Microsoft und IBM ringen um Alleinherrschaft

11.09.1992

Sowohl die aktuellen OS/2- als auch die Windows-Pakete liegen nun seit einigen Monaten bei den Kunden. Bei weitem nicht alle Anwender arbeiten auch schon mit den Produkten, wegen der sich die IBM und Microsoft eine Marketing-Schlacht sondersgleichen liefern. Es geht um viel: Nur vordergründig bemühen beide Parteien technologische Argumente, um die Anwender zu überzeugen. Der Schlagabtausch um die Anzahl verkaufter Kopien soll von den eigentlichen Absichten ablenken: In Wirklichkeit geht es Big Blue darum, den PC-Markt wieder unter Kontrolle zu bekommen, nachdem dieser Versuch mit der Vorstellung der proprietären PS/2-Mikrokanalmaschinen 1987 fehlschlug. Doch auch die Gates-Company hat sich in den vergangenen zehn Jahren den Ruf erworben, durch clevere Schachzüge den Mikromarkt dominieren zu wollen. So muß man die Marketing-Scharmützel der beiden Großen als Versuch sehen, im Software-PC-Markt die Alleinherrschaft zu erringen.

Hier klaffen allerdings die Bedürfnisse von Herstellern und Anwendern auseinander: Für den Benutzer und potentiellen Käufer stellt sich lediglich die Frage: "Was bringt mir eine neue Software, welche Auswirkungen hat die Ausrichtung auf ein neues Betriebssystem?"

Nicht umsonst spielen diese Fragen bei DV-Verantwortlichen wie Georg Thaler von den Klöckner-Werken in Duisburg die entscheidende Rolle: Bei der auf Dekaden ausgelegten MIS-Planung der Metaller aus dem Kohlenpott ist die Software insofern von überragender Bedeutung, "als man sich mit der Wahl eines Betriebssystems auf Jahre festlegt, die Hardware hingegen - wenn man auf Offenheit achtet - immer wieder ausgewechselt werden kann".

Doch gerade bezüglich zukünftiger Planungen stiften die Versprechungen von Big Blue und Microsoft beim Anwender eher Verwirrung: Beide beschränken sich darauf, dem Konkurrenten die jüngsten Verkaufszahlen von OS/2 und Windows um die Ohren zu schlagen, was Industrieanalysten zu der Aussage veranlaßt, das Quantitätsargument sei lediglich die neueste Waffe im entbrannten Desktop-Krieg.

Aktueller Stand: OS/2 soll, reklamieren die blauen Marketiers, jetzt die Ein-Million-Schallmauer durchbrochen haben. Microsoft hingegen addiert die Anzahl der bislang veräußerten DOS-Erweiterungen auf elf Millionen und behauptet, im vergangenen Vierteljahr jeweils pro Monat so viele Versionen von Windows verkauft zu haben, wie IBM insgesamt OS/2-Kopien.

Ob Verkaufszahlen jedoch auf zu erwartende Erfolgserlebnisse schließen lassen, ist durchaus fraglich. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, daß der IBM nicht ohne Grund der Ruf anhängt, mit OS/2 ein proprietäres Betriebssystem zu entwickeln, mit dem - und den IBM-spezifischen PS/2-Maschinen- Big Blue den PC-Markt wieder unter blaue Kuratel stellen will.

Als die IBM 1985 mit Microsoft eine Vereinbarung zur Entwicklung eines neuen Betriebssystems abschloß, setzten die Mainframer zum einen entgegen dem Rat von William H. Gates auf den 286-Prozessor, statt sich gleich auf die vor allem in Sachen virtueller Speicherverwaltung leistungsfähigere 386-CPU einzuschwören.

Bekannt und Geschichte ist, daß ein Jahr später Compaq mit dem "Deskpro386" einen Siegeszug unter den PC-Clonern antrat, erstmals in der Industrie sprach man in der Folge häufig nicht mehr von IBM-, sondern von Compaq kompatiblen Rechnern. Zudem konnte Apple nach einer Durststrecke Mitte der 80er Jahre mit den Macintosh-Rechnern, die über eine benutzerfreundliche Oberfläche verfügten, wieder bemerkenswerte Verkaufszahlen vorweisen. Deshalb entschloß sich Big Blues Direktor der Entry Level Division in Boca Raton, Bill Lowe, OS/2 gemeinsam mit Microsoft für den 386-Prozessor zu entwickeln, allerdings sollte zunächst die 286-CPU den Vorrang erhalten.

Wesentlicher waren zum anderen allerdings konzeptionelle Änderungen an der grafischen Oberfläche (GUI), die in dem zunächst "Advanced DOS" genannten neuen Betriebssystem verwirklicht werden sollten. Lowe machte zwar Gates das Zugeständnis, IBM wolle für OS/2 Windows-Lizenzen erwerben- allerdings solle die Windows-Oberfläche dann Presentation Manager heißen. Vor allem verlangte er aber von Microsoft, das GUI zu überarbeiten und Konzepte des grafischen Systems zu verwenden, das Big Blue in der Mainframe-Welt benutzte.

IBMs Vorgabe bedeutete, daß die DOS-Version von Windows, die im November 1985 mit zweijähriger Verspätung von Microsoft vorgestellt wurde, zu Windows für OS/2 nicht kompatibel war. Möglicherweise hat die IBM mit diesem Entschluß, mit dem auch PC-Anwender in Zukunft an ihre proprietäre Welt gekettet werden sollten, den Grundstein für viele Zweifel über die Zielrichtung von OS/2 und Windows gelegt. Ironischerweise hängt auch der aktuellen OS/2-Version nun der Ruf an, proprietär zu sein, obwohl das Multitasking-Betriebssystem auf jedem OEM-PC eingesetzt werden kann.

Andererseits scheint sich nun Microsofts strategische Planung durchzusetzen: Anläßlich der Präsentation von OS/2 hatte man Windows als Durchgangsstation zu OS/2 bezeichnet, das Ziel war die Entwicklung eines Kernel-basierten OS/2 3.0. Nach der Scheidung von Big Blue änderte Microsoft den Namen OS/2 3.0 in Windows NT und ist nun offensichtlich auf einem geraden Weg hin zur Dominanz bei PC-Betriebssystemen.

Den IBM-Marketiers hilft es dabei wenig, daß - wie schon 1987 - Fachleute der Betriebssystem-Version 2.0 durchaus technische Brillanz nachsagen. Der Markt spricht eine deutliche Sprache: Die DOS-Oberfläche Windows hat sich eindeutig durchgesetzt. Anwender in Unternehmen erklären fast schon stereotyp: Im Test haben wir die Version 2.0 von OS/2, aber im Einsatz ist Windows.

Die Gründe für die Zurückhaltung bei IBMs Betriebssystem sind ebenfalls immer wieder die gleichen: Zu wenige verfügbare Applikationen, sehr hoher Ressourcenbedarf und eine zu komplexe Struktur.

Ein typischer Fall ist das Europäische Patentamt: Per Direktionsbeschluß hat man sich zwar auf OS/2 als Betriebssystem der Wahl festgelegt, Version 2.0 wird laut Patrick Desmond, Leiter der Testabteilung im holländischen Haag, auch begutachtet. Trotzdem klagt eine Anwenderin: "Weil Anwendungen für OS/2 noch fehlen, müssen wir unsere Applikationen in der DOS-Kompatibilitätsbox unter Windows laufen lassen." Da man aber auf eine stabile Multitasking-Funktion angewiesen sei, setze man trotzdem auf OS/2.

Die Möglichkeit, mehrere Aufgaben zeitgleich durch das Betriebssystem verwalten und ausführen zu lassen, stellt denn auch das stärkste Argument von Big Blue gegenüber Microsofts Konkurrenzprodukt Windows dar: Konsequenterweise wird diese Fähigkeit in TV-Werbespots auch besonders hervorgehoben. Fairerweise sollte man allerdings hinzufügen, daß es sich bei Windows lediglich um das GUI zum DOS-Betriebssystem handelt, ein Vergleich mit OS/2 läßt sich deshalb eigentlich nur mit dem noch ausstehenden Windows NT oder mit Unix ziehen.

Außerdem dürfte das Multitasking-Argument allein nicht reichen, Anwender doch noch von OS/2 zu überzeugen. "Für die meisten unserer Arbeitsplätze brauchen wir so eine Funktion nicht", meint unter anderem Karl Alles, PC-Netz-Betreuer bei der B + S Visa Card Service GmbH in Frankfurt. Eigentlich kanoniere man sogar mit den in Windows zur Verfügung stehenden Funktionen schon auf Spatzen.

"Wir mußten unsere Anwender auch auf Windows erst schulen", erzählt Alles, denn die würden ihren PC eigentlich so behandeln wollen, wie sie früher ein Blatt Papier benutzten. "Die interessieren sich nicht für Betriebssystem-Funktionen oder Oberflächenoptionen."

Trotzdem sieht Heribert Philip von der Ikea Lager- und Service GmbH in Werne in Windows eine große Hilfe, denn "unsere Anwender sind - DV-technisch gesehen - recht schlecht ausgebildet. Wenn die auf der DOS-Ebene Daten kopieren müßten, würden wahrscheinlich 80 Prozent der Anwender Probleme haben." OS/2 sei dagegen viel zu komplex, "das kann man einem Anwender eigentlich nicht zumuten".

Interessanterweise konkurriert Microsoft mit Big Blue auch auf einem Feld, das eigentlich als IBM-Domäne angesehen werden müßte: der Anbindung an Host-Rechner. Beim Frankfurter Kreditkarten-Dienstleister zumindest scheint es in Sachen Kommunikation zwischen Hosts und PCs keine Probleme zu geben: "Unsere Anbindung an den Host läuft über ein Gateway der Nürnberger NCP Engineering, braucht wenig Speicher und steht in Zukunft auch unter Windows zur Verfügung." Eine Beta-Version sei bereits im Test.

Ernst Orlich, Hauptabteilungsleiter für PC-Systeme bei der Blohm & Voss AG in Hamburg, hat ähnlich gute Erfahrungen mit Microsoft Topseller gemacht: "Windows-Emulationen für den Host laufen genauso stabil wie diejenigen von OS/2."

Allerdings monierte ein Anwender aus dem Niederrheinischen, daß bei der Preisgestaltung für Windows-beziehungsweise 3270-Emulationen noch Nachbesserungsbedarf bestehe: "Die Emulationssoftware kostet nämlich genausoviel wie die komplette OS/2-Extended-Edition." Allein deshalb könne OS/2 wieder interessant werden.

Ein anderer Benutzer aus Osnabrück klagte, die IBM habe bei der TCP/IP-Unterstützung von OS/2 2.0 zwar technisch gute Arbeit geleistet, "aber wenn ich in den USA nur einen Bruchteil dafür zahlen muß, was mich die TCP/IP-Anbindung in Deutschland kostet, dann stimmt da etwas nicht." TCP/IP unter OS/2 scheint noch einen weiteren Haken zu haben: "Unsere Tests mit Version 2.0 haben gezeigt, daß TCP/IP unter Sicherheitsaspekten im firmenweiten Einsatz sehr problematisch ist", kritisiert Cheftester Desmond vom Europäischen Patentamt. Abgesehen davon, daß die IBM mit ihrer APPN-Strategie nicht nur bei Anwendern für Verwirrung und bei potentiellen Lizenznehmern wegen der hohen Gebühren für Verärgerung sorgt, dürfte Microsoft all diesen technischen Details gelassen entgegentreten und diese mit dem Argument der schieren Masse kontern.

Die Aussage von Orlich von Blohm & Voss kann stellvertretend als Begründung dafür stehen, daß Windows OS/2 längst überrundet hat: "Wir befinden uns gerade in der Evaluierungsphase, ob wir Windows oder OS/2 einsetzen sollen. Dabei bietet sich die DOS-Oberfläche einfach wegen der vielen verfügbaren Anwendungen an."

Allerdings wolle man sich in Zukunft auf das Thema Bürokommunikation konzentrieren, und da kapriziere man sich auf die Lotus-Groupware Notes:

"Für solche großen Anwendungen brauchen sie aber ein mächtiges Betriebssystem, deshalb schielen wir auch noch auf OS/2."

Diese Strategie kann nach aktuellen Meldungen allerdings Lotus selbst durchkreuzen. Der Microsoft nicht unbedingt wohlgesonnene Softwarekonkurrent plant, seine gesamte Produktpalette einschließlich Notes auf HPs Unix-Systeme der 9000-Linie zu portieren.

Damit nicht genug, will die Company von Jim Manzi auch die RISC-Rechner von IBM und Sun Microsystems bedienen. Darüber hinaus soll unter anderem eine Notes-Implementierung für SCOs Open-Desktop-Betriebssystem-Umgebung bereits Anfang 1993 auf den Markt kommen.

Insofern scheint man bei Gruner & Jahr eine intelligente Lösung für die Probleme der unternehmensweiten DV-Struktur gefunden zu haben: Dort will man sich aller Voraussicht nach - zumindest Server-seitig-weder von der IBM noch von PC-Betriebssystem-Monopolist Microsoft abhängig machen und setzt auf Unix.

Zwar ist die endgültige Entscheidung nach den Worten des DV-Leiters des Hamburger Verlagshauses, Joachim Heuwes, noch nicht gefallen, aber: so wie es aussieht, kommt für uns nur Unix als Server-Betriebssystem in Frage." Im Test seien im Zuge von Downsizing-Überlegungen sowohl Unix als auch OS/2: "Bei OS/2 bin ich jedoch sehr zurückhaltend, ob das jemals bei uns als Server-System eingesetzt werden wird."

Für die Ausrichtung an konkreten Gegebenheiten spricht bei den Hamburgern auch, daß bei der Wahl des zukünftigen Back-end-Betriebssystems Windows NT außen vor bleibt. Grund: Es ist nicht verfügbar. Um eine möglichst effiziente DV-Struktur zu erhalten, erarbeitete Gruner & Jahr in einem Benutzerausschuß ein Regelwerk, das unternehmensweit Gültigkeit hat, wenn es endgültig im November 1992 verabschiedet wird.

Das Komitee, das sich aus Abgesandten der zentralen DV sowie der Fachbereiche zusammensetzt, einigte sich dabei verbindlich darauf, PCs und Macs unter dem Novell-Netzsystem beziehungsweise dem Kommunikationsprotokoll Appletalk zu nutzen. Außerdem installierte man Windows 3.1 auf allen DOS-PCs. Letztere Entscheidung fiel vor allem deshalb, da bei den etwa 500 PC-Benutzern gegenüber der gleichen Zahl von Mac-Anwendern das Gefühl entstand, "einen Arbeitsplatz zweiter Klasse zu haben, weil die Macs eben immer schon eine Benutzeroberfläche hatten."

Nach Heuwes spricht auch gegen OS/2, daß führende Softwarehäuser mittlerweile ebenfalls den Schwenk auf Unix vollführen: Wir haben OS/2 eigentlich nur deshalb noch im Test, weil wir hier im Verlag auch SAP-Software nutzen. Und SAP schwimmt ja noch nicht sehr lange auf der Unix-Welle."

Microsofts zumindest in der Öffentlichkeit zur Schau getragene klare dreigeteilte Strategie - Windows 3.1 für den individuellen Benutzer, das um Netzwerk- und E-Mail-Funktionen bereicherte Windows for Workgroups 3.1 für kleine PC-Vernet- zungen sowie als Obermenge beider Windows NT 3.1 als Applikations-Server-System - und die zunehmende Beliebtheit von Unix scheinen beim Anwender jedenfalls einen Trend weg von OS/2 auszulösen.

So stellte auch das Marktforschungsunternehmen Gartner Group in einer jüngst veröffentlichten Studie fest, daß neben Netware als Spitzenreiter ab 1994 auch Windows NT und Unix mit jeweils einem Viertel vom Kuchen auf den vorderen Plätzen bei Server-Betriebssystemen zu finden sein. OS/2, so die Prognose der Analysten, werde im gleichen Zeitraum kontinuierlich an Bedeutung abnehmen.