Zurück zum ERP-Standard

Selbstgestrickt ist out

01.06.2010
Von Kirsten  Bruns

Sechs statt 90 Auftragsarten

Im konkreten Fall eines mittelständischen Unternehmens ergab die automatisierte Systemanalyse, dass von 90 unterschiedlichen Auftragsarten in der Vertriebsorganisation tatsächlich nur 18 genutzt wurden. Durch den nachfolgenden Prozessvergleich konnte die Zahl der Auftragsarten schließlich sogar auf nur noch sechs verringert werden.

In der Regel empfiehlt sich die Ablösung individueller Programmierungen immer dann, wenn sich Prozesse durch Standardfunktionen abdecken lassen. Aber auch wenn Eigenentwicklungen sehr umfangreich sind oder nur noch von wenigen Programmierern betreut werden können, sollten IT-Verantwortliche darüber nachdenken, sie zu ersetzen.

Prozesse modellieren

Ein Standardisierungsprojekt benötigt auch eine Strategie. Sie sollte im Idealfall die vier Bereiche Technologie, Organisation, Daten sowie Prozesse beschreiben. Eine der Kernaufgaben bei der Rückführung individueller Programmierungen in den SAP-Standard ist die Modellierung und Anpassung der Prozesse. Das beinhaltet zum einen, neue Rollen zu definieren und organisatorische Änderungen zu etablieren (Change-Management). Zum anderen müssen nicht mehr benötigte Organisationsstrukturen, Programme, Objekte, Tabellen, Reports und Customizing-Einstellungen identifiziert und gelöscht werden. Ein kritischer Aspekt ist auch die Datenübernahme von der Eigenentwicklung in den SAP-Standard. Deshalb sind Datenanpassungen und -migrationen sorgfältig zu planen, zu prüfen und zu koordinieren.

SAP-Standard richtig erweitern

Als SAP-Standard wird der Gesamtumfang der Funktionen bezeichnet, den ein von der SAP ausgeliefertes System wie etwa SAP ERP enthält. Standardfunktionen lassen sich modifikationsfrei und ohne zusätzliche Programmierung durch Parametrisierung vorbereiteter Tabelleneinträge kundenindividuell anpassen.

Zudem lassen sich die Kernfunktionen durch Programmierungen um neue oder branchenspezifische Funktionen erweitern. SAP stellt hierzu mit User Exits, Customer Exits, Business Transaction Events (BTE), Modifikationsassistenten oder Business Add-Ins (BAdIs) verschiedene Modifikations- und Erweiterungskonzepte bereit. Die Erweiterungen können nicht an jeder beliebigen Stelle eines Quelltextes oder einer Methode eingefügt werden, sondern nur an fest definierten Stellen (Enhancement Points). Das sind Ankerpunkte, an denen neuer Quelltext oder neue Attribute eingeklinkt werden.

Change-Management beachten

Zu den besonders sensiblen Aufgaben gehört es, die Vorbehalte der Endanwender abzubauen. Arbeiten beispielsweise Mitarbeiter im Vertrieb und Service seit Jahren zuverlässig mit einer individuellen SAP-Programmierung, betrachten sie diese als ihren "Standard". Der tatsächliche Standard der Applikation muss dann erst den Beweis antreten, dass er "besser" ist, damit er akzeptiert wird.

Das Ablösen der Eigenentwicklung verändert gewohnte Prozessabläufe und damit das Arbeitsverhalten wie auch das Rollenverständnis der Mitarbeiter. Häufig scheitern Standardisierungsprojekte jedoch am fehlenden Change-Management. Deshalb müssen Fachabteilungen und Endanwender frühzeitig und aktiv in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Wichtig ist, dass vor allem Themen wie effiziente Oberflächen, Arbeitsvorräte, Workflows und Automatisierungen beachtet werden. Das fördert die Akzeptanz und erhöht die Bereitschaft, mit den SAP-Standardfunktionen zu arbeiten.