Qual der Wahl beim Dokumenten-Management Gute Imageverarbeitung setzt gelungene Integration voraus Von Guenther Thode*

16.07.1993

Wachstum, Produktvielfalt und neue Begriffswelten praegen den Markt fuer Dokumenten-Management-Systeme. Dabei ist viel von den Vorteilen die Rede, die durch den Uebergang von der Papier- zur Imageverarbeitung zusammen mit der Archivierung auf optische Platten erzielt werden koennen. Ziemlich alleine gelassen wird der Anwender jedoch bei der Frage, worin sich die angebotenen Systeme eigentlich unterscheiden und wie sie das Ziel, naemlich eine effizientere Bearbeitung von Geschaeftsvorgaengen, unterstuetzen.

Bei der Informationsverarbeitung wird heute in fast allen Unternehmen eine Art "Medienbruch" hingenommen: Schriftstuecke werden zwar computergestuetzt erstellt und mit Daten aus Datenbanken versehen, gleichzeitig erfolgt aber die Bearbeitung und Archivierung eingehender Informationen nach wie vor in Papierform. Aendern laesst sich dieses Verfahren nur durch den Einsatz von Dokumenten-Management-Systemen. Sie bieten die Moeglichkeit, den Informationsfluss so zu verwalten, dass auch eingehende Informationen erfasst und mit elektronischen Mitteln weiterverarbeitet werden.

Dabei liegen fuer die Anwender die Vorteile klar auf der Hand:

- stets aktuelle Informationen,

- Konsistenz der Informationen, da Dokumente nicht verfaelscht werden koennen oder verlorengehen,

- unmittelbarer Zugriff auf alle Informationen ohne lange Such- und Transportzeiten, und

- gleichzeitige Zugriffsmoeglichkeit fuer mehrere Benutzer.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen fuer den Einsatz von Dokumenten-Management-Systemen ist mit der Entwicklung optischer Platten gegeben, denn erst dadurch stehen Medien mit hinreichender Kapazitaet fuer die Speicherung der notwendigen Datenmengen zur Verfuegung. Erste Systeme mit optischen Platten sind seit rund zehn Jahren auf dem Markt - mit einer Technik, die sich mittlerweile bewaehrt hat. Dies gilt insbesondere fuer deren Robustheit, Austauschbarkeit und Kapazitaet.

Neben der technischen Komponente tritt somit die eigentlich entscheidende Anwenderforderung mehr und mehr in den Vordergrund, naemlich eine wirkungsvollere Gestaltung der Geschaeftsprozesse. Dies ist um so verstaendlicher, als angesichts sich wandelnder Maerkte im vereinten Europa die Anforderungen an die Effektivitaet der jeweiligen Unternehmen gestiegen sind. Sinkende Hardwarepreise und die Verfuegbarkeit ausgereifter Software taten letztlich ein uebriges, so dass sich derzeit immer mehr Unternehmen fuer den Einsatz von Dokumenten-Management-Systemen entscheiden. Dies wird auch durch eine Reihe von Untersuchungen bestaetigt, die fuer dieses Marktsegment in den naechsten Jahren ein erhebliches Wachstum vorhersagen.

Die Kernfragen bei der Einfuehrung solcher Loesungen beziehen sich daher heute in erster Linie auf das "Wie" einer Integration in bestehende Hardwarelandschaften, beziehungsweise auf die Kommunikation zwischen der jeweiligen Anwendungssoftware mit dem Dokumenten-Management. Mit anderen Worten: Inwieweit koennen Images, also uncodierte Informationen, mit Daten aus anderen Bestaenden, also codierten Informationen, verbunden werden?

Dabei stellt sich zwangslaeufig auch die Frage nach der DV- Strategie eines Unternehmens, denn nicht immer wird "fremdartige" Hardware und Systemsoftware in einer sonst vielleicht einheitlichen DV-Welt akzeptiert. Unabhaengig von einem derart eingeschraenkten Entscheidungsspielraum ist es meistens jedoch so, dass eine Loesung fuer das Dokumenten-Management auf Basis einer Client-Server-Architektur integriert werden soll.

Hersteller realisierten

Host-Anbindung

Bedingt durch die konsequente Verwendung von Standards auf der Netzebene und durch die Oeffnung der Host-Welten hin zu Ethernet und TCP/IP, praesentieren mittlerweile so gut wie alle bedeutenden Anbieter eine Reihe von Moeglichkeiten zur Anbindung des Dokumenten-Managements an den Host. Auch die Tatsache, dass alle wichtigen Hersteller Workstations auf Basis von Standard-PCs mit Windows anbieten, hat das Integrationsproblem weitgehend entschaerft.

Dokumenten-Management-Systeme bestehen fuer sich gesehen aus einer Reihe von Basisfunktionen, die - in einem Paket zusammengefasst - in der Regel lediglich eine gute Archivloesung ergeben. Zur Integration der Software in bestehende Applikationen beziehungsweise zum Aufbau einer durchgaengigen Vorgangssteuerung reicht dies jedoch bei weitem nicht aus. Um dies zu gewaehrleisten, muessen vielmehr bestehende Anwendungen mit den Features zum Dokumenten-Management derart kommunizieren, dass aus Anwendersicht im Idealfall eine Applikation mit einheitlicher Oberflaeche entsteht.

Eine wichtige Rolle spielen dabei schon vorhandene Vorgangssteuerungssysteme im Host, die um die neuen Routinen zur Image-Verarbeitung ergaenzt werden. Existiert keine Vorgangssteuerung, kann diese Funktion auch durch das Dokumenten- Management-System wahrgenommen werden. Die Realisierung einer Vorgangssteuerung ist immer anwendungsspezifisch und laesst sich nicht verallgemeinern. Deshalb sind die jeweiligen Entwicklungswerkzeuge fuer die Realisierung einer eigenen Vorgangssteuerung und die Einbindung des Dokumenten-Managements in das Gesamtsystem unter Umstaenden entscheidend. Dabei muss zwischen einem gemeinsamen Windows-Management-System, einer Screen-Level- Integration oder einer Erweiterung bestehender Applikationen unterschieden werden.

Die einfachste Art der Integration setzt voraus, dass Standard- Applikation und Dokumenten-Management auf dem gleichen Bildschirm ablaufen. In den meisten Faellen reicht es aus, ein gaengiges Windows-Management-System wie MS/Windows oder OSF/Motif zu verwenden. Die Frage, ob eine Anwendung direkt oder ueber eine Emulation ablaeuft, ist dabei zweitrangig. Der Datenaustausch zwischen den Anwendungen wird durch manuelle Uebertragung zwischen den Bildschirmfenstern abgewickelt, wobei der Programmieraufwand fuer die Integration minimal ist; dass heisst, in einem Fenster laeuft die vorhandene Anwendung und in dem anderen Fenster das Dokumenten-Management.

Auch die Screen-Level-Integration setzt ein entsprechendes Windows-Management-System voraus. Der Datenaustausch wird hier durch Programme bewerkstelligt, die den Datenaustausch zwischen den einzelnen Applikationen auf der Workstation realisieren mit dem Ergebnis, dass dem Anwender manuelle Eingriffe erspart werden. Grundlage fuer diese Technik ist MS/Windows DDE. Dabei kann die Emulation eines Host-Bildschirmes komplett hinter dem zu integrierenden Programm versteckt werden - der Anwender bedient nur noch eine Anwendung, die dann weitere Anwendungen steuert, indem diese mit den notwendigen Daten versorgt werden.

Die weitestgehende Integration von Anwendung und Dokumenten- Management ist jedoch gegeben, wenn die vorhandene Anwendungssoftware um Aufrufe zum Dokumenten-Management oder das Dokumenten-Management um Anwendungsfunktionen erweitert wird. In diesem Fall kommunizieren Anwendung und Dokumenten-Management direkt miteinander - ein Verfahren, das auf allen relevanten Architekturen beziehungsweise Plattformen moeglich ist.

Vorgangssteuerung wird

auf dem Host installiert

Innerhalb der Systeme gibt es Programme zur Interprozess- Kommunikation und auch in einer verteilten, heterogenen Hardwarelandschaft sind entsprechende Protokolle - zum Beispiel LU 6.2 innerhalb der IBM-Welt oder RPC bei Unix - verfuegbar. Realisiert wird dies in der Regel mit einer auf dem Host installierten Vorgangssteuerung.

Die Existenz nicht codierter Daten in Form von Images innerhalb taditioneller DV-Umgebungen ist heutzutage nichts besonderes mehr. Sowohl auf PC-Ebene als auch in der Buerokommunikation ist die Verarbeitung oder die Versendung von Images zusammen mit codierten Informationen Routine, was ohne Einschraenkung auch fuer Dokumenten- Management-Systeme gilt. Trotz inhaltlicher Zusammengehoerigkeit werden beide Datentypen aber meistens immer noch getrennt gespeichert und bearbeitet.

Ein Ansatz, diese Trennung zwischen codierten und nicht codierten Daten aufzuheben, ist die Entwicklung von Dokumentenformaten, die codierte Daten und Images beinhalten (Mixed Documents). Hier ist insbesondere der OSI-Standard ODA/ODIF zu nennen. Obwohl erste Dokumenten-Editoren, zum Beispiel DECwrite von Digital Equipment, darauf aufsetzen, ist ein Durchbruch dieser Technik bei Dokumenten-Management-Systemen noch nicht absehbar. Eine Unterstuetzung dieser Dokumentenformate wird jedoch von den wichtigsten Herstellern versprochen.

Der Zugriff auf Textinformationen in Form von Images kann dadurch reduziert werden, dass sie mit Hilfe von OCR-Verfahren in codierte Daten ueberfuehrt und zusammen mit anderen Daten verarbeitet werden. Angesichts der bei diesen Verfahren nach wie vor hohen Fehlerquote und der damit verbundenen manuellen Eingriffe sind Loesungen dieser Art nur fuer spezielle Problemstellungen interessant. Zudem wird eine umfassende Uebersetzung von Images in codierte Daten durch Grafiken und handschriftliche Eintraege verhindert.

Ohne Image geht es auch in Zukunft nicht

Trotz verschiedener Ansaetze, die Trennung zwischen codierten und nicht codierten Daten aufzuheben, wird man auch in Zukunft nicht ohne den Datentyp Image auskommen. Die notwendigen Funktionen zur durchgaengigen Verarbeitung von Images bleiben deshalb erhalten. Ob eine einfache Indizierung ausreicht oder ob eine weitergehende Zusammenfuehrung mit codierten Daten erfolgen muss, haengt wesentlich von den unternehmensspezifischen Konzepten der Integration eines Dokumenten-Management-Systems ab.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass von vornherein der Medienbruch bei der Datenausgabe vermieden wird, indem auch der "Computer-Output" vom Dokumenten-Management archiviert und verwaltet wird. Diese Funktionalitaet wird unter dem Namen COLD (Computer Output on Laserdisk) angeboten. Dabei ist es wichtig zu pruefen, welche Datenstroeme von Belang sind und welche Zugriffsmoeglichkeiten die unterschiedlichen COLD-Systeme auf diese Daten bieten.

Die konsequente Umsetzung der Moeglichkeiten eines weitreichenden Dokumenten-Managements (inklusive Vorgangsbearbeitung) bedeutet immer auch erhebliche organisatorische Konsequenzen. Obwohl das Nutzenpotential hoch ist, darf die Komplexitaet der Integration eines solchen Systems nicht unterschaetzt werden. Die Ansaetze zur Integration und die vorhandenen Entwicklungswerkzeuge zur Realisierung der Integration unterscheiden sich jedoch erheblich. Diese Vielfalt der angebotenen Systeme wie auch die Ueberpruefung aller organisatorischen Aspekte zwingen deshalb einen potentiellen Anwender, sich herstellerneutral zu informieren.

*Guenther Thode ist Mitarbeiter der

Partner Consult GmbH, Hamburg.