Softwareprojekte im Mittelstand

Die sieben Tugenden des ERP-Projektleiters

02.12.2008
Von Werner Schmid

5. Anwender motivieren, die Regeln des ERP-Systems zu lernen

Für Unternehmen kommt die ERP-Einführung nicht selten einem Kulturschock gleich: Viele Firmen werden von wenigen Personen dominiert. Wenige Know-how-Träger prägen die Firmenkultur. In mittelständischen Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern gibt es etwa zehn bis zwölf solche Personen, und die sind nicht immer die Chefs oder Abteilungsleiter.

Ein ERP-System steuert unabhängig von Personen die Geschäftsabläufe eines Unternehmens. Es kann leicht passieren, dass sich die Mitarbeiter durch die ERP-Einführung überfahren fühlen. Die Kunst, die Anwender für den Übergang in eine andere Kultur zu motivieren, liegt darin, sie zu überzeugen, die Regeln, nach denen das ERP-System funktionieren soll, selbst zu definieren. Das steckt hinter dem Begriff "Customizing", der Anpassung des "Standards" an die individuellen Anforderungen eines Unternehmens.

Allerdings geht das nicht über Nacht und bedeutet einen Kraftakt. Die Anwender müssen lernen, die Regeln, die Mechanismen des ERP-Systems zu verstehen. Für ein Unternehmen kann der Wechsel von einer personenabhängigen Unternehmenskultur zu einer kundenorientierten, objektiven und logisch richtigen Prozesssteuerung lebenswichtig sein. Know-how-Träger und Führungspersonen können wechseln. Die im System definierten Geschäftsprozesse bleiben trotzdem erhalten. Wer versteht, wie diese Prozesse funktionieren, hat bessere Chancen.

6. Höhen und Tiefen eines ERP-Projekts ausgleichen

Über die verschiedenen Phasen eines ERP-Projekts wurde schon viel geschrieben und diskutiert. Eine, die immer eintritt, ist die so genannte Ernüchterung, die Zeit, in der die Euphorie von der Realität eingeholt wird. Das liegt nicht an der ERP-Software, sondern an überzogenen Erwartungen. ERP-Systeme sind am Anfang leer. Bevor Anwender die Geschäftsanwendung nutzen können, muss sie zuerst mit Regeln (den steuernden Parametern) und mit Daten gefüllt werden. Beides ist schwierig und erfordert Fleiß. Das sollte der Projektleiter dem Team gleich am Anfang einschärfen und zudem einen Überblick über die zu lösenden Aufgaben geben. Dazu gehört auch, die zu erledigenden Punkte genau zu identifizieren und die zur Lösung am besten geeigneten Mitarbeiter damit zu betrauen.

Vorteilhaft ist eine Vorgehensweise "von oben nach unten", sprich von der Bilanzstruktur (Kontenplan) deduktiv über die wertschöpfenden Prozesse bis zu den Details in den Stammdaten. Dabei sollte immer gefragt werden: Wie kommt das (der Vorgang, der Wert des Artikels) in die Bilanz, in die Schlussrechnung des Unternehmens? Auf diese Weise behält das Team die Orientierung und weiß, wie weit es schon gekommen ist. Wer sich gleich auf Details und auf Einzelfunktionen stürzt, läuft Gefahr, den Überblick zu verlieren.

Zwar haben sich Anbieter einen ERP-Einführungsfahrplan zurechtgelegt. In der Praxis gehen die Berater und die Anwender jedoch oft gleich "zur Sache" und schreiben in dem System herum, ohne die Zusammenhänge zu verstehen und zu berücksichtigen. Dann kommt es zu der beschriebenen Ernüchterungsphase, weil keine Strategie oder Vorgehensweise befolgt wurde.