Adaptive-Enterprise-Strategie soll IBMs On-Demand-Computing kopieren

Hewlett-Packard erfindet sich wieder neu

16.05.2003
LONDON (gh) - Ein Jahr nach der Fusion mit Compaq zog das HP-Management eine positive Bilanz. Sämtliche Ziele des Mergers seien erreicht worden - eine Sichtweise, die nicht von allen Beobachtern geteilt wird. Mit Hilfe der neuen "Adaptive-Enterprise"-Strategie möchte der Konzern nun der IBM Paroli bieten.

Zwölf Monate nach dem Beschluss der Fusion mit Compaq durch das entsprechende Votum der HP-Aktionäre am 3. Mai 2002 war vergangene Woche großer Bahnhof für die Medien angesagt. Während HP-Chefin Carleton Fiorina am Firmensitz im kalifornischen Palo Alto der US-amerikanischen Presse Rede und Antwort stand, zog Kasper Rorsted (Foto), Senior Vice President and General Manager für die Region Europa, Afrika und Mittlerer Osten (Emea), in London eine Bilanz des Mergers. Sein Fazit: Nach der bewältigten Fusion mit Compaq sei HP in allen wichtigen IT-Segmenten gut bis sehr gut positioniert und könne nun als integrierter Dienstleistungskonzern durchstarten.

Rorsted begründete seine These mit einer Reihe von Zahlen. So lägen die in den ersten zwölf Monaten der Fusion erzielten Einsparungen konzernweit bei rund drei Milliarden Dollar; geplant seien bis einschließlich 2004 pro Jahr lediglich 2,5 Milliarden Dollar gewesen. Der HP-Verantwortliche führte dies vor allem auf günstigere Einkaufskonditionen sowie Synergien im Bereich Forschung und Entwicklung zurück - beides Faktoren, die sich neben der Zusammenlegung von Produktionsstätten und dem Stellenabbau bereits positiv auf die Kostenstruktur ausgewirkt hätten.

Stellenabbau läuft nach Plan

Auch die Reduzierung der Gesamtbelegschaft von derzeit 141 000 auf 125 000 Mitarbeiter verlaufe laut Rorsted weitgehend planmäßig. Lediglich in Deutschland und Frankreich, wo 1100 beziehungsweise 400 Jobs zur Disposition stehen, sei man "aufgrund des dort problematischen Arbeitsrechts" noch in Verhandlungen, während andere Landesgesellschaften, etwa in Großbritannien und Schweden, bereits wieder neu einstellten. Ingesamt bleibe es in Europa beim Abbau von 5900 Arbeitsplätzen. Der HP-Europachef betonte, dass die vor kurzem angekündigten Veränderungen in der Konzernsparte Enterprise Systems (siehe CW 19/03, Seite 8: "HP strukturiert Enterprise-Sparte um") nicht den Abbau weiterer Stellen zur Folge hätten.

Rorsted machte aber nicht nur Kostenvorteile, sondern auch eine Verbesserung der Marktposition geltend. Bei der Addition der früheren getrennten Marktanteile von HP und Compaq nach der simplen Annahme "Eins plus eins gleich zwei" käme man zu hervorragenden Ergebnissen: 2,0 im Unix-Segment, 1,9 im gesamten Server-Markt und immerhin 1,8 im PC-Geschäft (weltweit). Anders formuliert: HP sei heute die Nummer eins im weltweiten Server-Geschäft (Unix-, Windows- und Linux-Plattformen), im Speichermarkt sowie im Bereich Imaging and Printing.

Solch ein Resultat könne man bei einer Fusion nicht unbedingt voraussetzen, und das "haben auch die Analysten so nicht erwartet", unterstrich der Ex-Compaq-Manager, der vor dem Merger schon beim früheren PC-Primus für den europäischen Markt zuständig war. In Kombination mit den genannten Synergieeffekten müsse man den Merger deshalb als "vollen Erfolg" bezeichnen. Auch in Europa sei es HP gelungen, die Marktanteile "in etwa" zu halten; die Konkurrenz habe sich "zu früh gefreut", sagte Rorsted mit Blick auf Wettbewerber wie beispielsweise Fuijtsu-Siemens oder Sun Microsystems. Mit einem in der Region Emea erzielten Umsatz von 27 Milliarden Dollar sei das "neue HP" im Jahr 2002 das größte IT-Unternehmen in diesem Wirtschaftsraum gewesen - vor der IBM, die dort im gleichen Zeitraum Einnahmen von nur 24,8 Milliarden Dollar erzielen konnte.

Selbstbewusstsein macht sich breit

Angesprochen auf offenkundige Schwächen, die der neue HP-Konzern aufweist, konterte Rorsted selbstbewusst. So sei im ersten Quartal das gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum schlechte Abschneiden im PC-Geschäft, insbesondere in Deutschland, zum Teil auf "organisatorische Veränderungen im Vertriebskanal" zurückzuführen. Ohnehin habe man sich in diesem Segment - gemessen an den addierten früheren Einzelwerten von HP und Compaq - mit einem Rückgang von lediglich zehn Prozent wacker geschlagen und die Prognosen der Analysten übertroffen. Der Kampf mit Dell um die Marktführerschaft werde hier, wie Rorsted andeutete, in die nächste Runde gehen. Der HP-Manager zollte dem texanischen PC-Direktanbieter zwar Respekt, insbesondere für dessen "gutes Standing im US-Markt". In Europa habe es Dell jedoch "schwerer".

Die Sparte Enterprise Systems, die das erste Quartal als einziger der vier großen Unternehmensbereiche mit einem Verlust (minus 83 Millionen Dollar) abgeschlossen hatte und damit in den zurückliegenden neun Monaten ein operatives Minus von 634 Millionen Dollar angehäuft hat, soll nach den Worten des HP-Verantwortlichen "bis spätestens zum Ende des laufenden Fiskaljahres" die Rückkehr in die schwarzen Zahlen schaffen. Hier gelte derzeit noch die Devise: Marktanteile vor Ergebnis. Man habe sich im Zuge der Restrukturierung besser aufgestellt und wolle nun die Früchte dieser Maßnahmen ernten. "Wenn wir im Enterprise-Geschäft morgen schon profitabel sein wollten, müssten wir nur ein bisschen an den Kosten drehen", so Rorsted.

Vor allem auch aufgrund jüngster Erfolge im IT-Dienstleistungsgeschäft befinde man sich nun quasi auf Augenhöhe mit IBM, hieß es in London. HP hatte vergangene Woche einen seit längerem angekündigten, drei Milliarden Dollar schweren Outsourcing-Vertrag mit dem US-amerikanischen Mischkonzern Procter & Gamble unterzeichnet. Gleichzeitig waren dem Konzern in jüngster Zeit allein in Europa größere Serviceabschlüsse mit Visa Card, Ericsson, Alcatel sowie der Bank of Ireland gelungen.

Das Maß aller Dinge ist groß und blau

Zwar bewegten sich die eigenen Serviceeinnahmen noch längst nicht auf dem Niveau der Erlöse von IBM Global Services, doch mit 60000 Servicemitarbeitern und Beratern in 160 Ländern sowie einem konsolidierten Dienstleistungsumsatz in den vergangenen zwölf Monaten von rund 12,4 Milliarden Dollar spiele man nun zumindest in der gleichen Liga.

Überhaupt scheint für HP derzeit Marktführer IBM das Maß aller Dinge zu sein. Neben der Ein-Jahres-Bilanz des Mergers war beim Presse-Event in der britischen Hauptstadt die Ankündigung der so genannten Adaptive-Enterprise-Strategie zentrales Thema. Mit der Initiative möchte der Konzern künftig einen Großteil seiner IT-Dienstleistungen samt entsprechenden Soft- und Hardwarekomponenten jeweils kundenbezogen anbieten. Das Konzept ähnelt sehr stark dem On-Demand-Computing der IBM oder - mit Einschränkung - dem N1-Ansatz von Sun Microsystems. Glaubt man den HP-Blaupausen respektive den ersten Produktankündigungen, geht es bei Adaptive Enterprise allerdings nicht nur um eine Virtualisierung des Rechenzentrums, sondern um die komplette und zugleich flexible Verzahnung der IT mit den Geschäftsprozessen.

Bausteine von Adaptive Enterprise sind neben dem schon bekannten HP-Verfahren Utility Data Center (UDC) unter anderem zusätzliche Virtualisierungs-Tools für Server-Umgebungen und ein modifiziertes Modul der System-Management-Suite "Openview" zur Netzüberwachung. Gleichzeitig hat HP eigenen Angaben zufolge ein Paket von zehn Adaptive-Enterprise-Lösungen für die IT-Konsolidierung und -Integration geschnürt. Sechs dieser Lösungen sollen den Anwendern helfen, ihre IT-Infrastruktur beweglicher zu machen, und zielen auf die Disziplinen Integration, Konsolidierung, IT-Management, Virtualisierung, Business Continuity sowie Security.

Das Darwin-Framework

Die übrigen vier Adaptive-Enterprise-Konzepte erleichtern laut HP das Einführen und Verwalten von Anwendungen über ihren gesamten Lebenszyklus. Dazu gehören "On-Demand"-Angebote für den Abruf zusätzlicher Rechenleistung nach Bedarf, Managed Services sowie integrierte Support- und Finanzierungslösungen. Als quasi übergeordnetes Framework hat HP zudem die "Darwin Reference Architecture" vorgestellt - eine Art Middleware, mit der sich die unterschiedlichen HP-Komponenten mit Technologien und Plattformen wichtiger Partnerfirmen wie Cisco, Bea Systems, SAP und Oracle integrieren lassen.

Konzernchefin Fiorina selbst bemühte bei der Vorstellung der Adaptive-Enterprise-Strategie in Palo Alto große Worte. Der Name Darwin symbolisiere die Erkenntnis, "dass auch in der IT-Industrie nicht die größten und intelligentesten, sondern die flexibelsten Anbieter überleben werden". Emea-Statthalter Rorsted präzisierte diese Aussage in London mit dem Zusatz, dass sich das Adaptive-Enterprise-Konzept vor allem in zwei zentralen Punkten vom On-Demand-Computing der IBM unterscheide. Im Gegensatz zu Big Blue stehe HP für "Offenheit und damit ein umfangreiches Partnerkonzept". Zudem beinhalte Adaptive Enterprise "das stark unterschätzte Thema Printing-Management und -Services".

Zahlreiche Beobachter reagierten dennoch skeptisch, auch wenn HP-Manager Rorsted nach der Vorstellung von Adaptive Enterprise im Kreis von IT-Analysten von einer "regelrechten Begeisterung" bei Meta Group, Gartner und IDC wissen wollte. Vieles spricht im Moment jedenfalls dafür, dass es sich bei Adaptive Enterprise um einen weiteren Versuch des "Druckerkonzerns" HP handelt, sich zu dem zu wandeln, was IBM seit je her ist: Eine IT-Company, die in allen Teilmärkten agiert. Virtualisierung, Rechnerleistung nach Bedarf, flexible IT-Kosten, Integration und Konsolidierung: Mit diesen Schlagworten und Versprechungen besitzt HP beileibe kein Alleinstellungsmerkmal und damit kein Pfund, mit dem sich im Markt nachhaltig wuchern lässt.

Starker Wettbewerb bei Dienstleistern

Darüber hinaus täuschen die erwähnten jüngsten spektakulären Abschlüsse im Dienstleistungsgeschäft, wo man zum Teil im direkten Wettbewerb gegen IBM oder EDS bestehen konnte, darüber hinweg, dass HP hier aller Statistik zum Trotz nach wie vor ein relativ kleines Rad dreht. Zum Vergleich: Während IBM im ersten Quartal inklusive Pricewaterhouse Coopers Consulting (PWCC) Serviceumsätze von 10,2 Milliarden Dollar auswies, kam HP im gleichen Zeitraum auf lediglich 2,96 Milliarden Dollar - Tendenz im Vergleich zum Vorjahresquartal rückläufig. Man kann diese Zahlen auch noch anders interpretieren: Big Blues Dienstleistungsgeschäft trug erstmals in der Firmengeschichte mehr zum Umsatz bei als alle übrigen Konzernbereiche zusammen; HPs Servicesparte kam auf einen Anteil von gerade einmal 15 Prozent.

Nicht umsonst scheint man an der Wallstreet die erste Bilanz der Fusion nüchterner zu sehen, was sich nicht nur an der enttäuschenden Kursentwicklung der HP-Aktie in den letzten zwölf Monaten im Vergleich zu den Papieren von IBM oder Dell ablesen lässt. Die Fusion sei gut organisiert worden und habe die erwarteten Kostenvorteile gebracht, heißt es dort. Entscheidend sei nun aber das laufende Geschäftsjahr, in dem HP seine "Wachstumsfähigkeit" unter Beweis stellen müsse. Die starke Position des Konzerns im Drucker- und Peripheriegeschäft sowie bei Servern alleine genügt nicht, darin sind sich die meisten Wallstreet-Analysten einig.

Abb: Die künftige Rolle der IT

Glaubt man den HP-Blaupausen, geht es bei Adaptive Enterprise nicht nur um eine Virtualisierung des Rechenzentrums, sondern um die komplette und zugleich flexible Verzahnung der IT mit den Geschäftsprozessen. Quelle: HP