Welche Zukunft haben die Aviion-Server?

Mit Data General kauft EMC eigentlich zwei Firmen

01.10.1999
MÜNCHEN (kk) - Die Übernahme von Data General (DG) durch EMC scheint formal problemlos über die Bühne zu gehen - zumindest für die Benutzer der "Clariion"-Speicher wird sich nicht viel ändern. Wie aber stellt sich die Situation für die Kunden der "Aviion"-Server dar?

Als EMC Anfang August erklärte, das Traditionsunternehmen Data General übernehmen zu wollen, waren sich die Marktbeobachter darüber einig, daß für den Speicherspezialisten die Rechnerlinie von DG eher eine Belastung darstelle. Die Company habe es vielmehr auf das Service- und Beratungsgeschäft des einstigen Minicomputer-Herstellers abgesehen. Vor allem aber seien für EMC die Clariion-Speicher interessant, die im mittleren Leistungsbereich angesiedelt sind und das eigene Produktportfolio sinnvoll ergänzen. Einige Beobachter mutmaßten, daß EMC mit der Übernahme den Pfad der proprietären Systeme - seit jeher haftet dieser Vorwurf an den "Symmetrix"-Speichern - verlassen habe.

Sowohl EMC- als auch DG-Manager suchen derzeit Gelegenheit zu Gesprächen mit der Öffentlichkeit und der (DG-)Kundenbasis. Wenn sich beispielsweise Malte Rademacher, Marketing-Chef von EMC in Deutschland, demnächst der DG-Anwendervereinigung (DGAV) stellen wird, "dann geht es besonders darum, zu erfahren, was die Server-Benutzer von uns erwarten". Wegen des speziellen Übernahmeverfahrens "Pooling of Interests" - DG-Aktionäre erhalten für ihre Aktien EMC-Anteile, die nicht versteuert werden müssen - muß EMC die Server-Sparte für mindestens zwei Jahre weiterpflegen.

In diesem Zeitraum wird sich der neue Eigentümer der robusten und damit langlebigen DG-Server entscheiden, was mit der verlustreichen Sparte geschehen soll. Die Bilanz des gekauften Unternehmens verzeichnet für die ersten neun Monate des laufenden Geschäftsjahres, also bis zum 30. Juni 1999, einen Verlust von mehr als 15 Millionen Dollar - und die stammen aus dem Server-Bereich (siehe Tabelle Seite 50). Dazu Joel Schwartz, Vice-President von Data General und Chef der Speicherabteilung: "Clariion war immer profitabel, die roten Zahlen bescherte uns das Rechnergeschäft."

Für die Systemkunden in Deutschland spielte Data General als Plattformlieferant offenbar nur mehr eine untergeordnete Rolle, wie eine CW-Umfrage bei Mitgliedern der DGAV ergab. Von sechs befragten Anwendern hatten vier ihre DG-Anwendungen bereits auf andere Plattformen portiert oder waren gerade damit beschäftigt. Meist handelte es sich dabei aber entweder um proprietäre "MV"-Maschinen oder ältere Aviion-Server, die statt mit Intel-Chips noch mit Prozessoren von Motorola ausgestattet waren. Die neuen Zielplattformen heißen Compaq, HP oder Sun, die gewünschten Betriebssysteme Windows NT, HP-UX oder Solaris.

Warum die Anwender den DG-Systemen den Rücken kehren, erklärt beispielsweise Peter Kahoun von der katholischen Universität in Eichstätt: "Wir lösen unsere MV-Maschine durch einen Server von Sun ab, der ist billiger." Gleiches bestätigt Monika Marke-Heiduck, Geschäftsführerin der Heiduck GmbH in Weichering. Das Systemhaus hat seit 25 Jahren Erfahrung mit Rechnern von Data General. "Die Ersatzteilbeschaffung bei DG ist sehr teuer. So kostet ein Netzteil für einen kleinen Aviion-Server 1300 Mark", klagt die Managerin. Der Hersteller verwendet fast ausschließlich OEM-Komponenten, die vom Originallieferanten nicht an den Endverbraucher abgegeben werden dürfen.

Ein anderer wichtiger Grund für den Umstieg dürfte die Entscheidung von Data General gewesen sein, das hauseigene Betriebssystem DG-UX nicht auf 64 Bit zu erweitern. "Wir haben unseren Kunden immer gesagt, daß es keine Pläne für ein 64-Bit-DG-UX gibt. Wir setzen für unsere Plattform entweder auf das Monterey-Projekt von IBM und SCO oder auf Solaris", bestätigt DG-Vizepräsident Joel Schwartz.

Dennoch gibt sich Schwartz zuversichtlich, daß die Übernahme die Aviion-Verkäufe nicht negativ beeinflußt, zumindest bei den Unternehmen, die bereits in DG-UX investiert haben. Denn mindestens zwei Jahre lang seien Service und Support - inklusive der geplanten Portierungsmöglichkeit auf die zukünftige Zielplattform - ja gewährleistet. "Wenn ich als DG-UX-Anwender Zusatzbedarf habe, warum sollte ich mich schon jetzt der Mühsal des Umstiegs auf ein anderes System unterziehen?" Noch einfacher sei die Kaufentscheidung bei den Aviion-Servern unter NT. Dazu Schwartz: "Unsere NT-Version für die Acht-Wege-Server ist identisch mit der Version, die am Markt ist, denn NT kommt von Microsoft."

Die Praxis erweist - zumindest derzeit - das Gegenteil. "Ich bin der Meinung, daß die Übernahme von Data General einschneidende Veränderungen für unser Geschäft nach sich ziehen wird", erwartet Marke-Heiduck, die seit Bekanntgabe des Deals keinen Aviion-Server verkauft hat. "Solange man nichts über die Zukunft der Server-Sparte weiß, kann man das guten Gewissens auch nicht."

Die Geschäftsführerin erinnert sich daran, daß "die MV-Schiene damals sang- und klanglos gestorben ist". Für das Systemhaus bedeutete das sogar ein Geschäft, "da keiner mehr etwas gemacht hat und wir Service und Support anbieten konnten". Trotz der Aussicht, mit den DG-Rechnern in Zukunft Umsatz beim Service zu erzielen, löst die Übernahme bei der Geschäftsführerin Unbehagen aus. Auch Gespräche mit Kollegen in den USA, die teilweise recht optimistisch gestimmt seien, konnten ihre Zweifel nicht beseitigen: "Wenn ein Speicherhersteller eine Firma aufkauft, die im Server-Bereich tätig ist, und zusätzlich noch das interessante Produkt Clariion im Portfolio hat, dann sind die doch eher am Speicher interessiert."

"Nicht nur", behauptet EMC-Marketier Rademacher. Man untersuche auch die Rechnerarchitektur "Non Uniform Multiprocessing Architecture" (Numa) der Aviion-Server. Derzeit prüfe man, ob sie vielleicht für die hauseigenen Symmetrix-Speicher verwendet werden könnte. Auf den Controllerboards der Speicher finden sich bis zu vier Motorola-Chips, so daß dort der Einsatz der Numa-Technik durchaus sinnvoll sein könnte. Eine andere Möglichkeit für die Nutzung dieser Technik seien die "Celerra"-File-Server, die als eine Art Network-Attached-Storage-(NAS-) Server den Symmetrix-Speichern vorgeschaltet sind. Rademacher: "Wohlgemerkt, das ist keine Zusage, Numa zu verwenden."

Henrik Klagges, Analyst beim Münchner Beratungsunternehmen Consol, glaubt nicht, daß sich die Numa-Technik für die EMC-Speicherboards eignet: "Das ist Unsinn." Mit der Aviion-Division habe sich EMC einen Fremdkörper ins Haus geholt, denn die Numa-Servertechnik sei teuer und unabhängig vom Storage-Business. Zudem sei mit der Verfügbarkeit des Profusion-Chipsatzes, den auch Data General selbst verwendet, der Aufbau von Acht-Wege-Servern einfach und kostengünstig zu realisieren. Dadurch wird der Markt für Numa-Maschinen enger. "Das hat schon Sequent gemerkt und kann deshalb glücklich sein, von IBM übernommen worden zu sein", beurteilt der Analyst. Diese Verbindung sei sinnvoll, da IBM ja auch Rechner herstellt. EMC hingegen verlasse sein angestammtes Geschäft. Daher könne man sich mittelfristig den Verkauf der Aviion-Divison gut vorstellen..

DG in Zahlen (Angaben in Dollar)

Gegründet: 1968

Umsatz 1998 (30. September 1998): 1,5 Milliarden

Verlust 1998: 152 Millionen

Umsatz mit Aviion-Servern 1998: 542 Millionen

Umsatz mit Clariion-Speichern 1998: 570 Millionen

Umsatz mit PCs und anderen Geräten: 120 Millionen

Umsatz mit Auftragsfertigung: 45 Millionen

Anzahl der Beschäftigten 1998: rund 4700