Unzufriedenheit von Microsoft-Kunden nutzen

Red Hat schielt nach dem Desktop

06.09.2002
MÜNCHEN (CW) - Red Hat will sein Portfolio an Linux-basierenden Desktop-Applikationen für Unternehmenskunden erweitern.

Der Distributor begründet seine Entscheidung mit einer zunehmenden Nachfrage nach Microsoft-Alternativen in diesem Segment. Eine wachsende Unzufriedenheit der Anwender über die dominante Rolle Microsofts in Sachen Betriebssystem und Office-Applikationen sei zu beobachten. Eigene Anwendungen will Red Hat aber erst im kommenden Jahr voraussichtlich auf Subskriptionsbasis auf den Markt bringen.

Auf Produktdetails wollte sich Red-Hat-Chef Matthew Szulik nicht festlegen. Gegenüber dem Online-Dienst "Computerwire" verriet er nur so viel, dass man weitgehend auf bereits existierenden Open-Source-Code zurückgreifen könne. Diese Komponenten gelten inzwischen als ausgereift, eine teure und zeitintensive Neuentwicklung würde Red Hat somit erspart bleiben. "Für unsere Desktop-Strategie bietet sich eine Vielzahl von Software an", erklärt Szulik und erwähnt als mögliche Elemente den Browser "Mozilla" und den Datei-Manager "Nautilus". Naheliegend wäre auch "Evolution", der Outlook-ähnliche E-Mail-Client für Linux.

Red Hat wähnt sich mit seinem jüngsten Vorstoß in einer günstigen Phase, da Microsofts Lizenzmodell 6.0 für einigen Unmut unter den Anwendern gesorgt hat. Bis Ende Juli mussten sich die Kunden entscheiden, ob sie das neue Lizenzverfahren akzeptieren oder statt dessen nichts tun und beim nächsten Releasewechsel den vollen Lizenzpreis anstelle preisgünstiger Update-Tarife bezahlen wollen. Ein Knackpunkt von License 6.0 ist die "Software Assurance", eine Art Mietvertrag mit jährlicher Gebühr für die Softwarenutzung inklusive einer Update-Garantie.

Auch wenn Microsoft hier abwiegelt: Viele Anwender fürchten, dass mit der Entscheidung für License 6 höhere Kosten auf sie zukommen. Ein Grund für manchen, sich mit den wenigen verbliebenen Alternativen zu beschäftigen. Der Desktop-Monopolist kontrolliert das Office-Segment inzwischen derart erdrückend, dass selbst für Nischenanbieter kaum noch Platz geblieben ist. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Corel und die nahezu völlige Bedeutungslosigkeit der "Lotus Smartsuite" von IBM belegen das.

Sun Microsystems stieg vor rund drei Jahren durch die Übernahme der Hamburger Star Division in diesen schwierigen Markt ein. Die Unix-Company versprach sich von einer Open-Source-Strategie am ehesten Chancen gegen Microsoft. Im Mai dieses Jahres kam "Star Office 6.0" auf den Markt und sollte nicht nur technisch, sondern mit 90 Euro für die Einzelplatzlizenz auch in finanzieller Hinsicht eine verlockende Alternative zu Microsofts über 700 Euro teurem "Office XP Standard" sein. Dennoch machten Analysten Sun zumindest hinsichtlich der geplanten großvolumigen Verkäufe an Unternehmen wenig Hoffnung. So veranschlagte Gartner die Kosten für eine Migration von Microsoft Office zu Star Office auf 1200 Dollar pro Mitarbeiter, wobei dieser Betrag den Aufwand für Neuschulung, Produktivitätsverlust sowie Konvertierung vorhandener Dateibestände beinhaltet.

Auch das Linux-Lager konnte mit seinen in den Distributionen enthaltenen Office-Offerten bislang keine nennenswerten Erfolge im Business-Segment verbuchen. Doch jetzt wittert Red-Hat-Chef Szulik Morgenluft. Er hofft am Desktop auf eine ähnliche Entwicklung wie im Server-Bereich, wo Windows als File-, Print- oder Web-Server schon einige Marktanteile an Linux abtreten musste. Gestützt wird diese Entwicklung auch durch Ankündigungen wie jüngst von Bea und Oracle, die Linux zur weiteren strategischen Plattform küren. (ue)