Die Zukunft gehört Unix, und wer Unix nicht will, wählt Windows

Selbst Steven Jobs setzt bei Next auf Unix als Kern

17.04.1992

Auf über vier Millionen Unix-Rechner aller Größenklassen schätzt das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC den weltweiten Bestand an Computern, die unter Unix betrieben werden. Bei weit über der Hälfte der Rechner handelt es sich nach Recherchen der Auguren um PCs und Workstations. Der Siegeszug von Unix, aber auch das Windows-Powerplay von Microsoft haben den Vormarsch von OS/2 praktisch gestoppt.

An jeden Arbeitsplatz einen eigenen Rechner - das ist das traditionelle Dogma beim Einsatz von PCs. Die Beschränkung auf einen Arbeitsplatz pro PC hängt wesentlich damit zusammen, daß die Rechner der ersten Generationen nicht leistungsfähig genug waren, mehrere Benutzer gleichzeitig zu unterstützen. Das Dogma hängt aber auch mit den Vorstellungen von DV-Persönlichkeiten wie Steven Jobs (damals Apple, heute Next) und Bill Gates (Microsoft) zusammen, die die "Befreiung des Endbenutzers von der Zentralgewalt der Großrechner" als Ziel propagierten.

Konsequenterweise hat sich MS-DOS als Singleuser-Betriebssystem zum Standard in der PC-Welt gemausert. Weit über 30 Millionen PCs weltweit arbeiten nach Schätzung von IDC mit MS-DOS. Gemessen am PC-Bestand von mehr als 50 Millionen Geräten, entspricht das einem Anteil von über 75 Prozent (ohne Berücksichtigung von Heimcomputern). Nach wie vor schleppend ist hingegen die Verbreitung von OS/2, das einst von IBM und Microsoft als Nachfolge-Betriebssystem für MS-DOS konzipiert wurde. IDC geht von einem weltweit installierten Bestand von unter einer Viertelmillion OS/2-Paketen zum Ende 1991 aus. Vieles deutet darauf hin, daß OS/2 in der Zange zwischen Unix einerseits und Windows andererseits nur geringe Zukunftsaussichten hat.

Unix konkurriert in der Intel-Welt mit OS/2

Unix fand in die Intel-Welt, in der es heute gegen OS/2 konkurriert, 1982 den Einstieg - ein Jahr, nachdem die IBM in den USA ihren ersten PC unter MS-DOS auf den Markt gebracht hatte. Damals taten sich zwei Veteranen der PC-Softwarebranche zusammen, um Unix von der PDP-Minicomputerbasis von DEC auf Intel-Prozessoren zu übertragen. Die Unternehmen waren die 1975 gegründete Microsoft aus Seattle und die 1979 entstandene Santa Cruz Operation (SCO) aus Santa Cruz. Mitte 1983 brachten die beiden Partner unter der Lizenz von AT&T die erste Unix-Version für PCs mit den Prozessoren 8088 und später 8086 auf den Markt. Da AT&T den Namen Unix hatte schützen lassen, nannten Microsoft und Santa Cruz ihre PC-Version Xenix. Der Durchbruch für PC-Unix begann allerdings erst zwei Jahre später mit Xenix für die 16-Bit-CPU 80286. 1986 begannen andere Softwarehäuser mit der Entwicklung von Anwendungssoftware auf der Basis von Xenix. Heute gibt es mehrere tausend Applikationen. Die Palette reicht von betriebswirtschaftlichen Programmen über branchenspezifische Software bis hin zu Speziallösungen.

SCO-Unix, 4.0, für 386- und 486-Rechner optimiert

Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung PC-Unix wurde getan, als Santa Cruz Operation und Microsoft 1987 Xenix auf den damals neuen Prozessor Intel 80386 übertrugen. SCO Xenix System V 2.2 war eines der ersten auf dem Markt verfügbaren Betriebssysteme, das die Leistungsfähigkeit der 80386-CPU in vollem Umfang ausschöpfte (Native Modus). Die jüngste Version SCO Unix System 4.0 ist für 386- und 486-Rechner optimiert, unterstützt zusammen mit entsprechender Hilfssoftware (MPX).Multiprozessor-Systeme mit bis zu 30 CPUs und ist in weniger als 20 Minuten auf Intel-Rechnern installierbar.

Während SCO jetzt mit Open Desktop den Sprung von der PC- in die Workstation-Welt vollzieht, heizen die Intel-Portierung von Next, die Solaris-Aktivitäten von Sun und das Univel-Joint-venture von USL und Novell den Unix-Wettbewerb weiter an. Für welche dieser Alternativen sich der Anwender entscheidet - es ist in jedem Fall Unix.

Aus Sicht des Anwenders sprechen gute Gründe für Unix. Das gilt insbesondere auch für den Intel-PC-Bereich, in dem OS/2 konkurrieren will. So können an einen mit Unix ausgestatteten PC, der entsprechend hochgerüstet ist, ohne weiteres 30 Bildschirm-Arbeitsplätze (Terminals) angeschlossen werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Während ein PC je nach Ausstattung über 3000 (mit 80286-Chip) beziehungsweise über 6000 Mark (mit 80386-Chip) kostet, sind Terminals guter Qualität für rund 1000 Mark pro Stück zu haben. Die Rechnung geht auf. 30 im lokalen Netzwerk miteinander verbundene PCs unter MS-DOS oder OS/2 kosten mindestens 100 000 Mark. Für einen Hochleistungs-PC unter Unix mit 30 angeschlossenen Terminals muß man rund 50 000 Mark berappen. Die Mehrplatz-Lösung unter Unix kostet also nur etwa die Hälfte der LAN-Konfiguration.

Der Kostenvorteil der Unix-Lösung findet nach Beobachtung von Dataquest besonders bei Kleinbetrieben und mittelständischen Unternehmen Anklang. So richten sich beispielsweise etwa zwei Drittel der für SCO Unix und Open Desktop verfügbaren Anwendungsprogramme an Branchen, die typischerweise von kleineren Unternehmen dominiert werden (Bäckereien, Metzgereien, Gastronomie, Reifenhandel etc.).

Die Entscheidung für Unix als PC- oder Workstation-Betriebssystem hat nicht nur Kostenaspekte, sondern ist auch strategischer Natur, und zwar in erster Linie für Großanwender. Die Durchdringung der DV-Welt mit Unix ist unübersehbar. Schon Mitte der 90er Jahre sollen nach Schätzungen von IDC etwa ein Drittel der weltweit installierten Computer unter Unix laufen.

Immer mehr Unix auf PCs und Unix-Workstations

Nun läßt sich ein PC beziehungsweise eine Workstation unter Unix leichter in eine DV-Umgebung integrieren, die ebenfalls auf Unix basiert. Gerade die Einbindung der PCs und Workstations in unternehmensweite Netzwerke rückt jedoch immer mehr in den Mittelpunkt der DV-Strategien der Konzerne. Unix auf PCs und Unix-Workstations dürften sich also noch mehr durchsetzen.

Compaq gibt an, daß derzeit etwa jeder zehnte 80386-Rechner aus dem eigenen Haus beim Kunden in Verbindung mit Unix zum Einsatz kommt. SCO geht davon aus, daß 1992 rund 25 Prozent der ausgelieferten 80386-PCs mit Unix ausgestattet sein werden. Grundlage der Prognose ist die Erwartung, daß PCs mit neuen Mikroprozessoren wie dem Intel-80486 und 80586 in die Leistungsbereiche heutiger Workstations, Mini- und Superminicomputer vorstoßen. Unix erlaubt diesen Rechnern die optimale Einbindung in die zunehmend von diesem Betriebssystem beherrschte DV-Welt.

Ein wesentlicher Vorteil von Unix liegt hierbei auch darin, daß es als Klammer um unterschiedliche Betriebssysteme fungieren kann. Programme wie VP/ix und Merge 386 erlauben es, DOS-Anwendungen ohne Änderungen unter Unix zum Ablauf zu bringen. Somit erhebt Unix - ganz im Sinne eines offenen Betriebssystems - nicht den Anspruch des Alleinseligmachenden, sondern kann als Integrator in einer zunehmend komplexeren DV-Landschaft auch im PC-Bereich vorteilhaft eingesetzt werden.

Der Erfolg des Unix-Marktes spiegelt sich deutlich im Erfolg der Unternehmen wider, die Unix-Lösungen anbieten. Eines der besten Beispiele ist vermutlich der Bürosoftwarespezialist Uniplex. Das Unternehmen erzielte 1991 eine Vervierfachung des Umsatzvolumens im deutschsprachigen Raum auf rund zehn Millionen Mark. Die Anzahl der Neuinstallationen des integrierten Unix- Bürosystems Uniplex Business Software in Deutschland, Österreich und der Schweiz stieg auf 1100 Pakete. Damit arbeiten etwa 15 000 Benutzer mit der deutschen Uniplex-Software, die Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Datenbank-Management, Präsentationsgrafik und andere Funktionen für die Bürokommunikation integriert. Uniplex ist damit Marktführer bei integrierter Unix-Bürosoftware im deutschsprachigen Raum. Europaweit hält das Unternehmen nach Einschätzung des Marktforschungsinstituts Dataquest rund 58 Prozent Marktanteil in diesem Bereich.

Auch die Erfolgsfaktoren von Uniplex sind typisch für den Unix-Markt. Distributoren wie Garmhausen & Partner, die über langjährig aufgebautes Unix-Know-how verfügen, sorgen für einen raschen Umschlag der Unix-Anwendungspakete. Es ist sicher kein Zufall, daß Garmhausen & Partner sowohl für Uniplex als auch für SCO der mit Abstand führende europäische Distributor ist. Hinzu kommen die Hardwarehersteller, die zunehmend ihre eigenen Softwareprodukte zugunsten von standardisierten Fremdprodukten fallenlassen. Zu den OEM-Partnern von Uniplex und SCO gehören fast alle namhaften Hardwarehersteller. Unternehmen wie Bull, IBM, Digital Equipment, Hewlett-Packard, Olivetti, Motorola und viele andere beteiligen sich an Ausschreibungen für Großprojekte fast nur noch mit fremder Unix-Standardsoftware wie Uniplex Business Software, SCO Unix, Open Desktop oder Retix OSI-Software. Der Grund ist klar: Mit VMS, All-in-1, OS/400 und Officevision stehen die Aussichten, bei Großprojekten den Zuschlag zu erhalten, relativ schlecht.

Unix ja, aber unterschiedliche Implementierungen

Während im PC-Markt bei allen Unix-Erfolgen MS-DOS nach wie vor das dominierende Betriebssystem ist, hat sich im Workstation Markt längst Unix als Standard etabliert. Alle führenden Workstation-Anbieter - Sun, Digital, HP, IBM und Next - haben sich auf Unix, wenngleich in unterschiedlichen Implementierungen, geeinigt (der VMS-Anteil bei Digital liegt mittlerweile unter 20 Prozent). Bemerkenswert: Selbst Steven Jobs, Innovations-Wunderkind der DV-Welt, der bei der Macintosh-Konzeption noch ein eigenes Betriebssystem entwickelte, setzt bei Next Computer auf Unix als Kern. Dabei ist abzusehen, daß Unix-Workstations zusehends- aus ihrer technischen-wissenschaftlichen Nische in den kommerziellen Markt hineindrängen.

So wurden nach Recherchen von IDC bereits 1991 rund 24 Prozent der neu ausgelieferten Workstations weltweit für den kommerziellen Einsatz angeschafft, was einem Volumen von etwa 125 000 Geräten entspricht. Im Vorjahr hatte der Anteil noch unter 20 Prozent gelegen. Somit konnte das Segment der Business-Workstations 1991 mit 60 Prozent Zuwachsrate im Vergleich zum gesamten Workstation-Markt überproportional zulegen. Next Computer, ausschließlich auf diesen kommerziellen Workstation-Markt konzentriert, konnte 1991 den Umsatz auf knapp 130 Millionen Dollar mehr als vervierfachen. Als Haupteinsatzgebiete der kommerziellen Workstations hat IDC die Bereiche Management-Unterstützung einschließlich Publishing, Datenbankanwendungen sowie Wirtschaftlichkeits- und Finanzmodellierungen ausgemacht.

Der Trend wird durch Uniplex bestätigt. Der Anbieter von integrierter Unix-Bürosoftware hat in den letzten sechs Monaten eine verstärkte Nachfrage nach seinen Produkten auf Workstations von Sun, IBM, DEC und Next festgestellt. Die Bürokommunikation stellt hier die Grundfunktionalität dar, die in der Mehrzahl der Fälle benötigt wird.

Angesichts des Unix-Booms könnte man die Frage stellen: "Wo bleibt OS/2?" Indes, viele Anwender, die über Alternativen zu Unix nachdenken, denken keineswegs über OS/2 nach, sondern erwägen den Einsatz von Microsoft Windows. Nach dem Zerwürfnis zwischen IBM und Microsoft hat Windows mehr Zulauf als je zuvor erhalten, während OS/2 mittlerweile viele Anwender dieses Betriebssystem für so proprietär wie OS/400 oder VMS halten.

Die seit der Vorstellung von Microsoft Windows 3.0 weltweit sprunghaft gestiegene Nachfrage nach der Betriebssystem-Erweiterung ist nach Recherchen der deutschen IDC auch hierzulande zu verzeichnen. Wie die Berater mitteilen, kamen im letzten Jahr in Deutschland mehr als 300 000 Windows-Pakete zur Auslieferung. Die Marktforscher erwarten, daß bis Ende 1995 über drei Millionen Windows-Systeme auf bundesdeutschen PCs installiert sein werden.

Wer sich weder für Unix noch für Windows entscheidet, für den bleibt OS/2 übrig. Wie die anfangs genannten Zahlen zeigen, ist diese Gruppe indes in der Minderheit.