Vereinheitlichung der Ländernetze spart Geld

Die AOK will ihr Netz auf ATM umstellen

17.09.1999
TROISDORF (sra) - Die zunehmende Konkurrenz unter den Krankenkassen zwang die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) zu drastischen Maßnahmen: Am Anfang stand die Vereinheitlichung ihrer Netze auf Basis von Frame Relay. Sie sparte der AOK eigenen Angaben zufolge einen zweistelligen Millionenbetrag. Aus Kapazitätsgründen plant die Kasse nun allerdings, das Netz teilweise auf ATM umzustellen.

Mit etwa 2000 Geschäftsstellen betreut die AOK 30 Millionen Kunden. Sie muß Daten (in erster Linie Rechnungen) von zwei Millionen Leistungserbringern wie Krankenhäusern, kassenärztlichen Vereinigungen oder Masseuren annehmen und über das Netz an die zuständigen Stellen verteilen. Vor 1995 war die Infrastruktur der Krankenkasse stark Host-orientiert. Die Ländernetze basierten auf Festverbindungen, über die Systems Network Architecture (SNA) gefahren wurde. Diese TK-Landschaft galt jedoch als nicht mehr zeitgemäß.

"Wir wollten eine Kommunikationsplattform schaffen, mit der sich auch Client-Server-Anwendungen auf Basis von IP betreiben lassen", skizziert Winfried Jonas, Bereichsleiter Technologieservices bei der AOK Systems, die Richtung des Wechsels. Mit den alten Netzen wäre das nicht möglich gewesen. Sie mußten daher komplett ausgetauscht werden. Die Krankenkasse, die aus 17 Länderorganisationen und dem AOK-Bundesverband besteht, plante eine Vereinheitlichung ihrer Ländernetze und deren Verbindung durch ein bundesweites Netz ("Overlay-Netz").

Die Vermeidung von regionalen Mehrfachinstallationen versprach zudem Kostensenkungen - ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt, zumal die Liberalisierung des Gesundheitswesens schon damals ihre Schatten vorauswarf. Weitere Einsparungen erlaubte die Konsolidierung der Rechenzentren, deren Zahl von 60 auf neun reduziert wurde. Auch hierfür war ein bundesweites Netz unabdingbar. Denn: Wo es kein lokales Rechenzentrum gibt, müssen die Daten über das Netz zum nächstgelegenen transportiert werden.

Vor der Standardisierung besaßen die Landes-AOKs Einzelverträge mit der Deutschen Telekom AG, die beispielsweise verschiedene Laufzeiten hatten. "Wir waren sehr erstaunt, welch große Unterschiede existierten. Da lagen Welten dazwischen", wundert sich Jonas. Die Vereinheitlichung der Verträge brachte dem Unternehmen eigenen Angaben zufolge allein durch Mengenrabatte Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich.

Den Mammutauftrag unterteilte die AOK in kleinere Projektstufen, weil 1995 noch kein Anbieter in der Lage war, ihre Anforderungen komplett zu erfüllen. Die Krankenkasse begann im ersten Schritt mit der Standardisierung der Ländernetze. Dabei orientierte sie sich an Marktstandards: Das Internet Protocol (IP) soll SNA ablösen. Wo so etwas nicht existiert, nahm sie Produkte eines Marktführers als Richtschnur. Zum Beispiel stellt Cisco die Ausrüstung für das WAN.

Auch beim Carrier fiel die Wahl auf den Marktführer Deutsche Telekom. Zwar holte die AOK auch Angebote anderer Bewerber ein. Doch deren Offerten hätten einer genaueren Prüfung nicht standgehalten, kritisierte Dietmar Krischausky, Geschäftsführer der AOK Systems. Sie versprachen beispielsweise Servicelevels, die besser waren als die der Telekom selbst, obwohl diese Anbieter doch auch auf deren Netz hätten zurückgreifen müssen.

Die Schwierigkeiten bei der Standardisierung waren organisatorischer Art. Auch die Telekom, die den Auftrag erhalten hatte, mußte erst eine schlagkräftige Organisation aufbauen, um die Standards überall durchzusetzen. Problematisch war es vor allem für die DeTeSystem, eine bundesweite Weisungsbefungnis innerhalb des Mutterkonzerns über alle AOK-Aktivitäten zu erwirken. "Damit ist mehrfach der Vorstand der Telekom befaßt gewesen", berichtet Jonas.

In einem zweiten Schritt richtete die AOK dann 1997 ein bundesweites Netz ein, das die Ländernetze verbindet. Die AOK entschied sich für ein Betreibermodell durch die Telekom, das diese auf Basis einer Frame-Relay-Plattform realisierte. Sie benötigte damals eigenen Angaben zufolge eine Bandbreite zwischen 64 Kbit/s und 2 Mbit/s. Diese Datenraten hätten sich auch mit einem Festverbindungsnetz erreichen lassen. Allerdings gab die AOK der Frame-Relay-Lösung den Vorzug, da sie zum Beispiel für Umzüge von Filialen eine größere Flexibilität bietet. ATM erschien den Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt zu teuer.

Das Frame-Relay-Netz verbindet nun die 17 Ländernetze sternförmig miteinander. In der Mitte steht ein zentraler Router (siehe Grafik). Von dem Zentral-Router zu den Landes-AOKs sind 2-Mbit/s-Leitungen geschaltet. In den Ländernetzen kommt ebenfalls Frame Relay zum Einsatz, allerdings mit geringeren Geschwindigkeiten.

In Kiel, wo die Telekom ein Hochverfügbarkeits-Rechenzentrum betreibt, befinden sich die Server, die für die bundesweiten Dienste der AOK zuständig sind, zum Beispiel für den AOK-Mail-Verbund. Dabei handelt es sich um drei Exchange-Server, die die Verbindung zu den dezentralen Mail-Servern der Landes-AOKs herstellen. Die Wahl fiel auf das Microsoft-Produkt Exchange, weil an vielen Standorten Windows NT als Betriebssystem vorherrscht. Außerdem gibt es in dem Kieler Rechenzentrum ein zentrales Firewall-System, das den Internet-Zugang sichert, sowie Web-, HTTP- und FTP-Proxies.

Doch heute stößt das Frame-Relay-Netz schon wieder an die Grenzen seiner Kapazität. Der AOK-Partner Deutsche Telekom entwickelt daher zur Zeit neue Technologiemodelle, die es der Krankenkasse ermöglichen, die Kapazitäten schrittweise zu erweitern. Dabei spielt ATM eine wichtige Rolle. Die IT-Verantwortlichen tendieren außerdem zu ATM, weil sie glauben, damit besser für die künftigen Erfordernisse der Sprach-Daten-Konvergenz gerüstet zu sein.

Priorität hat zunächst die Aufrüstung des IBM-Ausweich-Rechenzentrums für den Katastrophenfall auf ATM. Dieses ist bisher über ISDN vernetzt. Im Notfall muß sich jedoch der WAN-Verkehr aus den Ländernetzen so routen lassen, daß innerhalb von vier bis fünf Stunden der gesamte Verkehr des ausgefallenen an das Ausweich-Rechenzentrum weitergeleitet wird. In der Zwischenzeit können die Bänder aus den Sicherungsarchiven herausgeholt und zum Beispiel per Hubschrauber in das Katastrophen-Rechenzentrum geflogen werden. Dort lassen sich dann die Sicherungen zurückspielen.

Als nächstes sollen die übrigen Rechenzentren mit hoher Bandbreite an den zentralen Knoten angebunden werden. Standardmäßig kommen dafür 34- Mbit/s-Verbindungen in Frage, doch die AOK erwartet von der Telekom, daß sie auch Abstufungen zwischen 2 und 34 Mbit/s zur Verfügung stellt - zumindest preislich. Danach folgen dann andere Organisationen wie die AOK Systems, die mit bis zu 2 Mbit/s versorgt werden soll, und der Bundesverband. Die Ländernetze werden vermutlich zunächst nicht angetastet.