Keine Lust auf Börsenstress

27.07.2004
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage der Investoren auf breiter Front eingebrochen ist - speziell nach Tech-Werten. Dies betrifft Privatanleger, die ihr Erspartes dank "Volksaktien" und "Shooting Stars" verloren haben, ebenso wie die institutionellen Investoren: "Viele Versicherungen haben sich fast vollständig aus dem Aktienmarkt zurückgezogen", berichtet BW-Bank-Analyst Bartsch. Auch die Zahl der Aktienfonds, die in kleine Technologiepapiere investieren können beziehungsweise dürfen, habe abgenommen. Der Börsen-Crash hat den meisten Spekulanten verdeutlicht, dass Aktienkurse auch einmal fallen können - gebranntes Kind scheut, länger als gedacht, das Feuer.

Das Preis-Leistungs-Missverhältnis

Folglich bleibt die früher übliche Überzeichnung von Erstemissionen aus, weniger Geld wird erlöst, und der Aufwand für einen IPO lohnt sich nur in den seltensten Fällen. "Es ist heute nicht attraktiv, sich Geld für Wachstum an der Börse zu beschaffen", bestätigt Manfred Lackner, Vorstand der Wiesbadener Profi AG. Der größte Premium-Partner der IBM in Europa hat die Erfahrung einer öffentlichen Notierung bereits hinter sich: Im Jahr 2000 ging die Muttergesellschaft M+S Elektronik an die Börse, Ende 2001 meldete sie Insolvenz an. "Wir haben fünf Monate gekämpft", erinnert sich Lackner, "um die Profi AG per Management-Buyout herauszulösen."

Nun setzt das Unternehmen auf den Cashflow und Geldgeber zur Finanzierung, eben weil "die Kosten für die Kapitalbeschaffung an der Börse relativ hoch sind". Der Aufwand, der mit dem Schritt in die Öffentlichkeit verbunden ist, werde laut Lackner in der Regel unterschätzt. Neben dem Börsengang fallen laufende Kosten für Investor Relations, eine umfassende Pressebetreuung sowie Werbe- und Marketing-Ausgaben zur Kurspflege an. Zudem sind neue interne Strukturen nötig, damit das Unternehmen auch die Zahlen veröffentlicht, die tatsächlich erwirtschaftet worden sind. Daran fehlte es in der Hype-Phase auf teilweise skandalöse Art.

Die internen Strukturen für einen Börsengang hat die Karlsruher PTV AG bereits eingezogen, denn der IPO war schon vor Jahren konkret geplant. Durch eine Übernahme verzögerte sich jedoch der Schritt: "Wir sind dann in die Phase hineingeraten, in der der Markt zusammengebrochen ist", begründet PTV-Vorstand Thomas Schwerdtfeger den Rückzieher. Das Interesse an einem IPO sei zwar nach wie vor vorhanden, doch die aktuellen Rahmenbedingungen sprächen dagegen: "Es fehlt an der attraktiven Bewertung, und das Investitionsvolumen, das wir bieten können, ist bei institutionellen Anlegern nicht unbedingt gefragt." Ab 2006, spekuliert Schwerdtfeger, könnte sich das IPO-Fenster für die PTV AG wieder öffnen.

Statt auf schiere Größe setzen die IT-Lieferanten gegenwärtig lieber auf beherrschbares Wachstum und eine überschaubare Unternehmensstruktur. Dies bringt im Tagesgeschäft Vorteile mit sich, doch im Gegenzug rückt dadurch ein Börsengang in weitere Ferne. Eine offizielle Mindestgröße für IPOs gibt es nicht, aber unter 50 Millionen Euro Umsatz wird es unmöglich, Banken dafür zu begeistern - 100 Millionen Euro Umsatz klingen da schon interessanter. Geldhäuser sollten die Aktien auch dann bewerten, wenn nur wenige Papiere gehandelt werden. Verzichten die Banken aus Kostengründen - wie zuletzt immer häufiger - auf die Beurteilung, sinkt das Handelsvolumen noch weiter ab.