Open-Source-Software/Ein knapper Überblick über ein eigentlich unüberschaubares Angebot

Ein neues Betriebssystem braucht viele Anwendungen

12.02.1999
Kritiker von Linux gestehen schon einmal zu, daß der freie Unix-Clone stabiler und schneller als Windows XY ist und sich besser für Arbeiten im und mit dem Internet eignet. Sie bemängeln allerdings, daß es keine Anwendungen für Linux gebe. Kalle Dalheimer nimmt Stellung.

Wer partout darauf besteht, sein gewohntes MS-Word oder seinen Adobe Photoshop unter Linux vorzufinden, wird enttäuscht sein oder noch lange ausharren müssen. Es ist nicht zu erwarten, daß Microsoft sein Office-Paket auf ein Betriebssystem portiert, das das Unternehmen inzwischen selbst als größte Gefahr für den eigenen geschäftlichen Erfolg bezeichnet.

Bei Softwarefirmen, die kein Interesse am Schutz ihres Betriebssystems haben, sieht die Lage im Prinzip anders aus. Schon bei Photoshop ist nicht mehr kategorisch auszuschließen, daß Adobe einmal eine Portierung auf Linux angeht - dessen Marktanteil liegt in einigen Ländern ja schon deutlich höher als der des Apple- Macintosh.

Es braucht aber schon jetzt nicht allzuviel Aufwand und Flexibilität, um für fast alle Anwendungsbereiche auch unter Linux entsprechende Software zu finden. Wenn es jedoch einmal eine gewünschte Software unter Linux nicht gibt, sollte ein Anwender nicht zögern, den Hersteller anzusprechen. Manche warten nur auf ein diesbezügliches Feedback ihrer Kunden, um zu sehen, ob sich eine Linux-Portierung lohnt. Falls ein Hersteller so tut, als wisse er rein gar nichts mit dem Begriff Linux anzufangen, sollte man sich besser überlegen, ob man von einer derartig rückständigen Firma überhaupt Software beziehen sollte.

Die folgende Auswahl ist naturgemäß nicht vollständig - weder hinsichtlich der Anwendungsbereiche noch hinsichtlich der aufgeführten Anwendungen in den einzelnen Bereichen. Sie sollte aber einen komprimierten Eindruck vermitteln, was bereits alles für Linux verfügbar ist. Eine umfangreichere Liste ist auf der Linux-Applications-and-Utilities-Page unter http://www.chariott. com/linapps.html zu finden - und auch diese ist alles andere als vollständig.

Office-Pakete und Büroanwendungen, was vor allem Textverarbeitungen, Tabellenkalkulationen und Präsentationsprogramme umfaßt, sind am meisten gefragt. Es überrascht nicht, daß gerade in diesem Bereich nicht wenige Anwendungen auch für Linux zur Verfügung stehen.

Beispielsweise hat die Wordperfect Corp. vor wenigen Wochen die Version 8 von "Wordperfect" in einer 30-Tage-Testversion für Linux zum freien Download bereitgestellt. Die plattformübergreifende Office-Suite Star Office des Hamburger Unternehmens Star Division steht in der Version 5.0 nicht nur für Linux, sondern auch für viele andere Plattformen für private Zwecke zum freien Download bereit http://www.stardivision.de . Allerdings muß man hier eine komplizierte und unangenehme Registrierungsprozedur durchlaufen.

Schließlich gibt es die unter Windows nicht verfügbare, unter Unix aber seit langem bekannte Office-Suite "Applixware" auch für Linux. In Deutschland ist diese unter anderem von der Suse GmbH http://www.suse.de erhältlich. Über die freie Office-Suite "K- Office", die auch im Quellcode vorliegt, wurde bereits im Schwerpunkt "Open-Source-Software" der COMPUTERWOCHE Nr. 34/1998, Seite 49 bis 52, ausführlich berichtet.

Während es bis Mitte 1998 im Linux-Datenbankmarkt noch relativ dünn aussah, hat es hier im zweiten Halbjahr 1998 einen wahren Erdrutsch gegeben. Der Software AG gebührt die Anerkennung, mit der bereits seit einiger Zeit erhältlichen Linux-Version von "Adabas D" den Boden geebnet zu haben.

Inzwischen haben auch die anderen großen Datenbankhersteller nachgezogen: Oracle, Sybase, Informix und IBM liefern ihre Datenbank auch für Linux, oft in kostenlosen Testversionen zum Herunterladen. Oracle will noch weiter gehen und auch die Entwicklungswerkzeuge sowie auf der Datenbank aufsetzende Tools für Linux bereitstellen.

Neben diesen kommerziellen Produkten gibt es eine Reihe bemerkenswerter freier oder semi-freier Datenbanken wie beispielsweise die objektrelationale Software "Postgres" oder die sehr kleinen und schnellen Datenbanken "mSQL" und "My SQL". Die bereits erwähnte "Linux-Applications-and-Utilities"-Seite enthält alle Informationen darüber, wo man diese Datenbanken herunterladen kann.

Betriebswirtschaftliche Software ist leider eines der Gebiete, auf denen es mit Linux-Anwendungen noch besonders mau aussieht. Vor allem der Bereich Privatfinanzen und Anwendungen für kleine Betriebe, in dem unter Windows oft mit Produkten wie "Quickbooks" von Intuit, den KHK-Produkten oder auch "Money" gearbeitet wird, ist unter Linux kaum abgedeckt. Zwar wird seit einiger Zeit an dem Projekt "GNU-Cash" gearbeitet, allerdings sind die bisherigen Ergebnisse aufgrund der Ausrichtung auf amerikanische Gegebenheiten für deutsche Anwender kaum nutzbar.

Auf der anspruchsvolleren Seite des Spektrums, wo man etwa den Titeln Baan oder R/3 begegnet, sucht man unter Linux ebenfalls noch vergeblich, auch wenn es bei SAP intern bereits eine Linux- Portierung geben soll. Im Bereich zwischen diesen beiden Extremen finden sich glücklicherweise einige Lösungen. So entwickelt die Firma IoS die in Java geschriebene Finanzbuchhaltungs- und Warenwirtschaftslösung "Linux-Kontor" http://www.linux- kontor.de .

Auch Desktop Publishing ist ein Anwendungssegment, für das man unter Linux noch nicht soviel findet. Allerdings entwickelt sich mit "K-Word" aus dem K-Office-Paket derzeit ein Programm, das irgendwann einmal "Framemaker" das Wasser reichen können soll. Allerdings wird es noch einige Monate dauern, bis K-Word allgemein verwendbar ist.

Unter Windows ist Photoshop von Adobe der unbestrittene Marktführer in Sachen Bildbearbeitung, und eine Linux-Version wird man vergeblich suchen. Allerdings gibt es unter Linux ein vergleichbares freies Programm namens "Gimp" (GNU Image Manipulation Program), das es laut Aussage von Bildverarbeitungsprofis von der Funktionalität her durchaus mit Photoshop aufnehmen kann. Informationen zu Gimp gibt es unter http://www.gimp.org.

Diese Beispiele zeigen bereits, daß die Aussage von fehlenden Anwendungen unter Linux in vielen Bereichen nicht mehr zutrifft. Dort, wo es noch Lücken gibt, führen der wachsende Marktdruck und die schwindende Ignoranz großer Softwarehäuser gegenüber dem Open- Source-Betriebssystem dazu, daß immer mehr Produkte für Linux verfügbar sind. Daß Softwaregiganten wie Oracle oder Corel das neue System unterstützen, wird anderen Softwarefirmen sicherlich eine Ermunterung sein, sich ebenfalls zu engagieren.

Kalle Dalheimer ist freiberuflicher Open-Source-Software- Entwickler, Fachbuchautor und Übersetzer in Meilsdorf bei Hamburg.