Mobilfunkmesse 3GSM World: Breite Abwehrfront gegen Microsoft

UMTS und WLAN sind keine Konkurrenten

28.02.2003
CANNES (hi) - Auf der Mobilfunkmesse 3GSM World in Cannes wurde zwar viel über UMTS geredet, doch für den professionellen Anwender ist dies nur ein weiteres Transportmedium, das ihm künftig neben Wireless LANs zur Verfügung steht. Ganz pragmatisch sahen auf der Messe IT- und TK-Branche beide Funkverfahren nicht mehr als Konkurrenten, sondern als komplementäre Technologien.

Auf den ersten Blick könnte die diesjährige 3GSM World in Cannes eigentlich als voller Erfolg gewertet werden: Der Heilsbringer UMTS, der mit höheren Bandbreiten dem Mobilfunkmarkt zu neuem Schwung verhelfen soll, ist endlich im Anmarsch. Mit einer funktionsfähigen UMTS-Funkzelle demonstrierten die Aussteller das Potenzial der neuen Technik in Form von unidirektionalen Videoübertragungen oder Videokonferenzen über die ersten Handys der dritten Mobilfunkgeneration (3G), wie UMTS auch bezeichnet wird.

Eher ernüchternd dürfte dagegen für den IT-Entscheider das Messeresümee ausfallen, wenn er sich die Frage stellt, wie sein Unternehmen von der künftigen mobilen Welt profitieren soll. Die TK-Industrie entwickelte nämlich bislang wenig Phantasie, um den Corporate Customer von den Vorzügen der schnelleren UMTS-Netze zu überzeugen - und die Multimedia Messages, Klingeltöne oder animierte Bilder zum Download sowie die bereits hinlänglich bekannten Location Based Services (etwa zur Restaurantsuche) dürften Unternehmen wenig Mehrwert bieten. Angesichts der andauernden Einfallslosigkeit witzelte man in Cannes bereits darüber, ob 3G für "Girls, Games und Gambling" stehe.

Dagegen gab es in Cannes keine Diskussionen mehr darüber, ob UMTS aufgrund der schnellen Verbreitung von Hotspots mit WLAN-Technik seine Bedeutung für die professionelle Datenkommunikation verlieren wird. Vertreter der TK-Branche und der IT-Industrie bewerteten beide Funkverfahren unisono als komplementäre Techniken. Unter Integrationsaspekten sollte der IT-Manager deshalb neben WLANs auch UMTS in seine Entscheidung vorwegnehmend einbeziehen.

Aus technischer Sicht gibt das Sinn, denn letztlich handelt es sich in beiden Fällen um IP-Netze, die sich eigentlich nur in der physikalischen Übertragungsmethode auf Netzebene 2 unterscheiden. Damit, so argumentiert etwa Jonathan Hindle, Strategic Technology Manager Mobile Networking bei Cisco, bereite es einem Carrier, der bereits ein IP-Backbone besitzt, wenig Probleme, sowohl Hotspots mit WLAN-Technologie zu betreiben als auch gleichzeitig UMTS anzubieten.

Für Chris Bray, IBMs Chef für das Wireless E-Business in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (Emea), könnte sich dabei folgendes Szenario herauskristallisieren: An öffentlichen Plätzen wie Messen oder Flughäfen, wo mit einem hohen Datenaufkommen zu rechnen ist, ergänzen Hotspots die eher für die Fläche ausgelegte UMTS-Infrastruktur. Ins gleiche Horn stößt Marc Rotthier, HP-Vice-President für Europa, den Mittleren Osten und Afrika (Emea), der zudem davon überzeugt ist, dass UMTS nicht die erforderliche Bandbreite aufweist, um an hochfrequentierten Orten alle potenziellen User zu versorgen.

Das Bild einer konvergenten Welt aus Hotspots und UMTS hat jedoch noch einen Schönheitsfehler. In der Praxis funktioniert das Roaming zwischen Mobilfunknetz und WLAN-Hotspot - also der einfache, im besten Fall sogar unterbrechungsfreie Wechsel zwischen den beiden Netzen - noch nicht. Über diese Tatsache können auch Endgeräte wie Samsungs "Nexio S155" oder Nokias Dualuse-Funkkarten für Notebooks, die sowohl WLANs als auch Handy-Netz unterstützen, nicht hinwegtäuschen. Das Einloggen in unterschiedliche Hotspots klappt heute ebenfalls nicht problemlos.

Mobile IP für das Roaming

Ein erster Ansatz, die lästigen Konfigurationsarbeiten für den normalen Geschäftsreisenden ohne großes Netzwerk-Know-how zu vereinfachen, ist Intels "Configuration Guideline for Hotspots". Diesen Leitfaden hat der Chiphersteller im Rahmen seiner Centrino-Strategie - einer Chipfamilie für Notebooks mit integrierter WLAN-Funktionalität - erarbeitet, um Hotspot-Betreiber zu einer einheitlichen, funkzellenübergreifenden Konfiguration zu bewegen. Langfristig, so Stacy Smith, Intel-Vice-President Emea, muss das Ziel aber ein automatisches Roaming sein. Eine Lösung hierfür könnte "Mobile IP" sein. Allerdings ist sich die Industrie noch uneins darüber, welche Voraussetzungen hierzu erforderlich sind. Während etwa Cisco-Manager Hindle die Ansicht vertritt, dass entsprechende Roaming-Szenarien bereits heute mit IP, Version 4, zu realisieren sind, erfordert dies laut Maurice Merks, Chief Technology Officer der Network & Service Provider Business Unit bei HP, IPv6. Merks begründet diese These damit, dass für ein reibungsloses Roaming jedes Endgerät eine eigene IP-Adresse benötigt. Und dies könne aufgrund des knappen Adressraumes von IPv4 erst mit der nächsten Generation des Internet-Protokolls gewährleistet werden.

Mobile Applikationen

Der erwartete Siegeszug zweier breitbandiger Funkverfahren führt aber nicht dazu, dass im professionellen Umfeld das Rad in Sachen Applikationen neu erfunden wird. Der Einsatz mobiler Anwendungen rechnet sich auch künftig nur in den bereits bekannten klassischen Anwendungsszenarien. Hierzu zählen laut IBM Wireless-Chef Bray etwa das Fahrzeugflotten-Management, Applikationen für Wartungsdienste oder Außendienstmitarbeiter sowie der Distributionsbereich, also beispielsweise Paketdienste.

Dabei gibt es für den IT-Entscheider, wie die Messe in Cannes zeigte, nach wie vor keine Standardlösung, wie er sie etwa aus dem ERP- oder SCM-Umfeld kennt. Unter Integrationsaspekten muss der Anwender etwa passende Mobility-Plattformen wählen und auf die verwendeten Endgeräte und ihre Betriebssysteme achten, da diese nur für jeweils spezifische Einsatzgebiete geeignet sind.

Hinsichtlich der Anbindung mobiler Applikationen an die Backend-Systeme eröffnen sich mehrere Wege. So propagieren die Partner Nokia und Oracle die "Collaboration Suite" des Datenbankherstellers als Messaging-Plattform für den mobilen Mitarbeiter. Eine andere Option ist IBMs Middleware "Websphere", die als Grundlage für eine gemeinsam mit Nokia entwickelte "Wireless-Enterprise-Delivery"-Umgebung dient. Mit der "Mobile-Service-Delivery"-Plattform für Carrier und Unternehmenskunden mischt HP ebenfalls im Business-Segment mit. Zudem betreibt die Company mit dem HP-Bazaar (www.hpbazaar.com) eine Art Marktplatz für mobile E-Services-Applikationen. Hier findet der Anwender mobile Anwendungen von rund 600 unabhängigen Programmierern. Ein weiterer Lösungsansatz ist die "Tamino Mobile Suite", die jüngste Entwicklung der Software AG.

Angesichts der Komplexität und der Vielfalt des Angebots lassen sich mobile Anwendungsszenarien ohne externe Integrationshilfe kaum realisieren. Nicht umsonst verweisen die IT-Companies deshalb interessierte Kunden an ihre Mobility Labs, die dann im Einzelfall dem jeweiligen Szenario angepasste Migrationsschritte gemeinsam etwa mit Mobilfunkanbietern, Netzausrüstern und Applikationsentwicklern erarbeiten.

Datenformate

Ebenso wenig erhält der Anwender einheitliche Aussagen darüber, welche Programmiersprachen oder Datenformate sich in der mobilen Welt durchsetzen. Während etwa Peter Svanberg, Worldwide Director Mobile Solutions bei HP, J2EE eher den Applikationen im Consumer-Bereich zuordnet und für das Enterprise Business .NET propagiert, hat Intel noch keine eindeutigen Präferenzen. Nach Einschätzung des Chipherstellers sind sowohl XML, Oracle-Datenbanken, Linux, .NET und Java gleichermaßen für mobile Anwendungen geeignet.

Dass es hierfür bisher keinen plattformübergreifenden, standardisierten Ansatz nach Art der Web-Services gibt, könnte für Microsoft eine Chance sein, doch noch im Handy-Markt Fuß zu fassen. Der Gedanke, mit Windows eine einheitliche Betriebssystem-Plattform vom Smartphone über PDAs bis hin zum Server zu besitzen, hat durchaus Charme.

Momentan hat Microsoft jedoch schlechte Aussichten, Windows als Betriebssystem für Smartphones zu etablieren. Auch wenn sich zurzeit kaum ein Anbieter endgültig auf eine Betriebssystemplattform für die Mobilgeräte festlegen will, zeigte sich in Cannes doch eindeutig, dass die Mobilfunkbranche Microsoft den Zutritt mehrheitlich verwehren möchte. So musste der Softwaregigant am Vorabend der 3GSM World mit dem klaren Nein Samsungs, des weltweit drittgrößten Handy-Produzenten, zu Windows-gestützten Smartphones eine empfindliche Schlappe einstecken. Vor dieser Niederlage verblasst auch Microsofts Erfolg mit T-Mobile. Die Mobilfunker wollen ab Sommer ein Handy mit Windows-Betriebssystem vermarkten (siehe CW 8/2003, Seite 7). Mit der Abwehrfront gegenüber Windows-Smartphones endet dann aber bereits die Gemeinsamkeit. Mehr denn je ist offen, welche Endgerätegattung und welches Betriebssystem sich in der mobilen Welt von morgen durchsetzen werden. Machen Smartphones, PDAs oder Notebooks und verwandte Neuentwicklungen wie Microsofts Tablet PC das Rennen? Oder werden, wie Hans Geyer, Intel-Vice-President und General Manager der PCA Components Group, vermutet, Anwender geneigt sein, alle Produktgattungen zu nutzen: den PDA als Ausgabegerät, das Daten in Echtzeit zur Verfügung stellt, das Smartphone, um auch in der Freizeit per E-Mail erreichbar zu sein und mit Notebooks unterwegs neue Dokumente zu erstellen.

Wie offen diese Frage ist, zeigt Intels jüngste Produktoffensive: Mit dem "PXA800F", Codename "Manitoba", steigt der Chiphersteller, bislang mit Mobile-Pentium- und Xscale-Prozessoren eher für sein Engagement im Notebook- und PDA-Markt bekannt, in das Handy-Geschäft ein. Mit Manitoba vermarktet Intel eine Ein-Chip-Lösung zum Bau von Smartphones, die GSM/GPRS-Radio, Applikationsprozessor sowie Flash-Memory integriert. Wie die im Handy-Bereich bereits etablierten Chipkonkurrenten Texas Instruments oder Motorola zeigt sich Intel dabei in Sachen Betriebssystem nach allen Seiten offen. Der PXA800F soll für alle gängigen Smartphone-Betriebssysteme wie Windows, Symbians Epoc, oder Linux geeignet sein.

Angeklickt

- UMTS und WLAN - zwei Technologien ergänzen sich.

- Smartphone, PDA und Notebook erobern sich spezifische Einsatzgebiete.

- Verschiedene Migrationswege in die mobile Welt.