Comdex: Client-Server und Windows sind Top-Themen

Manches interessante Produkt blüht in Las Vegas im Verborgenen

30.11.1990

LAS VEGAS (jm) - Sensationelles bot die größte US-amerikanische PC-Messe Comdex 1990 zwar nicht, aber die Ankündigung einer Messe eigens für Windows und die Vorstellung des Servermodells 95 aus IBMs PS/2-Linie setzten doch Glanzlichter und zeigten eindeutig Trends auf, die über den PC-Bereich hinaus Auswirkungen haben dürften.

Wer es bislang noch nicht so recht geglaubt haben mochte, wurde auf der Herbst-Comdex eines besseren belehrt: Ganz in der Nähe des Hoover-Damms - eines der größten Wasserstauwerke der Welt, das zuverlässig den Colorado-River bremst - brachen alle Dämme, ergossen sich Applikationen für und Lobeshymnen auf Windows 3.0 über den Messebesucher.

Die Windows-Euphorie schürte Interface-Group-Chairman und Comdex-Veranstalter Sheldon G. Adelson schon zu Beginn der Veranstaltung, als er den Eröffnungsredner William H. Gates III. von Microsoft mit der Ankündigung präsentierte, kommendes Jahr werde vom 20. bis 23. Mai 1991 parallel zur Frühjahrs-Comdex in Atlanta, Georgia, die "Windows-World"-Messe abgehalten. Wohl nie zuvor in der knapp siebenjährigen PC-Geschichte hat damit ein Softwareprodukt in so kurzer Zeit solch einen hohen Grad an Anerkennung gefunden wie Windows 3.0.

OS/2 war auf der Comdex hingegen kein Thema. Trotzdem tut man gut daran, den designierten Betriebssystem-Nachfolger von DOS nicht abzuschreiben. Zu deutlich scheint die Langzeitstrategie von IBM und Microsoft: Die Anwender sollen in der Benutzung einer grafischen Oberfläche heimisch werden. Später, wenn OS/2 in einer leistungsstarken 32-Bit-Version verfügbar sein wird - Betaversionen kursierten auf der Comdex bereits -, können die Benutzer dann ohne erneuten Lernaufwand für eine andere grafische Oberfläche "abgeholt", von Windows 3.0 und auf den Presentation Manager von OS/2 herübergezogen werden.

Von großer Bedeutung: Client-Server-Strukturen

Die DOS-Erweiterung war in der Stadt der Lichter und Ludwig-II-Disneyland-Hotels zwar das dominante, aber beileibe nicht das einzige Thema von Bedeutung: Unterschwellig gehandelt, gleichwohl aber von größerer Bedeutung für das MIS-Management und die DV-Strukturen der Zukunft dürfte sein, was auf dem Hardwaresektor in puncto Client-Server-Technologie in Las Vegas zu sehen war.

Besonders die Vorstellung von IBMs PS/2-Server, dem Modell 95, wird wohl eine Signalwirkung auf die Branche entwickeln, obwohl es sich im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten bei der IBM-Maschine lediglich um einen Monoprozessor-Rechner handelt. IBM hat aber bereits ein Mehrprozessor-Modell angekündigt. Auf einer Konferenz zum Thema Integration von PCs, Workstations, Minis und Mainframes im LAN-Verbund vertrat Greg Boyd, President von I-LAN, die Meinung, daß die Theoriediskussionen und die dabei transportierten Versprechungen zu Client-Server-Strukturen nun durch das existierende Hardware-Angebot eine fundierte Basis vorweisen könnten.

In der Tat führen die meisten wichtigen Lieferanten von Marktbedeutung einen Server im Angebot, der in seinen Leistungsmerkmalen weit in den Bereich der Minirechner hineinreicht oder sogar Mainframe-Charakteristika aufweist. Lang vorbei sind die Zeiten, da Compaqs im November 1989 vorgestellter Systempro mit maximal zwei CPUs quasi ein Alleinstellungsmerkmal besaß.

Auch die Industrie setzt auf verteilte DV

DEC, NCR, AT&T, Wyse, ALR und Compaq sind nur einige der Unternehmen, die Mehrprozessor-Systeme offerieren, die ferner auch mehr und mehr einen bislang entscheidenden Unterschied zwischen den Möchtegern-Mainframes und den "echten" Großrechnern verwischen: Die Peripherie-Speicherkapazitäten sprengen nicht nur den Giga-Bereich, sie bieten teilweise auch Eigenschaften wie automatische Plattenspiegelung, ein wesentliches Element der Datensicherung.

Das Client-Server-Konzept, das zeigte die Comdex, hat nicht nur aufgrund vorhandener Produkte eine reale Bedeutung erlangt. Vielmehr setzen auch alle fahrenden Hardware- und Netzwerk-Betriebssystem-Entwickler auf verteilte Datenverarbeitung, Workgroup Computing, Departmental Workgroups oder wie die Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache sonst lauten mögen. Vor den überfüllten Reihen einer morgendlichen Veranstaltung zum Thema waren sich Manager von IBM, DEC, 3Com, Novell, Oracle und Microsoft einig, daß verteilten Anwendungen in einem Verbund aus Mainframes und Minis als Servern und PCs und Workstations als Clients eindeutig die Zukunft gehören wird. Auch bei dieser Veranstaltung sickerte das Thema Windows durch. Mike Murray, General Manager der Netzwerk-Betriebseinheit bei Microsoft in Redmond, prognostizierte hoffnungsvoll: "Windows wird in Netzwerken der Standard werden."

Natürlich vermeldeten die Veranstalter der Comdex wieder Rekorde: Hatten 1979 zur ersten Messe in Las Vegas 157 Unternehmen ihre Teilnahme zugesagt, so konnten die Messebesucher 1990 Exponate von 1850 Ausstellern aus 22 Ländern begutachten (1989 : 1729).

Beim Langlauf durch die Hallen und Hotels fand man in Las Vegas noch eine Menge interessanter Dinge: Nur inoffiziell präsentierte IBM einen Laptop, der sich durch die gemeinsam mit Toshiba entwickelte Thin-Film-Technologie für Monitor auszeichnet. Das VGA-Farbdisplay besitzt eine Auflösung von 640 x 480 Pixel. Wann ein Tragbarer mit diesem Monitor verfügbar sein wird, war von Big Blue nicht konkret zu erfahren - ein halbes Jahr soll es aber wohl noch dauern. Grund für Big Blues Wortkargheit könnte nach Meinung eines hochrangigen Managers eines Konkurrenzunternehmens sein, daß die IBM sich Ankündigungen von Produkten immer erst dann leisten kann, wenn deren Massenproduktion praktisch schon angelaufen ist. Allein der Kommentar zur Verfügbarkeit eines Produktes generiert bei den Armonkern nach den Worten des Japaners bereits eine hohe Nachfrage, die - wie im Falle der RISC/6000-Systeme zu verfolgen ist - oft nicht befriedigt werden kann. Verfügbar hingegen scheint der auf der Comdex vorgestellte IBM-Laptop mit 486-Prozessor (33 Megahertz) und Festplattengrößen bis zu 400 MB zu sein.

Wordperfect reihte sich in die Legion der Windows-3.0-Adepten ein, konnte jedoch erst eine Beta-Version seiner Textverarbeitung präsentieren. Im ersten Quartal 1991 soll für Fans des DOS-basierten Wordperfect die Windows-Ära anbrechen, Next-Anwender können bereits Ende des Jahres mit einer Textverarbeitung aus Orem im Mormonenstaat Utah rechnen.

Faxmodem, Grafikkarte und Multiuser-OS/2

PC-Hersteller Everex brillierte im Taschenformat: Das gehobenen Designansprüchen genügende portable Fax- und Datenmodem "Everex Carrier 24/96" ist nur 16 x 8,9 x 1,3 Zentimeter groß, bietet den MNP-5-Standard für Fehlerkorrektur und Datenkompression, übermittelt direkt vom Rechner Faxe mit maximal 9600 Baud und unterstützt die wichtigen Dateiformate sowie den Hayes-Befehlssatz. Mit diesen Leistungen und bei einem Preis von etwa 500 Dollar dürfte Everex dem Konkurrenten "Worldport 2496" von Touchbase Systems erhebliche Kopfzerbrechen bereiten.

Bei Genoa Systems Corp., Hersteller hochwertiger Grafikkarten, konnte man ein Farbgrafik-Board sehen, das bis zu 32 768 Farben wiedergibt. Eine auf' Basis einer Lizenzvereinbarung mit Microsoft entwickelte Systemerweiterung stellt "Multiuser" von Citrix Systems Inc. dar - für OS/2. Besonders für kommerzielle Anwendungen gedacht, soll es helfen, die Akzeptanz von OS/2 zu steigern.

Wichtig für die Herausarbeitung eines industrieweiten Grafikstandards, wie von der Video Electronics Standards Association (VESA) angepeilt, war der Beitritt der IBM zu diesem Gremium, dem unter anderem auch Intel, JVC, Nec, Nokia, Philips Electronics und TI angehören.

Acht Sparc-Clones bezeugen Suns RISC-Dominanz

Hintergrund für die Fraternisierung der bislang auf ihren proprietären 8514/A-Spezifikationen beharrenden Armonkern dürfte allerdings sein, auf der Basis dieses einflußreichen Konsortiums ihren jüngst mit den PS/2-Rechnern, Modell 90 und 95, vorgestellten XGA-Grafikmodus als Standard durchzusetzen.

Immerhin acht Sparc-Clones konnten im neuen Sands-Expo-Ausstellungsgebäude in Augenschein genommen werden. Vor allem die Asiaten versprechen sich von der RISC-Welle im kommenden Jahr Gewinnsprünge. So bietet DTK Computers zwei Maschinen mit entweder einem Sun-spezifischen SBus oder einem VME-Bus.

Chicony, Hyundai, Tatung und Twinhead International Corp. sind neben Toshiba mit dessen Sparc-Laptop weitere fernöstliche Lizenznehmer von Sun. Das kalifornische Unternehmen Definicion International Corp. gab an, im ersten Quartal 1991 sein Sparc-Board "SP 2" in großen Stückzahlen produzieren zu können. Gedacht für die Benutzung in PCs, integrierten die Ingenieure unter President Steven Wang auf der Erweiterungskarte die Cypress-CPU mit 33 Megahertz Taktrate, einen Fließkommaprozessor von Weitek, 8 MB RAM und SCSI- sowie RS232-Schnittstellen.

Auch Direktvertreiber Compuadd - seit Herbst dieses Jahres neben Dell auch in Deutschland vertreten - hielt mit einem Sun-Clone mit, während Konkurrent Northgate Computer Systems Inc. nicht zu finden war.

Auch letzterer verkauft in den USA seine Hardware unter Ausschaltung des Zwischenhandels direkt an den Kunden.

Einer amerikanisch-koreanischen Gemeinschaftsproduktion von RDI und Trigem entsprungen ist ein weiterer Sparc-Laptop. Der "Brit Lite" verarbeitet allerdings nicht nur Sparc-Software, sondern emuliert auch DOS- und Macintosh-Anwendungen. Sollte die Sparc-Architektur als IEEE-Standard anerkannt werden (siehe CW Nr. 47 vom 23. November 1990, Seite 29 "Die Sparc-CPU soll...") dürfte in die RISC-Welt erst recht Bewegung geraten. Ins Grobe gesprochene Preisvorstellungen von 6000 bis 7000 Dollar für eine Grundkonfiguration, wie Twinhead und Tatung äußerten, geben eine Vorstellung ab davon, wie niedrig die Kosten für leistungsstarke RISC-Rechner in Zukunft für den Anwender sein werden. Allerdings konnten alle Sparc-Clone-Anbieter übereinstimmend Liefertermine erst für Ende des ersten Quartals bis zur Mitte des kommenden Jahres angeben.

Die diversen auf der Comdex ausgestellten Notebook-Computer aufzuzählen erscheint müßig. Allein an der Leistungsspitze von 386SX-Rechnern drängeln sich neben den Marktführern Toshiba und Compaq auch Unternehmen wie AST, Austin Computer, Acer, Astarte Quest, Cache Computers, Kris Technology, Librex, Ogivar, Arche, Epson, Everex, Samsung und Texas Instruments, um die Gunst des Käufers zu erlangen.

Santa-Fe-Software als Multimedia-Werkzeug

Bezeichnend für die Comdex war, daß manches interessante Produkt im verborgenen blühte. Bestes Beispiel dafür ist die "Santa-Fe"-Software der HSC Software: Entgegen der allgemeinen Windows-Hysterie schrieb Rick Minicucci im Alleingang das Santa-Fe-User-Interface, eine grafische Schnittstelle, vor der Windows-Entwickler nicht nur wegen der Schnelligkeit erblassen müßten. Unter der Oberfläche liegt das eigentliche Produkt "Santa Fe Media Manager", ein Multimedia-Werkzeug, das seinen Namen verdient hat. Während Multimedia in Las Vegas nämlich eher die diversen Unterschiede und Schnittstellenstandards der Unternehmen offenbarte, stellt die Santa-Fe-Applikation ein funktionierendes und leistungsstarkes Anwendungsprogramm dar.

Außerdem hatten die Leute aus Santa Monica die glänzende Idee, der Anwendung zur Kreation einer Datenbank mit Motion-Video- und Ton-Dokumenten ein etabliertes Datenbankprodukt unterzuschieben, nämlich die Paradox-Engine von Borland. Das HSC-Produkt ist überdies Netzwerk-fähig, marktübliche Peripheriegeräte wie Videokameras, Grafikkarten, Digitalisiertabletts und Mäuse sowie CD-ROM-, Laser-Disk- und DAT-Laufwerke werden unterstützt.