Softwareprojekte im Mittelstand

Die sieben Tugenden des ERP-Projektleiters

02.12.2008
Von Werner Schmid

7. Wie findet man das am besten geeignete ERP-System?

Es gibt zwei Arten von ERP-Systemen, echte und unechte. Bei echten ERP-Systemen bilden Ware und Wert eine untrennbare Einheit. Jede Warenbewegung in Einkauf, Produktion und Verkauf ist ("real time") mit einer Wertbuchung in der Buchhaltung verbunden. Unechte ERP-Lösungen steuern primär die Warenwirtschaft in Einkauf, Produktion und Verkauf, während die damit verbundene Wertschöpfung - zeitversetzt - über Schnittstellen der Buchhaltung und gegebenenfalls der Kostenrechnung übergeben wird.

Der Unterschied zwischen beiden liegt einerseits in der Technik, andererseits in der Einstellung der Unternehmensführung. Für die Techniker in den oberen Management-Etagen ist nur die Steuerung des Warenflusses wichtig, für die Controller vor allem der Wertefluss. Erst wenn entschieden ist, was dominieren soll, lassen sich Softwareangebote vergleichen. Versteht das Unternehmen den Unterschied zwischen diesen Funktionsprinzipien der Software nicht oder erkennt diesen erst während der Einführung, steht das Projektteam irgendwann vor großen Problemen. Dann kann plötzlich nicht geliefert oder produziert werden, weil - überspitzt gesagt - das ERP-System wegen fehlender Wertangaben einer Ware die Buchung verweigert.

Warenwirtschaftssysteme, ob mit oder ohne branchenspezifische Ausprägung, gibt es viele, wogegen die Gruppe der echten ERP-Systeme eher klein ist. Die Hersteller und Vertriebspartner der Produkte haben die Vorliebe der Anwender für eine "Branchenlösung" erkannt und ihre Software um Branchenschablonen (auch "Templates" genannt) erweitert. Diese enthalten im Prinzip vorkonfigurierte Einstellungen für bestimmte Prozesse und Funktionen. Augenfällig sind die Erweiterungen oder Einschränkungen der Daten im Artikelstamm auf branchenspezifische Merkmale. Im Kern sind diese Branchenlösungen identisch mit dem "Standard".

Bei einem Vergleich der ERP-Systeme sollten realitätsnahe Prozesse betrachtet werden. Es kommt darauf an, dass die Funktionen der Software im Zusammenhang mit einer Prozesskette vollständig und korrekt ablaufen. Wer dagegen nur isolierte Funktionen betrachtet und anhand derer die Software bewertet, erlebt später womöglich eine große Enttäuschung.

Bei der Bewertung der Systeme und deren Anbieter spielen die Emotionen (das "Bauchgefühl") der Entscheider ("Key User") eine mindestens gleich große Rolle wie die technischen Funktionen. In jedem Fall sollte das Projektteam den Charakter eines ERP-Systems ("echt" oder "unecht"), seine Herkunft (Entstehungsgeschichte) und Umgebung (Anbieter, Partner) berücksichtigen.