Die Schweizer waren schneller. Seit 2009 unterstützen Politiker, Hochschulen und Firmen wie Swisscom den „Home Office Day", an dem heuer mehr als 41.000 Schweizer von zu Hause aus arbeiteten. Für die Popularität des flexiblen Arbeitens gibt es einen handfesten Hintergrund: Trotz des perfekt ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes droht dort der Verkehrskollaps, wenn die Pendlerströme nicht entzerrt werden.
In Deutschland gibt es zwar seit 2010 ebenfalls einen Home-Office-Day, dieses Jahr am 14. November, doch die Resonanz ist bescheiden. „Von den Schweizer Zahlen sind wir weit entfernt. Wenn wir das für Deutschland hochrechnen würden, müssten sich 700.000 Beschäftigte beteiligen", sagt Heiko Pobbig von der Hamburger Beratung Inditango, die das Modell für Deutschland anpasste.
Familienfreundlichkeit ist ein weiteres Argument für Home-Office-Konzepte. „In Deutschland herrscht oft noch eine starke Präsenzkultur", sagt Sofie Geisel, Projektleiterin des Netzwerkbüros Erfolgsfaktor Familie in Berlin. „Zudem haben wir einen hohen Anteil an Beschäftigten in der Produktion. Diese Arbeiten lassen sich nicht nach Hause verlagern." Trotzdem beobachtet Geisel, dass sich Firmen auch wegen des zunehmenden Fachkräftemangels offener für flexible Arbeitsmodelle zeigen.
Heiko Pobbig selbst nutzt auch an ein bis zwei Tagen in der Woche den Schreibtisch in der eigenen Wohnung. Doch der Berater weiß, dass sich nicht jede Aufgabe von zu Hause aus erledigen lässt, und so arbeiten einige der 40 Inditango-Beschäftigten überwiegend in einem der Büros in Hamburg, Düsseldorf oder Wien.
Home Office heißt nicht mehr Freizeit
Wer täglich lange Wege von zu Hause ins Büro zurücklegt, freut sich oft über mobile Konzepte, die tageweises Arbeiten daheim ermöglichen. Doch Home Office bedeutet kein Plus an Freizeit. „Die Beschäftigten können ihre Zeiteinteilung und ihre Arbeitsbedingungen besser steuern", sagt Geisel. Manche bevorzugen die Ruhe im heimischen Büro, um konzentriert zu arbeiten. Trotz solcher Vorteile ziehen andere das Büro und den regelmäßigen Austausch mit den Kollegen vor und möchten auf keinen Fall ins Home Office wechseln.
Das Misstrauen gegenüber Heimarbeitern ist hierzulande besonders hoch. In einer Studie von Regus äußerten nur 36 Prozent der befragten Führungskräften die Meinung, dass sich Mitarbeiter auch aus der Ferne führen lassen. Die große Mehrheit hat Vorbehalte, etwa bei der Frage, wie sie die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter kontrollieren können. „Es ist wichtig, vorab klare Ziele zu vereinbaren", sagt Geisel.
Viele Aufgaben in der IT und von Wissensarbeitern lassen sich einfach in moderne und flexible Arbeitskonzepte integrieren. „Flexibles Arbeiten ist für uns Teil der Unternehmenskultur. Den Mitarbeitern steht es frei, wann und wo sie arbeiten", sagt Elke Frank, Personalchefin von Microsoft Deutschland. 90 Prozent der Microsoft-Angestellten nutzen die Möglichkeiten des Home Office. Allerdings eigne sich nicht jede Position gleichermaßen dafür, so Frank: „Aufgaben wie Controlling, Finanzen oder Personal erfordern oft die persönliche Abstimmung mit Kollegen und lassen sich daher nicht ausschließlich von zu Hause aus erledigen. Sales-Mitarbeiter dagegen arbeiten überwiegend mobil oder beim Kunden."
Auch wenn Microsoft mit Sharepoint, Yammer oder Skype eigene Tools für das mobile Arbeiten im Portfolio hat, bereitet das Unternehmen Mitarbeiter und Vorgesetzte auf flexible Arbeitsmodelle vor. Die Angestellten entscheiden selbst, welche Werkzeuge sie verwenden, um Termine und Aufgaben zu planen. Sie legen fest, wann und wo Besprechungen stattfinden und wie sie erreichbar sind. Trainingsangebote, Rollenspiele und Praxisbeispiele helfen ihnen, sich auf die Aufgaben vorzubereiten. Eine Broschüre fasst die Ergebnisse zusammen. „Manager sollen ein Gespür für ihre Mitarbeiter entwickeln, damit sie schnell merken, wenn diese überlastet sind. Dann können sie früh gegensteuern", sagt Frank. Oft verleite das Home Office dazu, zu viel zu arbeiten. Zusätzlich unterstützen Mitarbeiter aus der Personalabteilung ihre Kollegen, wenn sich Probleme anbahnen.
- Klare Vereinbarungen treffen
Flexible Arbeitsmodelle erfordern klare Vereinbarungen. Nur wenn die Rahmenbedingungen transparent und Erwartungen eindeutig formuliert sind, kann daraus eine vertrauensvolle neue Arbeitskultur entstehen. - Nutzung freistellen
Nicht für jeden Mitarbeiter eignet sich Arbeiten im Home-Office: Jedem Mitarbeiter sollte freigestellt sein, diese Angebote im Unternehmen zu nutzen. - Mitarbeitern vertrauen
Als Arbeitgeber sollte man seinen Mitarbeitern vertrauen und "loslassen" können. - Mitarbeiterleistung messen
Die Leistung von Mitarbeitern muss objektiv definiert und gemessen werden. - Führung nicht vernachlässigen
Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn: Auch Mitarbeiter ohne permanente Anwesenheit brauchen Führung. - Fürsorgepflicht ernst nehmen
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern. Diese gelten auch und insbesondere für flexible Arbeitsplatzmodelle. - Neue Meetingkulturen schaffen
Bei aller Flexibilität: Neue Meetingkulturen erleichtern effiziente und effektive Arbeitsprozesse innerhalb der Teams. - Gemeinschaftsgefühl stärken
Den direkten Austausch fördern, sich gegenseitig schätzen - und so die Zusammenarbeit und das Gemeinschaftsgefühl stärken. - Mitarbeiter willkommen heißen
Mitarbeiter müssen sich im Unternehmen willkommen fühlen und haben ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz. - Unternehmenskultur überprüfen
Neue Arbeitsstrukturen können nur erfolgreich sein, wenn sie mit der Unternehmenskultur, der Philosophie und den Unternehmenszielen vereinbar sind.
Dass Absprachen helfen, Missverständnisse zu vermeiden, weiß auch das Management von Microsoft. Gemeinsam mit dem Betriebsrat überarbeitet das Unternehmen gerade die Rahmenbedingungen für das Home Office. Ganz in das häusliche Arbeitszimmer möchte Microsoft seine Mitarbeiter allerdings nicht verbannen. Persönliche Kontakte mit den Kollegen, die Kaffee-Ecke und Besprechungen im Büro runden das flexible Arbeitskonzept ab. „Der persönliche Kontakt zu den Kollegen und Managern ist uns wichtig", betont Frank.