Mittelstand braucht Itil-Nachhilfe

06.12.2004
Frameworks für das IT-Service-Management senken die Kosten und erhöhen die Zufriedenheit der Anwender.

Untätigkeit im Bereich IT-Prozess-Management stellt ein erhebliches Kostenrisiko dar", fasst Rainer Schmidt, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Aalen, die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung zum prozessorientierten IT-Service-Management in deutschen Unternehmen zusammen. Ziel der Studie war, die IT-Prozessorientierung sowie die Nutzung unterstützender Frameworks - allen voran der Best-Practices-Sammlung IT Infrastructure Library (Itil) - zu eruieren. Daneben galt es, mehr über die damit erzielten Erfolge zu erfahren. An der Online-Befragung, die die Universität gemeinsam mit dem IT Service Management Forum (ITSMF) vornahm, haben sich 217 deutsche Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung - von kleinen Betrieben über Mittelständler bis hin zu Konzernen ab 100 000 Mitarbeiter - beteiligt.

Der aktuelle Stand

Die IT-Prozesse in den hiesigen Unternehmen sind sehr unterschiedlich entwickelt: So haben 45 Prozent der Befragten zumindest für Teilbereiche verbindliche Prozessvorgaben etabliert, während sich ein Viertel der Firmen an vereinzelten Richtlinien orientiert. Einem umfassenden IT-Prozessmodell hingegen folgen lediglich 13 Prozent, und bescheidene zwölf Prozent der Betriebe geben an, ihre IT mittels fortgeschriebener Abläufe kontinuierlich zu optimieren. Offenbar gibt es nur wenige IT-Organisationen, die überhaupt noch keine Prozesse definiert haben: Laut Umfrage verfahren lediglich fünf Prozent der Interviewten grundsätzlich nach "informellen Regeln". Letztere Vorgehensweise zieht die mit Abstand höchsten Kosten nach sich: Gut ein Drittel dieser Firmen gaben an, dass die IT-Aufwendungen "stark" gestiegen seien.

Erwartungsgemäß ist das IT-Service-Management in Großunternehmen am stärksten ausgeprägt: Knapp 60 Prozent der Konzerne mit mehr als 100 000 Mitarbeitern geben an, komplett dokumentierte, kontinuierlich optimierte und fortgeschriebene IT-Prozesse zu haben. Mit rund 25 Prozent sind aber auch die kleineren Betriebe (bis 100 Mitarbeiter) hier nicht schlecht dabei. Schwerer scheint sich der Mittelstand zu tun - so trifft die obige Aussage nur auf etwa zehn Prozent der Firmen mit 1000 bis 10000 Mitarbeitern zu. Den mittelgroßen Unternehmen fehle einerseits die Übersichtlichkeit der kleinen Betriebe, andererseits das methodische Know-how der Konzerne, begründet Schmidt die überraschende "Mittelstandsdelle". "Es scheint eine kritische Grenze für IT-Service-Management-Projekte zu geben, ab der eine ausgefeilte methodische Unterstützung sehr wichtig ist", so Schmidt. Das werde in der Praxis offenbar nicht immer erkannt.

Framework-Spitzenreiter ist Itil

Die derzeit stärkste Prozessorientierung weisen die Unternehmen in den Bereichen Servicedesk/Helpdesk (gut 80 Prozent) und Incident-Management (knapp 80 Prozent) auf - gefolgt von Change-Management (gut 55 Prozent), Problem-Management und Configuration-Management (jeweils rund 50 Prozent) sowie dem Service-Level-Management (etwa 45 Prozent).

Das mit Abstand populärste Hilfsmittel zur Unterstützung des IT-Service-Managements ist die Verfahrensbibliothek Itil: An dem im Umfeld der britischen Regierung entwickelten Regelwerk orientieren sich gut die Hälfte der kleineren Betriebe und zwischen 80 und 90 Prozent der größeren Unternehmen. Doch Itil steht nicht allein: Häufig werden begleitend herstellerspezifische Frameworks eingesetzt. Die großen drei sind hier ITPM (IT Process Model) von IBM, ITSM (IT Service Management) von HP und MOF (Microsoft Operations Framework) von der Gates-Company. Alle sind verstärkt in den Kernmärkten ihrer Urheber vertreten: MOF vorwiegend von Kleinunternehmen sowie kleinen Mittelständlern und ITSM bei großen mittelständischen Betrieben eingesetzt. ITPM hingegen ist primär in Konzernen zu finden.

Grundsätzlich ist die Anwenderzufriedenheit in Unternehmen, die bei ihrem IT-Service-Management von einem Framework absehen, signifikant niedriger als bei denjenigen, die sich von einem der genannten Prozessmodelle unterstützen lassen. Als häufigster Grund für einen Verzicht auf diese Hilfsmittel wurde die Zufriedenheit mit den vorhandenen Abläufen genannt, gefolgt von zu kleinen Budgets.

Die Kostenentwicklung beim Einsatz von Itil hängt offenbar von der Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen ab: So meldeten die Mittelständler mit bis zu 10 000 Mitarbeitern nur einen unwesentlichen Kostenrückgang, während nicht nur Großunternehmen (40 Prozent), sondern auch kleinere Betriebe (20 Prozent) eine signifikante Reduzierung verzeichneten. "Die Komplexität der Geschäftsprozesse und damit der Prozess-Frameworks steigt mit der Gesamtzahl der Mitarbeiter", erklärt sich Schmidt das Phänomen. Je komplexer die zu unterstützenden Geschäftsprozesse, desto höher die Anforderungen an die IT, lautet sein Fazit. Auch hier fehlt den Mittelständlern anscheinend das Umsetzungs-Know-how der Konzerne, während den kleineren Unternehmen die Überschaubarkeit ihrer Mannschaften zugute kommt.

Prozessorientierung steigt mit der Position der IT

Die Ausprägung des IT-Service-Managements richtet sich nach der organisatorischen Position der IT im Unternehmen. So haben Firmen, deren Technikchef in der Geschäftsleitung oder im Vorstand sitzt - das allerdings ist lediglich bei einem Prozent der Umfrageteilnehmer der Fall - im Schnitt deutlich mehr Prozessbereiche definiert und implementiert als diejenigen, deren höchste IT-Position auf der zweiten (acht Prozent) oder dritten Management-Ebene (53 Prozent) angesiedelt ist.

"In der ersten Management-Ebene sind sowohl Einfluss- als auch Gestaltungsmöglichkeiten größer", nennt Schmidt Gründe für mehr Prozessorientierung. Ein zweiter liege im Umfang und den Implikationen der Projekte: Es handle sich bei der Einführung des IT-Service-Managements meist um ein langwieriges Unterfangen. Ein Viertel der Befragten brauchte hierzu im Schnitt zwischen sechs und zwölf Monaten, bei weit mehr als die Hälfte (59 Prozent) zog sich das Implementierungsprozedere jedoch länger als ein Jahr oder sogar über 24 Monate hin.

Zudem erzielten die Firmen laut Studie mit in die Breite gehenden Schulungen als unterstützende Maßnahme bei der Prozessimplementierung deutlich bessere Endergebnisse in Sachen Kostenreduzierung und Anwenderzufriedenheit als etwa durch die Auftragsvergabe an externe Berater. Der Aufbau interner Kompetenz im Zuge der Prozesseinführung habe sich demnach als wichtiger Erfolgsfaktor erwiesen - denn schließlich müssten die Abläufe nicht nur definiert, sondern auch gelebt werden. "Solche im Idealfall breit angelegten, aber eben auch langfristigen Projekte kann nur ein entsprechend positionierter CIO durchsetzen", erläutert Schmidt.

Allerdings sprechen die ausgedehnten Projektlaufzeiten seiner Ansicht nach auch dafür, dass es im methodischen Bereich noch Nachholbedarf gibt. "Wenn die Implementierung trotz der Anwendung solcher Methoden so zeitaufwändig ist, sollte sie nicht mehr als Projekt, sondern als kontinuierlicher Veränderungsprozess behandelt werden."

Der Einsatz von Itil-Werkzeugen zur Prozessunterstützung - beispielsweise Helpdesk- und Workflow-Tools - hat laut Studie wenig Einfluss auf die Entwicklung der Kosten und der Kundenzufriedenheit. Im Gegensatz dazu zeigen die Umfrageergebnisse, dass es eine deutliche Korrelation zwischen derartigen Erfolgen und der Anwendung von Modellierungsmethoden mit entsprechender Tool-Unterstützung gibt. Am häufigsten greifen die befragten Firmen hier auf Microsofts "Visio" (knapp 65 Prozent) und "Aris" von IDS Scheer (gut 25 Prozent) zurück. Gut die Hälfte der Organisationen, die ihre Prozesse mit Hilfe solcher Werkzeuge modelliert haben, verzeichnete einen spürbaren Kostenrückgang - ohne Tool waren es nur rund 45 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit der Zufriedenheit der Anwender. "In einem Itil-Projekt, an dem in der Regel viele Personen beteiligt sind, ist es wichtig, dass alle dieselbe Sprache sprechen", erläutert Schmidt. Diese Vereinheitlichung werde mit Hilfe von Modellierungs-Tools erzielt.

Die Prozessbereiche, die die Unternehmen im laufenden und im kommenden Jahr angehen wollen, entsprechen vorwiegend den genannten Disziplinen: Incident- und Configuration-Management, Service-Desk/Help-Desk, Problem-, Change- sowie Service-Level-Management. Als Grundlage für die Prozessoptimierung planen etwa 65 Prozent der Firmen Itil einzusetzen.

Offenbar sind es gerade die weniger populären Management-Bereiche, die sich noch erheblich wirtschaftlicher und kundenfreundlicher gestalten lassen. So resultiert der Studie zufolge die Verbesserung etwa von Infrastructure-, und Release-Management, Technical Support sowie Operations in ungleich höheren Einsparungen sowie wesentlich zufriedeneren Anwendern. "Es ist anzunehmen, dass in diesen Bereichen das Wissen um die vorteilhafte Gestaltung von Abläufen bisher wenig verbreitet ist", begründet Schmidt das Phänomen. Entsprechend viel lasse sich dort noch erreichen.