Henning Kagermann, acatech

Industrie 4.0 schafft ein unvorhersehbares Umfeld

18.06.2014
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Henning Kagermann, Präsident der Technikakademie acatech, erläutert die Chancen von Industrie 4.0 und warnt vor Plattformbetreibern, die die Macht haben, große Industriekonzerne zu Lieferanten zu degradieren.

CW: Das Thema Industrie 4.0 gilt als wichtig für den Standort Deutschland und wird vor allem von Herstellern sowie Forschungseinrichtungen vorangetrieben. Fehlt Ihnen der Rückhalt aus der Politik?

Kagermann: Nein, der ist da. Man sollte auch noch mal klar stellen, wo die Initiative entstanden ist. Es gibt eine sogenannte Forschungsunion, das ist ein Instrument der Politik, um die High-Tech-Strategie umzusetzen. Diese Union setzt sich aus Repräsentanten der Wirtschaft, der Forschung und der Gewerkschaften zusammen. Die von mir geleitete Gruppe Digitale Wirtschaft und Gesellschaft hatte die Aufgabe, Zukunftsprojekte zu identifizieren, und daraus entstand als eine der ersten Initiativen das Thema Industrie 4.0.

Acatech hat in der Folge die Arbeitskreise organisiert, aus denen die Plattform Industrie 4.0 hervorgegangen ist. In dem Arbeitskreis engagierten sich Firmenvertreter, Gewerkschaftler und Wissenschaftler. Gemeinsam haben wir die Handlungsempfehlungen geschrieben.

Der Auslöser ist also die Politik gewesen, und sie ist auch weiter mit an Bord. Der Begriff Industrie 4.0 steht sogar im Koalitionsvertrag.

(siehe auch Henning Kagermann im Porträt)

CW: Hat die Politik dazu beigetragen, Kontrahenten im Sinne des Fortschritts an einen Tisch zu bringen? Gab es diesbezüglich Hilfe?

Kagermann: Das haben wir selbst gemacht. Entscheidend war für uns bei diesem Thema der Rückhalt der Wirtschaft, und die konnte Acatech als wissenschaftliche Institution nicht alleine gewinnen. Uns ist es glücklicherweise gelungen, drei wichtige Verbände hinter dem Thema zu versammeln. Das sind der IT-Branchenverband Bitkom, der VDMA (Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer) und der ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V). Diese drei großen Verbände treiben das Thema voran und haben Strukturen etabliert. Dadurch sind Arbeitsgruppen und Steuerkreise entstanden, die sich regelmäßig treffen und Eckpunkte entwickeln.

Daneben gibt es einen wissenschaftlichen Beirat mit 19 Mitgliedern aus der IT, der Produktion und der Automatisierungstechnik sowie aus den Fachbereichen Logistik, Soziologie und Rechtswissenschaften. Der wird von Acatech betreut. Hinter Industrie 4.0 steht also eine echte Organisation.

Unter dem Dach Industrie 4.0 kooperieren Konkurrenten

CW: Ziehen die Beteiligten tatsächlich an einem Strang? Immerhin sitzen in den Arbeitskreisen viele Konkurrenten an einem Tisch.

Kagermann: In dieser Hinsicht hat Deutschland eine bemerkenswerte Kultur der Kooperation. In den Verbänden und Arbeitskreisen arbeiten Konkurrenten gemeinsam an einem Ziel. Wir haben etwa bewusst auch die Gewerkschaften ins Boot geholt, um die Arbeitnehmervertreter an dieser Initiative zu beteiligen. Das hat kein anderes Land hingekriegt.

Der Gedanke dahinter ist, dass es uns gemeinsam gelingen muss, Industrie 4.0 voranzutreiben.