Knirscht es auf der Top-Ebene von Unternehmen, dann gefährdet dies deren Erfolg und zuweilen sogar die Existenz. Davon sind die beiden Top-Management-Berater Dr. Kai Dierke und Dr. Anke Houben, Zürich, überzeugt.
Frau Dr. Houben und Herr Dr. Dierke, Sie beraten Vorstände internationaler Großunternehmen. Hat die Finanzkrise das Denken der Top-Manager verändert?
Dierke: Ja. Sie beschäftigen sich viel intensiver mit der Frage: Wie kann ich mein Unternehmen gegen unvorgesehene, äußere Risiken absichern? Aus dem Blick geraten dabei aber oft die inneren Risiken, die den Unternehmenserfolg mindestens ebenso gefährden.
Welche Risiken meinen Sie damit?
Houben: Zum Beispiel das Leadership-Risiko. Es besteht darin, dass das Top-Team eines Unternehmens nicht optimal zusammenarbeitet und funktioniert.
Dierke: Bei Top-Managern wie CEOs beobachtet man unter Druck immer wieder folgende Verhaltensweise: Sie wählen eher den "Alleingang" als die konsequente Arbeit im Team. Sie lassen wenig Dialog, geschweige denn Feedback zu und gefährden durch ihre Alleingänge den Erfolg, zuweilen sogar die Existenz des Unternehmens.
Gefährliche Alleingänge der CEOs
Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Dierke: Prominente Beispiele wie Wiedeking bei Porsche, von Pierer bei Siemens oder Fuld bei Lehman Brothers sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie brachten ihre Unternehmen zwar voran, setzten diese aber zugleich enormen Risiken aus. Ihre Alleingänge wurden nicht durch das "Team at the Top" ausbalanciert.
Houben: Auch bei unserer täglichen Arbeit registrieren wir immer wieder ein Sich-Abkapseln der Vorstandsmitglieder unter Stress; des Weiteren eine Quasi-Entmachtung der Vorstandsteams durch die CEOs. Dabei lassen sich insbesondere drei Verhaltensmuster beobachten.
- Zahlendreher und Rechenfehler
CIOs erhalten tagtäglich eine Fülle an Berichten. Da bleiben kleine Fehler schnell unbemerkt - mit teils katastrophalen Folgen. - Adam Ries soll GEZ-Gebühren zahlen
Im März 2009 schickte die GEZ eine Zahlungsaufforderung an Adam Ries. Soweit ist das nichts Ungewöhnliches, doch der Zahlen- und Rechenkünstler ist seit rund 450 Jahren tot. Ein Rechenfehler der GEZ-Behörde sorgte dafür, dass das Adam-Ries-Museum in Annaberg-Buchholz einen Bescheid erhielt, wonach der Gelehrte die Rundfunk- und Fernsehgebühren entrichten sollte. Auch nach der Richtigstellung seitens des Museums folgten weitere Mahnungen - zudem wurde Ries auch aufgefordert, seine Rundfunk-Teilnehmernummer endlich bekannt zu geben. - Rundungsfehler bei der Pferdesport-EM
Bei der Pferdesport-EM 2010 in Prag zeigte das deutsche Team eine beinahe fehlerfreie Darbietung. Überraschenderweise überreichten die Preisrichter aufgrund eines Rechenfehlers anstelle der Goldmedaille den Silberpokal. Ein Rundungsfehler sorgte dafür, dass das Team der Briten irrtümlich eine höhere Gesamtpunktezahl erhielt und somit vor dem Team aus Deutschland lag. Bei einem zweiten Wertungsdurchgang wurde der Fehler behoben und England und Deutschland teilten sich den ersten Platz. - Zu lange Haft durch Rechenpatzer
Das Amtsgericht Heidenheim verurteilte 2008 einen jungen Mann wegen schweren Raubes zu dreieinhalb Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Dieses Jahr hat der Täter hat nicht nur seine Strafe verbüßt, er saß zudem sieben Monate zu lang hinter Gittern. Bei der Strafermittelung unterlief dem Rechtspfleger ein Rechenpatzer: Er vergaß die sieben Monate anzurechnen, die der Verurteilte bereits ausgesetzt hatte. Das ist aber weder dem Gericht noch dem Täter aufgefallen - erst bei seiner Entlassung wurde der Fehler bemerkt. - Ökoenergie mit Rechenfehler
Wegen einer falsch berechneten EEG-Umlage stiegen dieses Jahr die Preise für Ökostrom bei rund 750 Versorgern drastisch an. Es hat sich aber herausgestellt, dass die Stromkosten zu hoch angesetzt wurden, da 2010 weniger Solaranlagen einer Neuinstallierung unterlagen als eigentlich vorgesehen war. Statt 2,7 Cent mussten die Verbraucher nun 3,5 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Das Verbraucherportal Verivox errechnete, dass die Verbraucher insgesamt 882 Millionen Euro zu viel für ihren Strom gezahlt haben. Dieser Betrag soll zwischen den Energieversorgern und den Übertragungsnetzbetreibern mit der EEG-Umlage von 2012 verrechnet werden. - Denkfehler bei der Bahn
In Nordrhein-Westfalen steht die höchste Eisenbahnbrücke in Deutschland. Die Müngstener Brücke ist 107 Meter hoch, 465 Meter lang und mit ihren 112 Jahren an vielen Ecken und Enden rostig. Daher ließ die Bahn in diesem Jahr die Brücke prüfen und sanieren. Dabei ist dem Verantwortlichen ein Denkfehler unterlaufen. Bei der Sicherheitsüberprüfung ging man rein von dem Gewicht eines leeren Zuges aus und vergaß vollkommen die zusätzliche Last durch Güter und Fahrgäste. Jetzt können zwar die Züge die Brücke nutzen, aber nur wenn diese leer sind. - Fehleinschätzung beim Bau der Boing 737
Im Frühjahr dieses Jahres hatten die 123 Passagiere einer Boing 737 ein besonderes Erlebnis: In rund zehn Kilometer höhe riss das Dach der Kabine auf und die Passagiere konnten durch einen eineinhalb Meter langen Riss den Himmel "bewundern". Bei einer anschließenden Überprüfung zeigte sich, dass die vernieteten Übergänge zwischen den Aluminiumplatten die Unfallursache war. Das sorgte umgehend für eine Überprüfung von ähnlichen Flugzeugtypen auf diese Schwachstellen. Bei einigen baugleichen Boings wurden dabei kleine Risse in der Außenhülle gefunden. Dieses Verschleiß-Problem war den Boeing-Ingenieure von Anfang an bekannt. Allerdings ging das Unternehmen davon aus, dass die Ermüdung des Materials frühestens nach 60.000 Flügen beginnt. Das Unglücksflugzeug hatte aber nach seiner 15-jährigen Dienstzeit nur rund 39.000 Flüge absolviert.