Neckarwerke: Von der Lochkarte über die Mainframes zum NC

Mit Windows-Terminal-Server und NCs zum State of the Art

19.11.1999
Seit Lochkartenzeiten haben die Neckarwerke Stuttgart, einst ein treuer IBM-Kunde, keine Computergeneration ausgelassen. Mittlerweile arbeiten sie mit Applikations-Servern, die die Anwendungen auf unterschiedlichste Client-Rechner bringen - darunter eine wachsende Anzahl von Network Computern (NCs).

"Hauptziel der IT ist die Effizienzverbesserung des Unternehmens." So die Maxime von Bruno Bickel, Abteilungsleiter für Rechnernetze bei Neckarwerke Stuttgart AG (NWS). Wenn man die Hollerith-Lochkarten-Technik im Rechnungswesen mitzählt, blickt das Unternehmen auf über 60 Jahre IT-Historie zurück. "Seit der DV-Dampfmaschinen-Ära", so Bickel, hat der Dienstleister mit der IBM-Kundennummer 726 sämtliche Technologieentwicklungen mitgemacht. Von 1987 an setzen die Neckarwerke IBM-Mainframes und Terminalnetze für die Finanz- und Materialwirtschaft sowie für die auf SAPs R/2 basierende Kundenabrechnung ein. Finanzwesen und Materialverwaltung wurden Anfang 1999 auf R/3 mit OS/390-basierendem Datenbank-Server umgestellt.

Die Großrechner sind unangefochten. Daran haben weder die später eingezogenen OS/2-PCs noch Novell-Netze oder Unix-Systeme etwas geändert. Doch die Vorzeichen der Mainframe-Ausrichtung haben sich geändert.

Der Einschnitt kam Anfang 1997. "Durch die Implementierung eines unter NT laufenden Kraftwerk-Betriebsführungssystems hatten wir die erste Berührung mit Wincenters, also NT-basierenden Applikations-Servern", erinnert sich Bickel. Der für die IT zuständige Prokurist Günter Wedlich hatte vorgeschlagen, die Kraftwerkslösung unter NT, damals in der Version 3.5.1, zu betreiben. Im ersten Schritt wurden die Arbeitsstationen, PCs unter OS/2, mit dem X-11-Produkt "Exceed" ausgestattet, das Zugriff auf die Wincenter-Applikations-Server ermöglichte.

Doch 1997 wurde das Projekt unterbrochen. "Zunächst stand die Fusion der Neckarwerke mit den Technischen Werken Stuttgart an", begründet Bickel den Stillstand. Dem Zusammenschluß der Unternehmen mußte die Integration ihrer DV folgen. Zudem standen zwei weitere Aufgaben ganz oben auf der Dringlichkeitsliste: die Euro-Umstellung und das Jahr-2000-Problem. Die Arbeiten daran verschlangen einen Großteil der Kapazitäten.

Noch während der Fusionsarbeiten fiel im Frühjahr 1998 der Beschluß, in weiten Unternehmensteilen R/3 einzuführen. Für die R/3-Applikationen sind Acht-Prozessor-Rechner des Typs RS/6000-R50 zuständig, als Daten-Server dient der S/390-Mainframe unter OS/390. Die Verbindung vom Großrechner zu den Unix-Systemen erfolgt über Open-Systems-Adapter und Escon-Punkt-zu-Punkt-Glasfasern, zu den Windows-based Terminal-Servern (WTS) hingegen über Fast Ethernet. Nach Abschluß der Tests sollen ATM-Verbindungen eine direkte Koppelung der WTS untereinander sowie zum Host herstellen.

Die Terminal-Server waren für die nach Maßstäben eines Großkonzerns auffallend schnelle SAP-Einführung - innerhalb eines Dreivierteljahres - von Bedeutung. "Ohne die WTS mit der von uns parametrisierten SAP-Benutzeroberfläche hätten wir R/3 in dieser Zeit nicht installieren können", hebt Bickel hervor.

Dabei verfolgten die Neckarwerke eine Doppelstrategie: "Wir setzten auf zwei Lieferanten - und machten eine interessante Erfahrung: Gab es mit einem System Schwierigkeiten, war es durchaus möglich, daß mit dem anderen problemlos zu arbeiten war." Als WTS dienen IBMs Netfinity-Systeme sowie als Rack-Versionen ausgelegte Rechner von ALR/Gateway mit jeweils vier CPUs.

Die derzeit installierten zwölf WTS bedienen jeweils 70 bis 80 Anwender. Sie sind mit 1 oder 2 GB Hauptspeicher ausgestattet. "Das reicht nach unseren Erfahrungen völlig aus", konstatiert Bickel.

Jedem dieser Rechner sind, teilweise angebunden über SCSI 3, auf dem EMC-Subsystem 16 GB Plattenspeicher zugeordnet - allerdings, so bedauert Bickel, derzeit noch mit zuwenig Anschlüssen für die Server.

Die Anwender sitzen vor allen Rechnern, die sich in einem modernen Großunternehmen üblicherweise finden. Das sind 600 OS/2-, 200 NT- und 800 Windows-3x-PCs. Doch bei den Neckarwerken arbeiten darüber hinaus auch NCs, wo früher PCs standen.

Laut Bickel waren nicht alle Anwender begeistert, ihren PC gegen einen NC tauschen zu müssen. Das habe sich aber geändert, als die Benutzer merkten, daß sie "von ihren NCs ähnliche Leistungen erhalten wie vom PC - nur wesentlich stabiler". Von den Netzcomputern sind nach Abschluß der ersten Installationswelle 800 Geräte im Betrieb. Nach den Planungsvorgaben werden im Endausbau zwei Drittel aller Arbeitsplatzsysteme NCs sein, das sind insgesamt zirka 2500 Geräte. Sie sollen vor allem die älteren Windows-3x- sowie die OS/2-PCs ablösen.

Bringen NCs soviel, wie ihre Hersteller behaupten? "Natürlich steht am Anfang immer ein nicht zu unterschätzender Aufwand", räumt Bickel ein. "Aber die positiven Seiten überwiegen doch recht schnell. Bei R/3 hat es sich gezeigt."

Das erste und beste Argument ist die deutlich vereinfachte zentralisierte Verwaltung in einer sehr komplexen DV-Umgebung. Weiter hebt Bickel den schnelleren Service im Fehlerfall und die zentrale Datensicherung hervor.

Kaum war die erste Phase der NC-Einführung abgeschlossen, wurde das auf Eis gelegte Wincenter-Projekt wieder aufgenommen. Doch jetzt sollte es ein richtiger Schritt nach vorn werden: statt Clients mit Windows 3.1 oder OS/2 gleich NT. Dahinter steht die Überlegung, die Betriebssystem-Vielfalt sowie den Service- und Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Die Wahl fiel aber auch deshalb auf das Microsoft-System, weil die Fachbereiche es wollten.

Zunächst wurde ein Testdurchlauf über mehrere Server-Stufen entwickelt. Es begann mit der Vorvalidierung ("Geht das überhaupt?"), gefolgt vom ersten Test-Server: ("Wo liegen die Schwierigkeiten? Wie können wir sie zusammen mit den Fachbereichen bereinigen?") Darauf folgte die Neuimplementierung auf einem Referenz-Server. Erst wenn die Validierung auf dem Test-Server der nächsthöheren Stufe zu positiven Ergebnissen kam, wurde die Referenzinstallation freigegeben.

Die übervorsichtig erscheinenden Vorvalidierungstests erwiesen sich als richtig. Schwierigkeiten ließen sich frühzeitig erkennen und eingrenzen. Es zeigte sich, daß es sinnlos sein würde, bestimmte ältere Software für den Einsatz auf den WTS Multiuser-fähig zu machen.

In der Kombination von weiter zu erhaltenden, aber noch nicht 32-Bit-fähigen Anwendungen mit neuen Systemen liegt eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle. Das wirkte sich beispielsweise bei der gleichzeitigen Verbindung der parametrisierten SAP-Benutzeroberfläche sowohl mit der alten Office-Version 4.3 als auch mit dem neuen Office 97 aus. Bickel: "Wir würden eine weit höhere Stabilität erreichen, wenn nur die neuen Multiuser-fähigen 32-Bit-Versionen eingesetzt würden." Doch da sind auch die Budgetpläne vor.

Insgesamt hat Bickels Team rund 60 Anwendungen gründlich auf ihre WTS-Tauglichkeit geprüft. Inzwischen sind rund 40 Anwendungen für den Betrieb freigegeben, darunter das Office-Paket und Software wie die Version 8 von "Corel Draw" oder das SAP-GUI in der Version 4.5. Bei "Lotus Notes", Version 5, laufen dessen Clients auf den WTS in Verbindung mit dem OS/390-Server.

Der ganze Aufwand diente nicht nur dem Ziel, Hunderte von Arbeitsplätzen über WTS mit Standard-PC-Anwendungen zu versorgen. Zugleich sollten die R/3-Module für Finanzwesen, Controlling, Materialwirtschaft und Personalwesen auf diesem Weg zugänglich gemacht werden - egal, ob die Arbeitsplätze unter OS/2, NT oder Windows laufen. Wo immer möglich, wurden bei dieser Gelegenheit Windows-3x-PCs durch NCs ersetzt.

Dabei ließ sich ein alter Wunsch der Anwender erfüllen: Dank Single-Sign-on muß sich ein User jetzt nur noch einmal beim System mit User-ID und Paßwort anmelden. Egal, an welchem Standort und auf welcher Client-Hardware er das macht, die Anmeldung wird dabei über sämtliche Systeme bis zum Großrechner durchgereicht.

Der Arbeitsaufwand für WTS- und NC-Einführung, für die R/3-Implementierung sowie für das Testkonzept war alles andere als gering. Es gab reichlich Probleme, "keineswegs triviale", erinnert sich Bickel. Das galt vor allem für die Umstellung der Protokolle oder die Einbindung der Betriebssysteme. "Wir haben den Anwendern schon einiges zugemutet."

Die NCs entlasten die DV-Abteilung. Ihr Installationsaufwand ist minimal: Wird ein Gerät fehlerhaft, ist ohne Hilfe eines Spezialisten ein Austausch per Plug and play möglich. Es sind lediglich die Kabelverbindungen zu lösen und das Ersatzgerät wieder anzuschließen. Des weiteren bringt die zentrale Verwaltung der NCs schnellen, effektiven und kostengünstigen Service. Bickel: "Es muß niemand wegen einer Fehlerbestimmung zum Anwender irgendwo in unserem flächendeckenden Netz fahren."

In einem Punkt ist ein Rekordwert aus Großrechnerzeiten noch nicht erreicht: 99,99 Prozent Verfügbarkeit lassen sich mit NT oder Unix nicht schaffen. "Aber wir liegen über den allgemein genannten Werten der Analysten", freut sich Bickel.

Die Nutzung von NCs hat - trotz der aufwendigen Integration - die Einführung neuer Software nicht eingeschränkt. So läuft auf den Netzcomputern jetzt das anspruchsvolle CAD-System "Microstation", mit dem das gesamte Rohrnetz für die Gasversorgung samt allen Hausanschlüssen in Stuttgart kartografiert und digitalisiert ist. Die Gesamt-Performance über alle Operationen braucht den Vergleich mit Workstations nicht zu scheuen.

Das Unternehmen

Anfang 1997 entstand aus der Fusion von Neckarwerke Energieversorgungs AG (NW) und Technische Werke Stuttgart (TWS) die Neckarwerke Stuttgart AG (NWS). Das Stromnetz des Konzerns deckt unmittelbar ein Gebiet von 2138 Quadratkilometern ab. Es versorgt über 1,8 Millionen Einwohner in Stadt- und Landkreisen des schwäbischen Kernlands, von Ludwigsburg im Norden bis Reutlingen im Süden sowie von Horb im Westen bis Göppingen im Osten mit elektrischer Energie. Hinzu kommen Wasser- und Gasversorgung sowie - im Stuttgarter Stadtgebiet - die Belieferung der Kunden mit Fernwärme.

Das neue Unternehmen erwirtschaftete 1998 im Kerngeschäft mit über 4900 Mitarbeitern fast 3,6 Milliarden Mark Umsatz und einen Jahresüberschuß von 118,5 Millionen Mark. Von den Erlösen entfielen dabei mehr als 2,3 Milliarden Mark auf die Strom- und 640 Millionen auf die Gasversorgung. Weitere 154 Millionen Mark erbrachte die Wasserversorgung, und die Fernwärme steuerte 121 Millionen bei.

*Karl-Ferdinand Daemisch ist freier Journalist in Lörrach.