PostgreSQL von EnterpriseDB

Open-Source-Datenbank statt Oracle-Rechnung

21.11.2013
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Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Das Unternehmen EnterpriseDB wirbt mit einer Open-Source-Datenbank um wechselwillige Oracle-Kunden. Marc Linster, Vice-President Professional Services bei EnterpriseDB, betont im CW-Gespräch vor allem günstigere Kosten.

CW: EnterpriseDB, kommerzieller Anbieter der Open-Source-Datenbank PostgreSQL, umwirbt mit einer eigenen Distribution (Postgres Plus) vor allem unzufriedene Oracle-Kunden. Nun wechseln Unternehmen ihre Datenbank in der Regel noch seltener als ihre Anwendungen, weil zumeist kritische Daten bewegt werden müssen. Was sind die Gründe, wenn Unternehmen diese Last dennoch auf sich nehmen?

Linster: Die Kosten. Die Oracle-Datenbank ist ein tolles Produkt, sie kann sehr viel, ich war selbst jahrelang Oracle-Anwender. Aber die Datenbank ist sehr, sehr teuer. Das ist vor allem dann ärgerlich, wenn Anwender die Funktionsvielfalt gar nicht ausschöpfen.

Marc Linster ist Vice President für Professional Services bei EnterpriseDB: Oracle hat ein tolles Produkt, aber es ist sehr, sehr teuer.
Marc Linster ist Vice President für Professional Services bei EnterpriseDB: Oracle hat ein tolles Produkt, aber es ist sehr, sehr teuer.
Foto: EnterpriseDB

Eine PostgreSQL-Datenbank ist um 75 Prozent günstiger, als ein Oracle-System - dieser Unterschied löst häufig eine Diskussion darüber aus, ob Oracle zwingend erforderlich ist. Es gibt Anwendungsfelder, für die Oracle wunderbar geeignet ist, in anderen Bereichen ergibt PostgreSQL einfach mehr Sinn. Und der Umstieg ist nicht kompliziert: In einer Anwenderbefragung haben 50 Prozent der Befragten gesagt, der Aufwand sei gering oder sehr gering. In der Regel dauert so ein Projekt wenige Wochen.

CW: Welche Anwendungsfelder sind für PostgreSQL typisch?

Linster: 60 Prozent und mehr der Anwendungen, die heute mit Oracle laufen, lassen sich auf PostgreSQL migrieren. Unsere Kunden erachten unsere Datenbank als zuverlässig genug, um darauf unternehmenskritische Anwendungen zu betreiben. Die Datenbank hat technisch ein Niveau erreicht, so dass es kein Problem ist, Anwendungen, für die eine sehr geringe Downtime kritisch ist, mit PostgreSQL zu implementieren, sogar wenn Verfügbarkeiten von 99,99 Prozent verlangt werden. PostgreSQL kann Datenbanken mit fünf oder sechs Terabyte realisieren und zig-tausende Transaktionen pro Sekunde abwickeln.

Allerdings gibt es natürlich auch Leistungsansprüche, für die wir unser Produkt nicht mehr empfehlen würden.

Zur Person: Marc Linster

Marc Linster ist Vice President für Professional Services bei EnterpriseDB. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre für den Videokonferenztelefonie-Anbieter Polycom in den Bereichen Services Supply Chain, Business Intelligence, Kundendatenverwaltung und Cloud-Lösungen. Davor beriet Linster als Unternehmens- und Systemintegationsberater im Supply-Chain-Bereich viele Jahre lang internationale Kunden aus den USA, Kanada sowie aus Europa und der Schweiz. Er startete seine Karriere bei der Avicon Group als Chief Technology Officer (CTO) und Vice President of Operations. Linster promovierte als Dr. rer. nat. an der Universität Kaiserslautern im Fach Computerwissenschaften. Er ist gebürtiger Luxemburger und lebt mittlerweile seit vielen Jahren in den USA.

CW: Wo liegen die Grenzen?

Linster: Das lässt sich nicht in allgemein gültigen Zahlen ausdrücken. Aber wenn Anwender Daten komprimieren wollen, dann müssen wir heute sagen, dass wir dieses Feature noch nicht anbieten. Wenn Kunden genau die Skalierbarkeit benötigen, die sie von Oracles "Real Application Cluster" (RAC) gewohnt sind, dann können wir das nur beschränkt liefern. Wenn die Notwendigkeit besteht, im Falle eines Hardwarefehlers einen Failover innerhalb von weniger als zehn Sekunden ohne Transaktionsverlust zu realisieren, dann ist das noch etwas zu schnell für PostgreSQL. Doch wie viele Anwendungen benötigen wirklich weniger als zehn Sekunden? Das brauchen nicht einmal ERP-Systeme. Die meisten Anwendungen kommen gut mit 30 Sekunden Failover-Zeit klar.

PostgreSQL: Keine Lösung für ARP-Anwendungen - bislang

CW: Wie finden Anwender heraus, wo die Grenzen in ihrem speziellen Fall liegen?

Linster: Durch Analysen. Sie können auch die möglichen Ersparnisse aufdecken. Vor vier oder fünf Jahren war PostgreSQL noch ein Produkt, das für unkritische Anwendungen auf Abteilungsebene benutzt wurde, mit überschaubaren Ansprüchen an die Verfügbarkeit, wo die Datenbank durchaus mal einen halben Tag ausfallen konnte. Heute migrieren große Unternehmen ihre unternehmenskritischen Anwendungen auf die Open-Source-Datenbank. Unsere Lösung erlaubt dafür etwa das Switch-over auf ein entferntes Data-Center, sie bietet Failover und Recovery für kritische Anwendungen.

Foto: PostgreSQL

CW: Wofür wird die Datenbank eigentlich eingesetzt, für transaktionale und analytische Anwendungen?

Linster: Hauptsächlich transaktional, sowohl für Web-Services als auch für Geschäftsapplikationen wie Abrechnungs-Systeme. Für den analytischen Bereich ist PostgreSQL nicht so gut geeignet, dafür fehlen der Datenbank einige Fähigkeiten, die etwa Oracle-Datenbanken integrieren.

CW: Kommt PostgreSQL in ERP-Installationen zum Einsatz?

Linster: Im Moment sehr wenig, aber das Interesse wächst. Wir wurden bereits von ERP-Providern angesprochen, weil sie PostgreSQL die Aufgabe einer ERP-Datenbank zutrauen. Jetzt muss man mit ihnen daran arbeiten, die Kooperation kommerziell robust zu gestalten.

CW: Streben Sie etwa eine SAP-Zertifizierung an?

Linster: Man muss ehrlich sagen, dass das problematisch ist. Die großen ERP-Anbieter SAP, Oracle und Microsoft haben allesamt eigene Datenbank-Produkte. Sie haben kein Interesse daran, PostgreSQL zu zertifizieren. Aber bei den ERP-Anbietern dahinter, die oft spezielle Marktsegmente bedienen, tut sich einiges.

Eine quelloffene Datenbank als Big-Data-Integrator

CW: Wenn ERP zurzeit nicht das bevorzugte Einsatzgebiet ist, wo wird PostgreSQL heute eingesetzt?

Linster: Neben den erwähnten Web-Services vor allem in Umgebungen mit kundenspezifischen Anwendungen, etwa im Versicherungsbereich und in der öffentlichen Hand. Der Markt für Datenbanken, die kundenindividuelle Anwendungen unterstützen, ist sehr groß.

Foto: EnterpriseDB

CW: Das beherrschende Datenbank-Thema ist derzeit In-Memory. Wie positionieren Sie sich in dem Umfeld?

Linster: Für unser kommerzielles Produkt "Postgres Plus" gibt es eine Lösung namens "Infinite Cache". Sie erlaubt es, sehr große Datenmengen in den Cache-Speicher zu laden und zu verwalten. Wir stellen sicher, dass die Daten auf Festplatte zurück geschrieben werden, so dass sogenannte ACID-Paradigma erfüllt wird (Atomicity, Consistency, Isolation, Durability). Auch wenn wir schon sehr viel mit Solid State Drives arbeiten, muss man sagen, dass PostgreSQL zurzeit keine reine In-Memory-Datenbank ist.

CW: In-Memory wurde unter anderem zum Thema, um riesige, auch unstrukturierte Datenmengen verarbeiten und analysieren zu können.

Linster: Dafür wurde die Datenbank um den Foreign Data Wrapper (FDW) erweitert. Die Technik erlaubt es, andere Datenquellen so zu behandeln, als ob sie PostgreSQL-Tabellen wären. Mit dieser "Pluggable Architecture" lassen sich Lese- und Schreiboperationen durchführen. Die unstrukturierten Daten kann man also dort ablegen, wo sie hingehören, etwa in Mongo- und Hadoop-Speichern, sie werden über den Foreign Data Wrapper in PostgreSQL integriert. Unsere Datenbank wird so zur Integrationszentrale für strukturierte und unstrukturierte Daten. Anstatt ein Monstrum zu schaffen, integrieren wir Datenquellen.

CW: Aber damit konkurrieren sie durchaus mit In-Memory-Lösungen wie SAP Hana.

Linster: Weiß ich nicht. Diese Frage haben wir uns noch nicht gestellt.

Amazon-Cloud statt Dantenbank-Appliance

CW: Im Web kursieren Leistungsvergleiche mit Hana - die Frage wird offenbar an andere Stelle auch gestellt.

Linster: PostgreSQL ist keine in-Memory-Datenbank. Insbesondere PostgreSQL Plus umfasst jedoch einige Features, die Probleme lösen, die typischerweise von in-Memory-Datenbanken adressiert werden.

CW: Ziel für Anwender ist letztlich die Analyse der Daten. Gibt es Applikationen, die das auf Basis ihrer Datenintegrationsplattform tun?

Linster: Es gibt eine Reihe von Open-Source-BI-Lösungen (Business Intelligence) wie etwa Pentaho.

CW: Eine weitere aktuelle Entwicklung im Datenbankmarkt sind Appliances, also vorkonfigurierte Hard- und Softwarepakete. Wann wird die erste Postgres-Appliance kommen?

Linster: Es gibt eine Cloud-Lösung, die praktisch wie eine Appliance fertig konfiguriert zur Verfügung steht. Postgres Plus Cloud Database läuft in einer Amazon-Umgebung und kann innerhalb von Minuten verwendet werden.

CW: Seit dem NSA-Skandal ist es kaum denkbar, dass Anwender ihre kritischen Daten der öffentliche Cloud eines US-Anbieters übergeben.

Linster: Das habe ich bis Kurzem auch gedacht. Wir registrieren zurzeit aber eine enorme Nachfrage. Das bestätigt uns auch eine aktuelle Gartner-Studie. Im Bereich der Datenbank-Infrastruktur in der Cloud sagt Gartner eine 35-prozentige jährliche Wachstumsrate voraus. Das können wir zu unserer eigenen Überraschung bestätigen.

CW: Gilt das auch für deutsche Kunden?

Linster: Deutschland-spezifische Daten liefert der Gartner-Report leider nicht.

Das Unternehmen EnterpriseDB

Sämtliche Geschäftstätigkeiten des Unternehmens EnterpriseDB in Bedford, Massachusetts, ranken sich um die Entwicklung, den Services und Support für die objektrelationale Open-Source-Datenbank PostgreSQL. Kern des Angebots ist eine im Vergleich zur quelloffenen Version leistungsstärkere beziehungsweise funktionsreichere Version namens "Postgres Plus". Sie liegt in der Regel in der gleichen Versionsbezeichnung vor wie die kostenlos verfügbare Ausführung der Community vor (aktuell ist das die Version 9.3, siehe EnterpriseDB überarbeitet PostgreSQL).

Die wichtigste Einnahmequelle von EnterpriseDB dürften aber die Migrationsservices für Unternehmen sein. Dabei konzentriert sich der Anbieter ausschließlich darauf, Oracle-Datenbanken auf die quelloffene und günstigere PostgreSQL-Alternative zu transferieren. Dazu hat EnterpriseDB diverse Migrations-Tools entwickeln, die das Projekt standardisieren und beschleunigen sollen.

EnterpriseDB wurde 2004 mit dem Ziel gegründet, das Datenbank-Oligopol aus Oracle, IBM und Microsoft zu brechen. Dieses Ziel wurde mittlerweile kassiert, zurzeit geht es nur noch gegen Oracle. Mit IBM steht dagegen eine Kooperation zu Buche. Zuletzt nahm das Unternehmen mit rund 250 Mitarbeiter rund 100 Millionen Dollar ein (Quelle: Wikipedia). Zu den deutschen Kunden zählt unter anderem die Gallinat-Service GmbH, eine 100prozentige Tochter der Gallinat-Bank AG.