Mangel an Software forcierte Entscheidung zum Prozessorwechsel Data General Corp. setzt auf die Zugpferde Intel und Microsoft

07.07.1995

MUENCHEN (jm) - Die Wuerfel sind gefallen: Die Data General Corp. (DG), Anbieter der proprietaeren "MV"-Midrange-Systeme und der Unix-basierten "Aviion"-Rechnerfamilie, wechselt den Prozessorlieferanten. Statt Motorolas RISC-CPUs der "88k"-Linie setzen die Amerikaner aus Westboro, Massachusetts, in Zukunft auf Intels CISC-Chips der Pentium- beziehungsweise "P6"-Klasse. Erste Aviion-Modelle mit Intel-Prozessoren sollen noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Mit dem Architekturwechsel will DG vor allem ein Problem loesen: den Engpass an verfuegbarer Software. Obwohl die Aviion-Rechner wegen ihrer technologischen Reife von Anwendern gut beurteilt werden, haben die Rechner keine Zukunft, da die Lobby der 88xx0- Gemeinde ueber die Jahre stark geschrumpft ist.

Zu den 88-Open-Mitgliedern - das heisst zum Motorola-Lager - zaehlten Nischenanbieter wie Harris mit den "Night-Hawk"-Rechnern, Encore mit den "91-Series"-Maschinen, Unisys und die "S8400"- Modelle sowie Motorola selbst mit den "Delta-Series-8000"- Systemen. Alle (vgl. Kasten) sind mittlerweile abgesprungen.

Fuer die DG-Gemeinde duerfte allerdings nur eine Frage spannend sein: Wie (wenig) problematisch vollzieht sich die Transition auf die Intel-Plattform? Branchenanalyst Richard Chu meint, "der Wechsel ist sehr mutig". DG muesse nun den Uebergangsprozess bewaeltigen, ohne daran zugrunde zu gehen.

Brancheninsider verweisen auf das unterschiedliche Byte- Adressierverfahren zwischen der Motorola- und der Intel- Architektur, das DG-Anwendern bei der Portierung ihrer installierten Software Probleme bereiten koennte. Intel-CPUs nutzen das sogenannte "Little-endian"-Format: Bei diesem wird das niedrigstwertige Byte an der niedrigsten Adresse im Speicher abgelegt, das hoechstwertigste an der hoechsten. Die Motorola- Architektur hingegen arbeitet mit dem "Big-endian"-Verfahren. Dieses funktioniert genau umgekehrt.

Rechnerintern ist die Umstellung kein Problem

Prozessorspezialist Arndt Bode, Leiter Rechnertechnik und Organisation am Institut fuer Informatik der Technischen Universitaet Muenchen, sieht allerdings keine grossen Probleme: Wenn nicht der Prozessor von Haus aus auf beide Adressierverfahren geeicht ist wie etwa die RISC-CPUs "960" von Intel oder der "Am29000" von AMD, dann muesse die Konvertierung eben im Speicher erfolgen.

Dazu faende ein Umlesevorgang statt, bei dem ein Wort in einem Register in einer bestimmten Byte-Reihenfolge gespeichert und dann in ein anderes Register in der umgekehrten Reihenfolge abgelegt werde. Da dieses Verfahren nicht flexibel gehalten werden muesse, sondern fest verdrahtet werden koenne, seien die Geschwindigkeitseinbussen gering.

Intel hat darueber hinaus bereits fuer die 486- und auch die Pentium-Prozessoren ein Datenformatverfahren entwickelt, das es diesen CPUs ermoeglicht, sowohl Big- als auch Little-endian- Strukturen zu bedienen. Dazu kreierte der Prozessorhersteller den sogenannten Byte-swap-Befehl. Dieser konvertiert Little- in Big- endian-Byte-Reihenfolgen und umgekehrt. DG muesse, so Bernhard Wopperer vom Technical Marketing der Intel GmbH in Feldkirchen bei Muenchen, in sein Unix-Derivat DG-UX nur einen Filter einbauen, der diesen Byte-swap-Befehl auch beinhalte. Wopperer geht davon aus, dass auch im P6 der Byte-swap-Befehl integriert ist.

DG selbst kuendigt an, Anwender wuerden "bei den meisten bestehenden Applikationen ausser einem neuen Kompilieren nur wenig Aufwand" mit der Migration auf Intel-basierte Aviion-Rechner haben.

Fuer Anwender wie Bernd Duenwald, seit 1993 Vorsitzender der Data- General-User-Group, ist der Wechsel auf Intel eine gute Nachricht. Schon vor zwei Jahren beklagte er sich, die Fuehrungsmannschaft in den USA sollte endlich sagen, welche Perspektiven die DG-Gemeinde mit ihren Aviion-Rechnern habe. Bislang, so Duenwald damals, arbeiteten 90 Prozent der DG-Anwender immer noch mit den proprietaeren "Eclipse"- beziehungsweise "MV"-Rechnern unter dem Betriebssystem AOS/VS. Diese Gruppe kann von den neuen Rechnern nur profitieren, wenn alle Programme von Grund auf erneuert werden.

Abgesehen von dieser zwar eingefuehrten, aber technologisch aufs Abstellgleis gefahrenen Rechnergeneration, wartet DG seit 1989 mit den Aviion-Unix-Maschinen auf, deren 88k-Architektur aber ebenfalls keine Horizonte mehr oeffnen konnte. Fuer Duenwald war der Wechsel ueberfaellig.

Bis zum heutigen Tag plazierte DG rund 30 000 Aviion-Server bei Anwendern. Die zeigten sich gemaess einer Umfrage der CW- Schwesterpublikation "Computerworld" schon vor zwei Jahren mit ihren Rechnern vor allem in puncto Preis-Leistungs-Verhaeltnis, Kompatibilitaet und Rechengeschwindigkeit zufriedener als IBM-, Sun-, DEC- und HP-Kunden mit ihren jeweiligen Maschinen. Groesstes Manko damals wie heute: Die fehlende Auswahl an Softwareloesungen.

DG versuchte zwar im Lauf der Jahre, seine Motorola-Hardware durch Partnerschaften attraktiver zu gestalten: Unter anderem im Schulterschluss mit HP, Tivoli, Cincom, Integris, CA, Cognos oder auch Forte Software sollten Luecken etwa bei Client-Server- Middleware, bei Management-Softwarewerkzeugen oder etwa bei 4GL- Entwicklungs-Tools schliessen.

Im Oktober 1994 verkuendete die SAP AG, ab 1995 werde R/3 auch in gemischten Umgebungen mit einem Datenbank-Server unter Unix und einem Applikations-Server unter Windows NT laufen.

1994 machte DG ein Minus von 87 Millionen Dollar

Als erste Rechnersysteme fuer diesen Betriebssystem-Mix waren die Aviion-Server von DG vorgesehen. Erste Auftraege konnte DG, so Marketing-Direktor Bruno Becker, auch schon einholen.

Trotz solcher imagetraechtiger Vereinbarungen gaben Anwender Motorolas Chipgeneration aber keine Zukunft mehr. Die DG Corp. musste im Geschaeftsjahr 1994 einen Verlust von 87,7 Millionen Dollar verkraften. In diesen roten Zahlen waren allerdings Restrukturierungskosten von 35 Millionen Dollar enthalten. Schon 1993 musste DG ein Minus von 60,5 Millionen Dollar hinnehmen. DGs Problem ist, dass es die erodierenden Umsaetze im Geschaeft mit den proprietaeren Eclipse-Rechnern nicht schnell genug durch die Unix- Aviion-Server ausgleichen konnte. Letztere tragen mittlerweile laut Becker zu "ueber 90 Prozent des DG-Geschaefts".

DG wird noch 1995 mit Aviion-Servern unter Unix aufwarten, die mit vier und bis zu acht Pentium-Prozessoren rechnen. Diese seien eine Ergaenzung zur bestehenden Aviion-Basis, die, so Becker, weiter gepflegt und entwickelt werden soll: "Auf lange Sicht allerdings setzt Data General klar auf Intel." Die Motorola-basierte Server- Linie wird DG noch durch ein 32-Prozessor-Modell ausbauen sowie durch Rechnerverbuende, in denen bis zu acht Server in einem Cluster zu einem System verbunden werden koennen.