Netware soll OS2 im LAN-Sektor vorwärtsbringen

Konflikt mit Microsoft treibt Big Blue in die Arme von Novell

22.02.1991

BOSTON (pg) - Einer der größten Networking-Deals aller Zeiten ist jetzt perfekt: IBM und Novell haben auf der Networld '91 in Boston ihre strategische Zusammenarbeit bekanntgegeben und damit allen Spekulationen der vergangenen Wochen ein Ende bereitet. Die eigentliche Sensation des Announcements: Big Blue wird Novells Netware vertreiben (CW Nr. 7 vom 15. Februar 1991).

Für Insider war die Tatsache, daß IBM und Novell künftig kooperieren werden, schon im Vorfeld der Ankündigung kein Geheimnis mehr. Ein Fragezeichen stand lediglich noch hinter dem Inhalt des Vertrages. Als James A. Cannavino, Vice President und General Manager Personal Systems IBM, die Pressekonferenz mit den Worten einleitete, "Wir werden Novells Netware verkaufen", nahm er die eigentliche Sensation des Deals gleich vorweg. Damit hatten selbst Kenner der Szene, wie zum Beispiel Helmut Weissenbach, ehemals Vice President International bei Novell, nicht gerechnet.

Sprachlosigkeit über IBMs Distributions-Absichten von Netware herrschte vor allem bei Microsoft. Auf der Networld war von keinem der Top-Manager des Software-Herstellers ein direktes Statement zu der Kooperation zu bekommen. Eine Sprecherin des Unternehmens sagte nur, daß gegenwärtig die Einzelheiten des Vertrages geprüft würden. Außerdem hieß es in einer von der Führungsetage ausgegebenen Parole, würde die Unterstützung von OS/2 durch Novell einen enormen Aufschwung für das von Microsoft entwickelte Betriebssystem bedeuten.

Interessant ist diese Aussage im Zusammenhang mit den derzeit kursierenden Gerüchten Microsoft werde das für IBM konzipierte Betriebssystem nicht weiter unterstützen. In der Beziehung zwischen Big Blue und dem bisherigen Haus- und Hoflieferanten kriselt es, seit Microsoft sich mehr auf Windows als auf OS/2 konzentriert. Für die meisten Aussteller der Messe kam das IBM-Novell-Announcement jedenfalls nicht sehr überraschend. Sie hatten so der überwiegende Tenor, die Annäherung der beiden Unternehmen wegen der Spannungen zwischen den Armonkern und Microsoft erwartet, sehen das Abkommen aber auch als Indiz dafür, daß IBM den LAN- Markt und die Interoperabilität zu LAN-Produkten immer wichtiger nimmt.

Im einzelnen sieht das Abkommen vor, daß Big Blue Novells Netware anbieten, vermarkten und dem Anwender den Support dazu liefern wird. Dies gilt sowohl für die in Boston von Novell angekündigte Produktlinie von Netware 3.11 für Enterprise-Computing als auch alle Netware 2.x-Komponenten sowie Netware für Macintosh 3.0, NFS, FTAM, SAA und den Netware Communications Service Manager. Darüber hinaus haben die Unternehmen die Entwicklung von Produkten vereinbart, die die Interoperabilität zwischen den Netzwerk-Umgebungen der beiden Companies gewährleisten sollen.

Konkret verpflichtet sich Novell in dem Vertrag dazu, eine verbesserte Version von Netware für OS/2 zu liefern, um, wie es in der IBM-Verlautbarung heißt, die Bedeutung von OS/2 im Networking zu festigen. Dies soll vor allem durch den Support von Presentation Manager Utilities geschehen.

Abkommen gilt vorerst nur für die USA

Die in Boston vorgestellten Releases für Netware 3.11 enthalten bereits den OS/2 Requester, der das High Performance File System von OS/2 und das Senden von Alerts an eine IBM Netview-Management-Konsole unterstützt, die das Monitoring eines entfernten Netware-Servers durch einen IBM-Mainframe erlaubt. Außerdem hat Novell IBM eine neue Version von Netware für die RISC-System/6000-AIX-Plattform zugesagt. Ferner werden die Entwickler in Utah den Netware SFT Level III Mirrored Server auf die PS/2-Mikrokanal-Produktlinie abstimmen.

Auf der anderen Seite hat sich IBM bereiterklärt, für Interoperabilität zwischen dem LAN Server und den Novell-Betriebssystemen zu sorgen, die 8209 Bridge auf das SPX/IPX-Protokoll von Novell umzurüsten sowie gemeinsam daran zu arbeiten, Netware-Netze über das Netz-Management-System Netview von IBM managen zu können. Zusätzlich haben die Armonker auf der Networld LAN-RES/VM angekündigt, dessen Produkte zu Netware kompatible Disk-, Druck- und Verwaltungsdienste für /370- und /390VM-Rechner beinhalten.

Vice President James Cannavino sagte auf der Pressekonferenz, IBM beabsichtige auch weiterhin die Kompatibilität zwischen dem LAN Server und dem LAN Manager so groß wie möglich zu halten. Priorität habe jetzt aber die Abstimmung der Netware-Umgebung auf die IBM-Welt. Für IBM, so Cannavino, sei es außerordentlich wichtig gewesen, mit Netware eine neue LAN-Plattform zu erschließen. Ray Noorda, Präsident von Novell, gab als Hauptgrund für die Kooperation an, den Wünschen der Netware-Anwender nach mehr Interoperabilität und vereinfachten Applikationen im LAN- und WAN-Networking künftig besser gerecht werden zu können.

Auf Anfrage der CW wies Ernst Gemassmer, Senior Vice President International Operations, darauf hin, daß das Abkommen zwischen Novell und IBM bisher nur für die USA gültig sei. "Wir beabsichtigen die Ausdehnung auf andere Länder", sagte Gemassmer, spezifische Gespräche müßten aber erst noch geführt werden.

Keine klare Antwort konnte oder wollte der Senior Vice President auf die Frage geben, welche Entwicklung Novell für Netware durch den Deal mit IBM erwartet. Gemassmer lapidar: "Der gesamte Markt für Networking wird schneller wachsen wenn sich IBM dazu bekennt.

Zu der Entscheidung von Big Blue zugunsten von Novell meinte Gemassmer, IBM habe in der Vergangenheit das Ohr nicht ganz am Markt gehabt und auch die Bedürfnisse der Kunden ignoriert. Auf Dauer gehe aber am Marktführer kein Weg vorbei.

Zur Distribution von Netware meinte Gemassmer: "Es bleibt alles beim alten. IBM muß selbst entscheiden, über welche Kanäle es Netware vertreibt." Probleme mit den bisherigen Novell-Distributoren aufgrund des neuen übermächtigen Vertriebspartners IBM sieht Gemassmer nicht auf Novell zukommen.

Widersprüchlich gab sich der Novell-Verantwortliche auf die Frage, ob die gegenwärtige ELS- und 286-Produktschiene durch ein neues einheitliches Konzept ersetzt werde. "Kurzfristig wird es keine Vereinfachung geben", sagte Gemassmer. Novell werde keinen Teil des Marktes vernachlässigen oder übersehen. Trotzdem deutet vieles auf eine neue 286-Strategie von Novell hin: Nochmals auf die Gerüchte um ein 286-Konzept angesprochen antwortete der Vice President ausweichend: "Wait and see"