. Doch von einer fokussierten Softwarestrategie konnte zuletzt keine Rede sein. Vielmehr besteht das Portfolio bis heute aus einer Ansammlung verschiedener Werkzeuge und Tools für unterschiedliche Bereiche wie beispielsweise Security und Systems-Management.

Ex-CEO Léo Apotheker, der zuvor den deutschen Softwarekonzern SAP geleitet hatte, wollte in seiner Amtszeit das Ruder stärker auf Softwarekurs legen. Fehlentscheidungen sowie eine mehr als unglückliche Kommunikationspolitik sorgten dafür, dass der Manager bereits nach einem Jahr wieder gehen musste. Seine Nachfolgerin Meg Whitman ist derzeit damit beschäftigt, die Fehler ihres Vorgängers zu korrigieren und HP wieder zu stabilisieren. Inwieweit im Rahmen der Rettungsaktionen auch eine dedizierte Softwarestrategie entwickelt wird, ist derzeit nicht zu erkennen.

Auf der Hardwareseite haben sich die HP-Verantwortlichen das Appliance-Handwerkszeug selbst beigebracht. Vor einigen Jahren ging der Konzern daran, die eigene IT-Infrastruktur grundlegend zu überarbeiten. Altsysteme wurden durch Standardarchitekturen ersetzt, die Applikationslandschaft bereinigt und die bis dato betriebenen 85 Rechenzentren auf nur noch drei Data Center konsolidiert. Mit diesen Maßnahmen sei es HP zufolge gelungen, die Hälfte der jährlichen IT-Ausgaben einzusparen sowie den Wartungsanteil zugunsten von Innovationen deutlich zu senken.

Aus diesem neuen Architekturkonzept entwickelte HP in der Folge seine Converged Infrastructure. Ziel dieser Produktstrategie ist es, bisher isolierte IT-Domänen für Applikationen, Rechner, Speicher, Netze und auch Rechenzentrums-Gebäuderessourcen zu integrieren. Sämtliche IT-Komponenten sollen sich dabei als Teil eines Ressourcen-Pools über ein einheitliches Management steuern und verwalten lassen. Die Lücken auf der Anwendungsseite versucht HP durch Partnerschaften mit den großen Softwareherstellern zu schließen.