Auf dem Weg ins Cyborg-Zeitalter

Wearables zwischen Hype und Business

04.03.2014
Von 
Klaus Hauptfleisch ist freier Journalist in München.

Erste virtuelle OPs

Ein anderes SAP-Video zeigt Google Glass mit SAP HANA als Cloud-Lösung im Klinikalltag. Ärzte erhalten bei der Visite sofort Diagnosebilder, Medikamentenvorgaben und andere Informationen. Die Einsatzmöglichkeiten für Datenbrillen im Klinikbetrieb reichen bis in den Operationssaal und von dort in den Hörsaal von Universitäten oder zu Spezialisten rund um die Welt.

Dies hat im August 2013 das Ohio State Wexner Medical Center mit der ersten LiveÜbertragung einer OP über Google Glass gezeigt. In Birmingham haben mehrere Chirurgen mit Hilfe von Google Glass über 160 Kilometer voneinander entfernt erstmals zusammen eine Operation vorgenommen, ebenso in Brasilien und im Highland Hospital der University of Alabama. Dabei wurde dem ausführenden Chirurgen vor Ort von seinem Kollegen indirekt das Operationsbesteck geführt.

Das Evena Medical Center aus Kalifornien hat auf Basis der Moverio-Technik von Epson eine Eyes-on genannte Brille entwickelt, mit der Krankenpersonal praktisch durch die Haut sehen kann, um Venen leichter lokalisieren zu können. Die Gartner-Analysten sehen auch Wearables für die persönliche Gesundheit und Fitness nicht nur als Consumer-Ware. Viele Produkte hätten Potenzial für das Gesundheits-Management in Unternehmen – oder als Payback- Köder von Krankenkassen.

Die Marktforscher haben in einem Report fünf besonders „coole“ Hersteller und Lösungen herausgestellt. Dazu gehört MC10 mit dehnbaren elektronischen Sensoren und Schaltkreisen, die wie digitale Tatoos eine Reihe von Biometriedaten einschließlich EKG aufnehmen können. Erste kommerzielle Anwendungen sind im Profitraining eingesetzte Checklight-Schutzkappen von Reebok mit LED-basiertem Ampelwarnsystem bei Kopfverletzungsgefahr.

Zephyr Technology entwickelt mit Biomodulen Lösungen für das Physio-Monitoring (PSM) über größere Entfernungen. Dazu gehört auch ein System namens PSM Training Echo, das auf über 300 Metern von bis zu 50 Sportlern mit Zephyrs Bioharness-Brustgurten oder Compression Shirts eine Reihe wichtiger Biometriedaten sammeln kann und sich im Training bewährt hat. Wearable Cloth könnte nach Smart Glasses in den kommenden Jahren laut ABI-Analyst Flood das nächste große Thema sein.

Auf dem Weg ins Cyborg-Zeitalter

Absehbar ist auch eine andere Entwicklung: Wearables dürften in Form von Neuro- oder ITK-Implantaten im menschlichen Körper platziert werden und damit das Zeitalter der Cyborgs, also der Mensch-Maschine-Hybriden, einläuten. So hat der farbenblinde britische Künstler Neil Harbisson mit einer Eyeborg genannten Vorrichtung aus Sensor und Kopfhörer gelernt, Farben zu hören, statt sie zu sehen.

Weil er sich weigerte, das Gerät für ein Foto zur Passerneuerung abzunehmen, wurde er vor zehn Jahren zum ersten staatlich anerkannten Cyborg. Die von ihm mitgegründete Cyborg Foundation widmet sich vor allem der Erforschung sensueller Substitute und setzt sich unter anderem zum Ziel, Eyeborg zum Implantat weiterzuentwickeln. Weltweit leben mehr als 100.000 Patienten mit Parkinson, Epilepsie und schweren Depressionen schon mit Hirnschrittmachern. Da scheinen intelligenzfördernde und leistungssteigernde Neuroimplantate nicht mehr weit.