Interview mit Compaq-Manager Jesse Lipcon

Linux soll Alpha-Servern neue Chancen eröffnen

09.04.1999
Einmal mehr bricht ein ehemaliger Manager Digital Equipments eine Lanze für die Alpha-Prozessorarchitektur. Jesse Lipcon, bei DEC seinerzeit verantwortlich für die Unix- und Open-Systems-Geschäftseinheit, leitet unter dem Dach Compaqs die High Performance Servers Division. Mit ihm sprach CW-Redakteur Wolfgang Herrmann.

CW: Wie definiert Compaq seine High Performance Division? Fallen darunter ausschließlich Alpha-basierte Rechner, oder gehören auch Intel-Server dazu?

Lipcon: Die High Performance Division ist im Grunde die Alpha-Sparte Compaqs. Die Workstation-Division haben wir erst kürzlich umstrukturiert. Intel-basierte Workstations wurden in die PC-Produktgruppe eingegliedert, weil wir dort Synergien erwarten. Alpha-Workstations gehören jetzt zu meiner Organisation. Das heißt, ich verantworte die gesamte Alpha-Produktpalette.

CW: Firmenchef Eckhard Pfeiffer hat erklärt, Compaq (mit DEC und Tandem) orientiere sich jetzt an Industriestandards. Nach unserem Verständnis ist das ein Bekenntnis zu Windows NT und Intel-Chips. Welches sind die Perspektiven der Alpha-Plattform vor diesem Hintergrund?

Lipcon: Wenn Sie die Statements so interpretieren, daß unsere Strategie ausschließlich auf Intel und Windows NT ausgerichtet sei, so ist das eine unzulässige Vereinfachung. Herr Pfeiffer hat auch öffentlich erklärt, daß Compaq mit der Alpha-Plattform über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren einen bedeutenden Leistungsvorsprung gegenüber der IA-64-Architektur halten will. Und wir haben eine langfristige Roadmap, die sogar einen wachsenden Vorsprung vorsieht.

CW: Ist dieser Plan realistisch, wenn man berücksichtigt, daß die Alpha-Chips von Intel in derselben Fertigungsstätte in Hudson produziert werden wie künftig auch die IA-64-Prozessoren? Aus der Sicht von Intel dürfte es kaum erstrebenswert sein, einem Konkurrenzprodukt oberste Priorität einzuräumen.

Lipcon: Hier sind zwei Punkte zu beachten. Zum einen gibt es eine vertragliche Verpflichtung Intels, uns vollständige Unterstützung bei der Produktion zu gewähren. Das gilt auch für die 0,18-Mikrometer-Fertigungsmethode. Außerdem wacht die US-Kartellbehörde über die Einhaltung dieser Vereinbarungen. Zum anderen wird Intel auf lange Sicht nur einer von vielen Alpha-Lieferanten sein.

CW: Was heißt das konkret?

Lipcon: Alpha-Chips werden heute sowohl von Intel als auch von Samsung gefertigt. Wir verhandeln außerdem mit IBM über die Produktion von Alpha-Chips im 0,18- und später auch im 0,13-Mikrometer-Verfahren. Als die Kartellbehörde unseren Deal mit Intel (Verkauf der Halbleiterfabrik in Hudson, Anm. d. Redaktion) genehmigte, war eine der Bedingungen, daß Digital noch andere Fertigungspartner für Alpha finden müsse. Auch die diesbezügliche Absichtserklärung mit AMD und die Partnerschaft mit IBM spielten dabei eine Rolle. Das heißt, wir werden in Zukunft nicht von Intel abhängig sein.

CW: Wie weit sind die Verhandlungen mit AMD fortgeschritten?

Lipcon: Gegenwärtig existiert nur eine gemeinsame Absichtserklärung. Die Verhandlungen befinden sich aber in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Für konkrete Aussagen ist es gegenwärtig noch zu früh.

CW: Welche Vorteile bringt es IBM, Alpha-Chips zu produzieren?

Lipcon: IBM kann damit beispielsweise die Kapazität seiner Fertigungsanlagen besser auslasten. Außerdem könnte IBM bis zu einem gewissen Grad von der Alpha-Technik profitieren.

CW: Die Alpha-Architektur wurde immer als technisch hervorragend gelobt. Trotzdem blieb der durchschlagende Markterfolg aus. Wie soll sich das unter dem Dach von Compaq ändern?

Lipcon: Compaq hat einen guten Ruf als Marketing-Company. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Produkte und Technologien der ehemaligen Digital Equipment mit den Marketing-Fähigkeiten Compaqs zu vereinen. Wir haben beispielsweise im letzten Quartal eine große Anzeigenkampagne in Deutschland gefahren. Natürlich ist es noch ungewohnt für uns, Märkte mit einem bedeutenden Volumen für Alpha zu finden.

CW: Wo sehen Sie solche Märkte?

Lipcon: Wir sehen beispielsweise im Zusammenhang mit Linux ein großes Potential, aber auch im High Performance Technical Computing und im Telecom-Markt.

CW: Welche Märkte wollen Sie mit Linux-basierten Rechnern ansprechen?

Lipcon: Wir positionieren Linux am unteren Ende des High Performance Technical Computing. Und es gibt jede Menge Apache-Web-Server, die darauf laufen. Auch im Bildungsbereich spielt es eine wichtige Rolle. In diesen Segmenten wird die hohe Rechenleistung der Alpha-Prozessoren geschätzt. Wir sehen hier große Chancen auf mehr Volumen für unsere Alpha- Systeme.

CW: Wie sieht Ihre Linux-Strategie konkret aus? Wer leistet den Support für Compaq-Server unter dem Open-Source-Betriebssystem?

Lipcon: Gegenwärtig wird Linux von den Handelspartnern auf Alpha-Hardware installiert. Genauso wird es übrigens auch von unserer Industriestandard-Server-Division gehandhabt. Diese liefert nur die Rechner; die Partner installieren Windows NT, SCO Unix, Novell Netware oder andere Software. Dieses Vorgehen bringt uns handfeste wirtschaftliche Vorteile. Wir brauchen nur die verschiedenen Server-Modelle vorhalten, anstatt eine Vielzahl von Varianten mit vorinstalliertem Betriebssystem.

CW: Mit welchen Linux-Distributionspartnern arbeiten Sie zusammen?

Lipcon: Wir haben Verträge mit Red Hat, Caldera und Suse. Hinsichtlich des Supports kooperieren wir in erster Linie mit Red Hat. Aber wir bauen auch die Beziehungen zu anderen Distributoren aus.

CW: Woher rührt Ihr Interesse an Linux?

Lipcon: Ein Teil unserer Strategie ist es, über Linux mehr Volumen für unsere Alpha-Produkte zu generieren. Unser Ziel ist es aber auch, Applikationsbrücken zwischen Linux und True 64 Unix (früher Digital Unix, Anm. d. Redaktion) zu bauen. Wir wollen alle unsere Entwicklungs-Tools für True 64 Unix auch unter Linux anbieten. Linux-Applikationen sollen künftig auch auf True 64 Unix laufen und umgekehrt.

CW: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Linux und True 64 Unix?

Lipcon: Linux spielt heute vor allem im Low-end eine Rolle, zum Beispiel auf Ein- oder Zwei-Prozessor-Rechnern. Es skaliert nicht besonders gut...

CW: In dieser Hinsicht gibt es Verbesserungen.

Lipcon: Richtig. Die Multiprozessor-Unterstützung steigt jetzt von Zwei- auf Vier-Wege-Maschinen. In unserem Design Center für True 64 Unix stehen aber sehr große Multiprozessor-Server. Deshalb sehen wir die beiden Betriebssystem-Plattformen als komplementär an.

CW: Etliche große Softwarehäuser, etwa ERP-Anbieter wie SAP, wollen ihre Programme auf Linux portieren. Das spricht doch dafür, daß Linux durchaus auch für unternehmenskritische Anwendungen interessant sein könnte.

Lipcon: Alle unsere Kunden erzählen uns, daß irgendwo in ihrem Unternehmen Linux läuft. Aber sie sind noch nicht bereit, geschäftskritische Applikationen einem Linux-System anzuvertrauen.