ERP-Einführung

Verbiege ich die Software oder meine Firma?

27.08.2010

Standardsoftware plus Branchenspezifika

Dem widerspricht Andreas Lied, Chef des SAP-Konkurrenten Wilken, grundsätzlich nicht, sieht aber in Standardsoftware kein Allheilmittel. "Es gibt nicht den einen Standard, mit dem eine Vielzahl an Prozessen abgedeckt werden kann", gibt Andreas Lied zu bedenken, der den SAP-Mitbewerber Wilken aus Ulm leitet. "Wir liefern Basisfunktionen, die sowohl für einen Energieversorger als auch für eine Krankenkasse passen." Ergänzungen, um branchenspezifische Prozesse zu realisieren, erzeuge Wilken individuell die jeweilige Kundengruppe. "Der Bestellprozess bei einer Sparkasse muss ganz andere Randbedingungen erfüllen als bei einem Stadtwerk."

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ERP-Einführungen bieten die Chance, über bisherige Abläufe nachzudenken, appelliert IT-Leiter Reich. "Wer an ein neues Projekt herangeht, sollte die Chance nutzen, seine eigenen Prozesse in Frage zu stellen." Ihm zufolge sollten Firmen hier auf die Softwarehersteller zugehen, um Potenziale zu identifizieren. Eine neue Software sei wie ein Hausbau. Man hat noch alle Optionen, etwas zu ändern. Doch dafür müssen Veränderungen auch gewollt sein. "Prozesse im Unternehmen haben ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen. Ohne Änderungswillen vom Manager bis hinunter in die Linienfunktionen geht das nicht", kommentiert SAP-Mann Naunin. Reich kommt bei seinem ambitionierten ERP-Vorhaben entgegen, dass die Eigentümer seines Unternehmens die dafür erforderliche IT-Affinität mitbringen (siehe "Mittelständler wracken ERP-Systeme ab").

Oft löst veraltete Software den ERP-Wechsel aus

Doch nicht überall sind die Voraussetzungen so gut. Oft handeln Firmen bei der ERP-Einführung aus der Not heraus, meint Karsten Sontow, Vorstand des IT-Beratungshauses Trovarit AG aus Aachen. "Nicht selten ist das bestehende System total veraltet oder sogar nicht mehr verwendbar. Diesen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als die bestehenden Abläufe so rasch wie nur möglich in der neuen ERP-Lösung abzubilden."

Kurze Projektlaufzeiten sind auch unter Normalbedingungen erwünscht. "Von den 350 einschlägigen Projekten, die wir im letzten Jahr abgewickelt haben, konnten die meisten innerhalb der vorgesehenen Zeit umgesetzt. Die Kunden hatten sich für branchenorientierte Standardlösungen entschieden", so Naunin. Der Hunger nach Individualisierung komme oft erst danach. Hier sollten sich die Firmen genau fragen, was die jeweilige Anpassung bringt. So lässt sich die Anzahl der Sonderwünsche kräftig reduzieren. Dem pflichtet Reich bei: "Ein Projekt steht und fällt mit dem Projektleiter, der die Führungsverantwortlichen für sich gewinnt."