Groupware bringt neben neuen Moeglichkeiten auch viele Gefahren

Technische und menschliche Kommunikation ergaenzen sich

12.03.1993

Mit Groupware, so heisst es, steht ein computergestuetztes Konzept fuer die Teamarbeit bereit, die zur tragenden Saeule eines neuen Organisationsverstaendnisses werden kann. Groupware verlangt von Unternehmen wesentlich mehr als das blosse Erfuellen technischer Voraussetzungen.

Der Einsatz dieser Technologie macht erst dann Sinn, wenn die Struktur einer Organisation sowie die Arbeitsweise in ihren Gruppen auf die grundsaetzlich neue Kooperationsform eingestellt sind.

"Ohne eine fundamentale Revision von Strukturen und Ablaeufen ist jede mit neuen Techniken verbundene Hoffnung auf bessere Zeiten zum Scheitern verurteilt", so die skeptische Analyse von Barbara Mettler-Meiboom. Die Essener Professorin und Vertreterin des Forschungszweiges Kommunikationsoekologie untersucht seit Jahren die technisch bedingten Eingriffe in die Kommunikationsbeziehungen von Menschen.

IDC rechnet mit kraeftigem Wachstum

"Kreativitaet ist ein vorrangiges Erkennungsmerkmal flexibler Strukturen und frei entfalteter Persoenlichkeiten. Ihr volles Potential erschliesst sich nur in direktem Dialog und nicht in technisch vermitteltem Kontext", betont die Wissenschaftlerin.

Groupware-Systeme gibt es seit etwa zwei Jahren. Bereits heute wird in etwa 15 Prozent aller Local Area Networks (LANs) Groupware eingesetzt. Nach Einschaetzung der IDC wird der Markt fuer Groupware in den naechsten Jahren aehnlich kraeftig wachsen wie der fuer E-Mail seit Beginn der 90er Jahre.

Mit dieser Entwicklung rechnen die Experten allerdings nicht vor 1994. Viele Anwender von Groupware machen sich der IDC-Analyse zufolge derzeit in Projekten mit der neuen Netztechnologie vertraut. Eine umfassende Investition in Groupware und die damit verbundene Veraenderung von Strukturen und Arbeitsformen will wohlueberlegt sein.

Groupware-Systeme stellen eine Plattform zur Verfuegung, auf der sich massgeschneiderte Programme und Loesungen realisieren lassen. Notwendig dazu sind leistungsstarke Konzepte am Arbeitsplatz, vom PC bis zur Workstation. Produktivitaet wird erst durch die Verknuepfung beispielsweise von Standardsoftware und individuellen Arbeitsumgebungen erzielt. Voraussetzung dafuer ist ein leistungsfaehiger unternehmensweiter Datenverbund in Client-Server- Architekturen.

Eine Groupware-Architektur zeichnet sich durch verteilte und automatisch replizierbare Datenbanken aus, die auf PCs oder Workstations, aber auch auf Servern in lokalen und ueberregionalen Netzwerken gehalten werden koennen. Sollen Informationen an unterschiedlichen Verwendungsorten staendig verfuegbar sein, ist eine verteilte Datenbankstruktur erforderlich.

Durch gemeinsam genutzte Datenbestaende wird nicht nur doppelte Arbeit vermieden, sondern auch der Austausch von wichtigem Know- how unterstuetzt. Die Datenhaltung mit Groupware muss keinem festen Format entsprechen, sondern kann frei strukturiert werden.

Im Sinne der Datenintegritaet werden alle Daten automatisch gesichert und auf den neuesten Stand gebracht. Dies gilt sowohl fuer den LAN-Bereich als auch fuer die mit Hilfe von Modem- Verbindung oder gegebener ISDN-Infrastruktur realisierbaren Wide Area Networks (WAN). Geografische und zeitliche Abstimmungsprobleme gehoeren der Vergangenheit an.

Besonderes Augenmerk gilt der Unterstuetzung integrierter Gruppenkommunikation. Leistungsstarke Groupware-Systeme werden sowohl Electronic Conferencing und Electronic Mailing als auch Management-Informationssysteme aufweisen muessen. Zusaetzliches Kennzeichen des Workgroup-Computing-Konzeptes, auf dem Groupware aufbaut, ist das integrierte Text- und Dokumenten-Management.

Elektronische Formulare finden auf frei definierbaren Wegen quer durch Organisationsstrukturen zu ihren Adressaten, und Texte und Dokumente lassen sich nach beliebigen Kriterien suchen oder archivieren. Erstmals kann man mit Groupware Ablaufstrukturen unternehmensweit automatisieren. Jeder Mitarbeiter bleibt auf dem laufenden und kann sich durch einen Blick in die jeweilige Datenbank vom Fortschreiten eines speziellen Vorgangs oder Projektes ueberzeugen.

Wesentlich fuer die Attraktivitaet eines Groupware-Programmes sind seine Import- und Exportfunktionen. Anwender von Programmen der Textverarbeitung, Tabellenkalkulation oder Grafik erhalten damit Gelegenheit, miteinander in Austausch zu treten, ohne ihre jeweils benutzte Applikation zu verlassen. Mit Unterstuetzung von Object Linking and Embedding (OLE) etwa wird eine solche Integrationsleistung realisiert. OLE unterstuetzt einerseits die Einbindung von Datenobjekten in Dokumente und gewaehrleistet andererseits die jederzeit abrufbare Ruecknahme in die urspruengliche Programmumgebung. Das Bearbeitungsniveau bleibt dabei erhalten.

Andere Konventionen zur Regelung des direkten Datentransports zwischen Programmen sind zum Beispiel Suns Tooltalk oder Hewlett Packards OMF (Object Management Facility). Die Vielzahl solcher firmeneigener Entwicklungen zeigt dem systemuebergreifenden Anspruch von Groupware vorlaeufig noch seine Grenzen auf.

Zur Loesung von vielfaeltigen Integrationsaufgaben sollte Groupware eine auf dem Graphical User Interface (GUI) basierende Benutzer- Schnittstelle auf den derzeit wichtigsten Plattformen wie DOS, Windows, OS/2, Macintosh und Unix in einer Client-Server- Architektur besitzen.

Software-Engineering rueckt in den Mittelpunkt

Ebenfalls erforderlich ist eine Unterstuetzung der weitverbreiteten Netzstandards wie Novell, Token Ring oder Ethernet. Moeglichkeiten zur Integration in betriebliche Mainframe- oder Minicomputer-Systemumgebungen sowie zur Anpassung vorhandener E-Mail-Umgebungen, zum Beispiel IBM Profs oder Novell MHS, sollten vorhanden sein.

Mit Blick auf die stetig wachsenden Anforderungen an leistungsfaehige Groupware-Systeme rueckt das Software-Engineering in den Mittelpunkt. Application Programming Interfaces (APIs) garantieren bereits heute eine plattformunabhaengige Gestaltung der Groupware-Leistungsprofile. Umgekehrt ist es auch notwendig, dass Teammitglieder ihre Arbeitsweise mit der des Groupware-Systems harmonisieren und es konsequent nutzen.

Wenn beispielsweise neben dem Groupware-System noch andere Formen der Terminkoordination verwendet werden, ist die Festlegung von Gruppenterminen gefaehrdet. An diesem Beispiel aber wird bereits eine der Grenzen deutlich, die fuer den Groupware-Einsatz bestehen.

Der deutsche Groupware-Markt hat noch laengst nicht die Dimensionen angenommmen, die beispielsweise in den USA bereits vorherrschen. Einige Softwareprogramme versprechen den Schritt in Richtung Workgroup Computing. Dabei werden unterschiedliche Konzepte von Groupware angeboten: Die Rede ist von gemeinsamen und gleichzeitig verteilten Datenbanksystemen, von uebergreifender Projekt- und Terminplanung sowie ausgefeilten E-Mail-Systemen. Unabhaengig von der jeweils gebotenen Softwarekompetenz sind es insbesondere organisationsspezifische Kriterien, welche die Auswahl eines Systems bestimmen.

Waehrend vor allem grosse Unternehmen und Organisationen wie Mercedes Benz, Opel, BP, British Airways, Scotland Yard oder Price Waterhouse grossflaechig "Lotus Notes" einsetzen, sind andere Groupware-Angebote eher in kleineren Unternehmen erfolgreich. Insbesondere zur effizienteren Gestaltung der Bueroarbeit bieten sich Systeme wie "Higgins" von Enable oder "Coordinator" von Action Technologies an.

Wie sieht der gewoehnliche Bueroalltag aus? Die Haelfte der Zeit wird benoetigt fuer zaehe Terminabstimmungen, umstaendliche Delegation von Aufgaben inklusive Kontrollverfahren und Berichterstellung. Das hier zutage tretende Rationalisierungspotential laesst sich gezielt mit geeigneter Groupware erschliessen. Dahinter steht der Gedanke, Menschen und Aufgaben schneller und effizienter miteinander zu verbinden.

Ein voellig anderes Bild von Groupware droht man allerdings beim Blick auf die starren Positionen der Hersteller von Betriebssystemen zu bekommen. Sie bemuehen sich nur zoegerlich, Grundlagen fuer Workgroup-Computing in ihre Betriebssysteme zu integrieren. Hersteller von Groupware muessen eigentliche Betriebssystem-Funktionen wie Datenintegritaet im Teamzugriff, Sicherheit und uebergreifende Dateiverwaltung selbst einbringen.

Gerade grosse Organisationen funktionieren nicht durch blosse Regelung der foermlichen Funktionskompetenzen. "Dienst nach Vorschrift" paralysiert bekanntlich voellig. Eher positiv wirken sich Geflechte von informellen Beziehungen aus, dort finden auch die eigentlichen Weichenstellungen statt.

Anstelle von Abhaengigkeiten ist die Selbstorganisation handelnder Individuen gefragt. Konzepte der Kommunikation und Kooperation loesen die starren Strukturen von gestern ab, auch wenn die Angst vor autonomen und sich selbst steuernden Gruppen den Fuehrungsgremien heute noch viel Unbehagen bereitet. Aus Verstaendigung und Dialog erwachsen wettbewerbsentscheidende Faktoren.

Groupware birgt wie auch andere informationstechnische Innovationen ein nicht zu unterschaetzendes Risikopotential. In dem Masse, wie sich die Leistung jedes einzelnen Mitarbeiters nachvollziehen laesst, waechst gleichzeitig die Gefahr des Missbrauchs. Groupware koennte also auch der Restauration klassischer Hierarchiestrukturen Vorschub leisten.

Wer wann was gemacht hat oder auch nicht, laesst sich mit Hilfe von Groupware ziemlich exakt feststellen. Erinnerungs- und Warnfunktionen sowie der Zwang zu raschen Antworten oder Aktionen koennen leicht als Bevormundung empfunden werden.

Voraussetzung fuer einen sinnvollen Einsatz dieser Technologie ist also eine klare Kursbestimmung in Richtung netzorientierter Zusammenarbeit. Die fruehzeitige Einbeziehung der Mitarbeiter in den Planungsprozess ist deshalb notwendig. Ohne Akzeptanz durch die Gruppe ist Groupware zum Scheitern verurteilt.

Sprache als Kulturleistung

Der Wunsch nach immer mehr Information und Kommunikation - aus Gruenden des technologischen Fortschritts und zunehmender globaler Vernetzung - sollte sich nicht allein auf die Entwicklung von Software konzentrieren, die Interaktion und Kooperation von Menschen auf das technische System beschraenkt. Gespraeche zwischen Menschen sind nicht ohne Verlust auf schematischen Nachrichtenaustausch reduzierbar.

Professor Klaus Henning, der in einem an der Rheinisch- Westfaelischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen durchgefuehrten Projekt die Chancen und Risiken informationstechnischer Netze untersucht, verweist auf die Bedeutung unmittelbarer Kommunikation: "Die Entwicklung der Sprache ist die grundlegende Kulturleistung des Menschen. Durch Sprechen und Hoeren entfaltet der Mensch seine Persoenlichkeit." Das sollte Leitlinie jedes computergestuetzten Konzeptes der Teamarbeit sein.

Die Losung "Freie Kommunikation fuer alle" muendet ohne breite Akzeptanz unter Mitarbeitern in eine allgemeine Kommunikations- Sackgasse. Eine Organisation, die sich auf selbstaendige und verantwortungsbereite Menschen stuetzt, darf ihnen nicht die Moeglichkeiten beschneiden, sich im direkten Austausch untereinander als soziale Wesen zu erfahren. Wenn die Technik zwischenmenschliche Kontakte hingegen noch unterstuetzt, duerfte der Produktivitaetsgewinn erheblich sein.

"Aus kommunikationsoekologischer Perspektive muessen sich technische Konzepte dem Vorrang sozialer Verstaendigung zwischen Menschen beugen", so die Essener Professorin Mettler-Meiboom. "Ignorieren sie dies aber und geben vor, auf Face-to-face-Kontakt, Rhetorik, koerperliche Naehe und Distanz verzichten zu koennen, ist ihr Gefaehrdungspotential nicht zu unterschaetzen." Eine Technologie, die vermittelte und unmittelbare Kommunikation miteinander in Einklang bringt, wird eine grosse Zukunft haben. Es koennte Groupware sein.

* Winfried Gertz ist Mitarbeiter der PR-Agentur Beiersdorff, Muenchen.

Groupware: Kernpunkte fuer das Management

- Groupware ist im Prinzip nichts anderes als ein Werkzeug zur Computerunterstuetzung der Teamarbeit. Kernziel ist ein einheitlicher Informationsstand der Gruppenmitglieder in bezug auf eine Aufgabe, um dadurch die Teamproduktivitaet zu verbessern.

- Die hohe Transparenzwirkung der Groupware kann bei Mitarbeitern Akzeptanzhuerden aufbauen. Bei der Einfuehrung von Groupware ist eine fruehzeitige und umfassende Einbeziehung der betroffenen Mitarbeiter zu beachten. Ohne Akzeptanz durch die Gruppe ist Groupware zum Scheitern verurteilt.

- Die am Markt verfuegbaren Softwarewerkzeuge weisen einen sehr unterschiedlichen Funktionsumfang auf und muessen an die Organisation der Gruppenarbeit angepasst werden.

Quelle: Diebold