Von Neppern, Schleppern und Bauernfängern

„IT-Anbieter lügen, dass sich die Balken biegen“

25.09.2002
Seit einem Jahr häufen sich die Meldungen über IT-Projekte, die durch massive Verfehlung von Qualitäts-, Zeit- und Budgetzielen Not leiden oder endgültig scheitern, signifikant. In einem nie dagewesenen Maße müssen sich derzeit auch deutsche Gerichte mit Streitfällen befassen.

VIELE IT-PROJEKTE scheitern - das ist nichts Neues. Doch die Häufigkeit nimmt zu, und das liegt vor allem an den falschen Versprechungen der Anbieter. Neben den immer engeren Zeitbudgets und der zunehmenden funktionalen, organisatorischen und technischen Komplexität von IT-Projekten liegt eine Hauptursache für dieses Phänomen im erkennbar veränderten Verkaufsgebaren von ITAnbietern, speziell im Markt für Standardsoftware.

Die seit Monaten andauernde Zurückhaltung bei IT-Investitionen führt im Vertrieb mittelständischer wie großer Anbieter zu gravierendem Erfolgsdruck - der Wettbewerb um die wenigen Projekte im Markt ist erbarmungslos. Interne Ausleseprozesse im Zuge von Entlassungsmaßnahmen verstärken diesen Druck zusätzlich: Muss etwa von zwei Vertriebsbeauftragten einer das Unternehmen verlassen, so trifft es naturgemäß meist denjenigen, der die geringeren Akquisitionserfolge vorweisen kann. Bezahlen müssen die Zeche allerdings oft die Kunden. So bleiben Grundsätze wie Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen zunehmend auf der Strecke. Der Kampf mit harten Bandagen geht in vielen Fällen zu Lasten der Seriosität und Arbeitsintegrität. Zwei Beispiele verdeutlichen diese gängige Praxis. Die Beteiligten können leider nicht namentlich genannt werden, da die Fälle derzeit vor Gericht sind.

Fall 1: Ein mittelständisches Produktionsunternehmen hatte im Rahmen der Auswahl einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware (Enterprise Resource Planning = ERP) einige strategisch wichtige Funktionsanforderungen spezifiziert. Einer der in der Endauswahl konkurrierenden Anbieter führte im Rahmen eines Vertriebsworkshops die nachgefragten Funktionen vor und behauptete, sie seien im aktuellen Release verfügbar. Daraufhin kam es zum Vertragsabschluss mit dem Anbieter. Bei der Einführung stellte sich dann heraus, dass diese Funktionen tatsächlich nicht vorhanden sind - für die Demonstration wurde ein „Dummy“ programmiert. Das Produktionsunternehmen verklagte den Anbieter wegen Betrugs auf Schadenersatz in beträchtlichem Umfang.

Dummy-Programme

Fall 2: Einem großen süddeutschen Dienstleistungsunternehmen erging es nicht besser: Es beauftragte ein bekanntes Systemhaus mit der Entwicklung und Einführung einer umfassenden E-Business-Lösung. Das Projekt war hoch zeitkritisch. Der Anbieter versicherte, ausreichende Personalressourcen mit dem erforderlichen Knowhow verfügbar und für die Projektdauer explizit an sein Unternehmen gebunden zu haben.

Kurz nach Projektstart stellte sich jedoch heraus, dass der Betrieb einige für das Projekt wichtige Mitarbeiter entlassen und durch Nachwuchskräfte ersetzt hat. Erst nachdem sich das auf eine Laufzeit von 18 Monaten geschätzte Projekt um weitere zwölf Monate ergebnislos verzögert hatte, wurde es vom Auftraggeber gestoppt. Dennoch verlangte der Auftragnehmer die vollständige Vergütung. Auch hier kam es zum Rechtsstreit. Wenngleich auch in Großkonzernen keine Seltenheit, so ist doch festzustellen, dass besonders kleinere und mittlere Unternehmen zunehmend von derartigen Betrügereien betroffen sind. Es gibt jedoch eine Reihe von Möglichkeiten, sich vor den beschriebenen Phänomenen zu schützen. Sie alle klingen banal, werden aber, wie die Praxis zeigt, oft nicht beherzigt. Zu den sechs wichtigsten gehören:

1. Aktives Risiko-Management: Die geschilderten Sachverhalte sind keine Einzelfälle, sondern Alltag. Die pure Hoffnung, selbst davon verschont zu bleiben, hilft nicht! Nur wer bereits vom Start eines Projekts an „mit dem Schlimmsten rechnet“ und ein aktives, vorausschauendes Risiko- Management betreibt, kann bereits in den „Genen“ eines Projekts Vorkehrungen gegen Krisenfälle treffen.

2. Unbeirrter Auswahlprozess: Die Zeiten sind vorbei, in denen man nach wenigen Workshops und auf Basis von Präsentationen, Softwarevorführungen und blumigen Versprechungen der Anbieter die Entscheidung für ein Produkt treffen konnte. In der heutigen Marktsituation sind repräsentative Pilotinstallationen mit den finalen Kandidaten unabdingbar. Berater können hier wertvolle Unterstützung leisten, aber nur, wenn deren Unabhängigkeit gewährleistet ist.

3. Wasserdichte Verträge: Nicht selten wird gerade im Mittelstand viel Energie in die Verhandlung von Lizenzpreisen investiert. Für ein Ringen um sonstige - und in der Regel deutlich wichtigere - vertragliche Inhalte wie Kosten für Updates, Ressourcen für die Hotline oder strategische Ausrichtung und Finanzkraft des Anbieters ist dann keine Zeit mehr. Ein professioneller, individuell auf das Projekt zugeschnittener Vertrag ist aber die wesentliche Voraussetzung für Gegenwehr in Problemsituationen. Auf IT-Recht spezialisierte Anwälte helfen, Anforderungen, Leistungsumfang und Zusicherungen der Anbieter hiebund stichfest vertraglich zu vereinbaren - und mit Vertragsstrafen zu bewehren.