Primus inter pares Der IBM-Host als integrierendes Element der Unternehmens-DV Von Juergen Ley*

08.10.1993

Eine Befragung von knapp 500 europaeischen Unternehmen zeigt: Stabile, kosteneffektive Informationsverarbeitung auf zentralen Rechnern mit zentraler Datenkontrolle gilt weiterhin als charakteristisch. Auch in Zukunft wollen die Unternehmen in diese Anwendungen investieren.

Ziel ist die Verwirklichung einer unternehmensweit integrierten Informationsverarbeitung, die in der Vielfalt der Anforderungen, Aufgaben und Funktionen weit ueber das klassische Anwendungsspektrum hinausgeht. Integrierte Client-Server- Anwendungen mit neuen Hardware- und Software-Strukturen und Zugriff auf zentrale Unternehmensdaten bilden das Rueckgrat fuer Steuerung und Integration saemtlicher Betriebsablaeufe.

Praktisch alle Befragten sahen darin den Schluessel, um angesichts des starken Strukturwandels, haerteren Wettbewerbs und hohen Kostendrucks erfolgreich im Wettbewerb zu operieren. Durch Einsatz intelligenter Workstations wird zudem eine Vielzahl von Aufgaben am Arbeitsplatz qualitativ verbessert und automatisiert. Ein Trend zur Aufloesung dieser Anwendungen in lokale Kleinstrechner ist nicht erkennbar. "Downsizing, wie es fuer gewoehnlich verstanden wird, findet einfach nicht statt", bilanzieren die britischen Marktforscher Xephon in ihrer Marktstudie.

Wie anders als auf Mainframe-Server-Basis konnte bei den Olympischen Spielen in Barcelona ein komplexes Multi-Vendor-Netz mit mehr als 4 400 PCs und anderen Systemen rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche betrieben werden? Und als ebenso unverzichtbar erwies sich das Server-Konzept auf Basis einer IBM ES/9021 fuer das Sintel-Projekt der Telekom. Bei 3 500 Sachkonten, etwa 130 000 Materialstaemmen, sieben Millionen allgemeinen und 14 Millionen Kostenbuchungen, dazu Aufgabenstellungen aus 170 selbstaendigen Organisationseinheiten in ganz Deutschland waere jede andere Loesung fuer die Unterstuetzung der operationalen und strategischen Aktivitaeten illusorisch.

"Einer verteilten Anwendung mit Downsizing standen nicht nur die Schwierigkeiten einer ordnungsgemaessen und sicheren Datenhaltung im Wege", begruendet Telekom-Vorstandsmitglied Joachim Kroeske, zustaendig fuer Finanzen, die Entscheidung fuer die Mainframe- Variante. "Zudem sprachen die ermittelten Leitungskosten gegen eine solche Entscheidung."

Mit dem weiteren Vordringen der Client-Server-Architektur wird daher der Bedarf an Mainframe-Servern in mittleren und grossen Organisationen wachsen. Nur ein Host-Server der ES/9000- Leistungsklasse erfuellt dort flexibel und aufruestbar die Anforderungen an Offenheit, Anschlussmoeglichkeit, Datenverfuegbarkeit und Integration heterogener Systeme. Der Prozessorspeicher laesst sich bis auf 10,2 GB ausbauen, der Zentralspeicher auf 2 GB. Beim Erweiterungsspeicher sind 8,1 GB derzeit die Obergrenze. Im oberen Leistungsbereich verfuegt das Top-Modell ueber bis zu 256 Kanaele, bis zu 96 parallele Kanaele und 256 Escon-Kanaele.

MVS-ESA als Bindeglied

Dank der Bandbreite dieses Servers koennen Tausende von Benutzern gleichzeitig bedient, auf einer entsprechend konfigurierten ES/9000 Hunderte von TB an Daten bewaeltigt werden. Und sobald die Sysplex-Architektur voll implementiert ist, kann der Anwender ziemlich schmerzlos die Prozessorleistung in kleinen Schritten ausbauen.

Flexibilitaet und Leistungsstaerke sind dringend erforderlich. Denn mit zunehmender Anzahl von Benutzern steigt der Umfang des Service-Bedarfs fuer Systemmanagement, Transaktionsmanagement mit umfassender Kontrolle der Veraenderungen in verteilten Datenbank und schliesslich fuer Sicherheit aller Daten und Ressourcen sowie Archivierung aus einer Quelle und mit einem Werkzeug.

Funktionserweiterungen im MVS/ESA 4.3. sowie Weiterentwicklungen der Plattform in den letzten Jahren machen MVS/ ESA als Serverbetriebssystem zum Bindeglied zwischen Desktop-Geraeten unterschiedlicher Plattformen und den zentralen IT-Operationen mit ihren Groessenvorteilen sowie zur Schaltstelle fuer eine heterogene, unternehmensweite Netzverarbeitung.

Im Client-Server-Umfeld uebernimmt das Zentralsystem durch den "LAN Fileserver/ESA" beziehungsweise mit "LAN Resource Extension/Lanres, MVS" die Rolle des File- und Druck-Servers fuer lokale Netze. Mit ADSM (Adstar Distributed Storage Manager) sind Datenbestaende in verteilten Systemen zentral zu archivieren. Die juengsten Ankuendigungen entsprechen den Anforderungen von FIPS 151 (Federal Information Processing Standard) der US-Regierung, der EC Direktive 87/95 sowie dem Forderungskatalog der Benutzervereinigungen Share/Guide hinsichtlich Interoperabilitaet von offenen Systemen und Unterstuetzung internationaler Standards.

Die von X/Open, OSF (Open Software Foundation) und IEEE (Institute of Electrical and Electronic Engineers) definierten Standards fuer offene Systeme wie beispielsweise Posix 1003.1. als Schnittstelle fuer Anwendungen in C mit dem Subset 1003.1A, Posix 1003.2 zur Festlegung der interaktiven Unterstuetzung fuer Endbenutzer mit dem Subset 1003.4A, TCP/IP und die Systemintegrationsumgebung DCE (Distributed Computing Environment) mit Remote Procedure Call (RPC) sowie der Time-, Directory- und Sicherheitsservice sind in MVS/ESA bereits enthalten beziehungsweise ihre Implementierung ist angekuendigt.

Diese "Open Edition MVS" ist damit offen fuer die Kommunikation mit allen Systemplattformen, die nach diesen Standards arbeiten. MVS wird damit zum Server fuer so unterschiedliche Client-Plattformen wie OS/2, DOS, Windows, Novell, Sun-OS, Macintosh, RISC-Systeme.

Weiterer Vorteil: Anwendungsprogramme, die sich strikt an diese Konventionen halten, sind auf andere Systeme und von anderen Systemen portierbar. Zusaetzliche Offenheit bringt die angekuendigte Erweiterung der Open Edition Services im Einklang mit XPG4 von X/Open als gemeinsame Anwendungsplattform.

Zur weitergehenden Automatisierung als Anforderungsschwerpunkt an zentrale Steuerungsplattformen im Client-Server-Konzept fuehren vorhandene beziehungsweise angekuendigte Funktionen wie ADSM zur Verwaltung und automatisierten Datensicherung verteilter externer Speicher in heterogenen Systemen, APPN (Advanced Peer to Peer Networking) fuer automatisch lernende Netzknoten, SQL fuer verteilte Datenbanken und Netview zur Steuerung, Verwaltung und Kontrolle aller im Netz verteilten Komponenten.

Zum unterbrechungsfreien Betrieb, auf den die Anwender immer staerker draengen, traegt ein zusaetzlicher IOP (Integrated Off-load Processor) bei. Leistungsmerkmale der ESCON-Kanalarchitektur, mit der schon bald Datenraten von bis zu 100 Mbit pro Sekunde via Glasfaser zu bewaeltigen sind, Sysplex-Einrichtung zur Anbindung von Peripheriegeraeten an den Zentralserver, dynamische Hardware- Rekonfiguration, unterbrechungsfreie Wartung sowie Speicherschutz fuer Subsysteme sind weitere Bausteine fuer ein "fehlertolerantes" Zentralsystem.

Ueber Sysplex- und Escon-Technologie werden auch parallele Systeme verfuegbar sein. Sie werden auf Grossrechnern aufsetzen und die ES/9000-Prozessorenfamilie ergaenzen, jedoch nicht ersetzen. Ein erstes Parallelsystem auf Basis von System/390-Microprozessoren ist fuer DB-2-Datenbankabfragen konzipiert, das zweite fuer die Transaktionsverarbeitung (CICS, IMS).

Es sind jedoch nicht ausschliesslich technische oder strategische Argumente, die das Zentralsystem in seiner neuen Rolle staerken. Noch gewichtiger werden die Kosten von Einfuehrung und Betrieb bei verteilter Umgebung zu Buche schlagen.

Traditionelle Verarbeitung hat mittlerweile ausgedient

In der Gesamtkostenrechnung fuer verteilte Anwendungen machen die reinen Investitionskosten in Hard- und Software nach Untersuchungen von Marktforschern wie der Gartner Group und der Business Research Group gerade 20 Prozent aus. Der Loewenanteil - Kosten fuer Datensicherung, Softwarewartung und -verteilung, Sicherung und Systemmanagement - bleibt oft verborgen und wird auf anderen Konten unsichtbar verbucht.

Noch klarer verdeutlichen das Berechnungen von Xephon, in die Kosten fuer Hardware und Betriebssystemsoftware, Anwen- dungssoftware und Personal fuer den Betrieb eines prototypischen Systems im kommerziellen Bereich eingeflossen sind. Danach belaufen sich die Kosten pro Endbenutzer ueber fuenf Jahre bei Mainframe-Konfigurationen auf 5282 bis 5973 Pfund, die fuer Unix- Minis auf 7180 bis 7740 Pfund, waehrend reine PC-LAN-Loesungen Kosten zwischen 9400 und 15 500 Pfund verursachen.

Das macht klar: Der klassische Mainframe mit der traditionellen Verarbeitungsstruktur, die gesamte Rechenleistung fuer ein Anwendungssystem in einem Zentralrechner zu konzentrieren, hat unwiderruflich ausgedient. Mittelfristig wird das Zentralsystem in seinem neuen Selbstverstaendnis jedoch weiterhin eine tragende Rolle spielen: nicht mehr als alles ueberragender Hauptdarsteller, sondern als ein integrierender Akteur, als Server fuer Server und Server fuer Clients.

* Juergen Ley ist im Marketing und Produktmanagement/Enterprise Systems/System-Software der IBM Deutschland GmbH beschaeftigt