Standardsoftware für das Finanzwesen

Controlling: Abschied von der reinen Revision

15.05.1998

In kaum einer anderen Branche wird mit so harten Bandagen gekämpft wie im Arzneimittelgeschäft. Ein Heer von Pharmaberatern hat es auf Kliniken, niedergelassene Ärzte und Apotheker abgesehen. In diesem heißumworbenen Markt kommt gerade dem Marketing- und Vertriebs-Controlling eine eminente Bedeutung zu. Zur Steuerung der Artikel-, Kunden- und Außendienstbereiche reichen herkömmliche Umsatz- und Absatzbetrachtungen nicht mehr aus.

Bei der Strada AG in Bad Vilbel sind Controller zu internen Unternehmensberatern avanciert. Als Investitionsratgeber sind sie bei Pay-back-Rechnungen gefragt, im Einkauf kalkulieren sie Amortisationszeiten. Analyse und Planung ist ihr Tagesgeschäft. Chef-Controller und DV-Leiter Wolfgang Jeblonski: "IT-Werkzeuge helfen uns dabei, die richtigen Entscheidungen anhand von Fakten und nicht aus dem Bauch heraus zu treffen." In monatlichen Marketing- und Vertriebsmeetings berichten Controller über die aktuellen Umsätze, beziffern den Aufwand pro Kostenstelle und Kunde und stellen ihre Profitcenter-Rechnung nach einzelnen Vertriebseinheiten auf. Auf die Sortimentspolitik haben die Controller einen sehr hohen Einfluß: Artikel, die über einen bestimmten Zeitraum nicht laufen, fallen gnadenlos heraus.

Ins Data-Warehouse fließen alle Auftrags- und Buchhaltungsdaten ein. Kern des Systems sind die sogenannte Controller-Datenbank sowie ein flexibler Berichtsgenerator. Weitere Module docken hier an. Damit steht ein umfassendes Informations-Management zur Verfügung. Für die Auswertung des gewaltigen Datenvolumens von etwa 6 GB stützt man sich auf die IBM AS/400 und Tools des Münchner Controlling-Spezialisten PST. Inzwischen sind Ad-hoc-Auswertungen sogar am PC möglich.

Andere Märkte, andere Sitten - zum Beispiel in der Textilwirtschaft. Mit dem atmungsaktiven und wasserabweisenden Textillaminat Gore-Tex bekannt geworden ist die gleichnamige Firma, die an den Standorten Putzbrunn und im fränkischen Weißenburg rund 850 Mitarbeiter beschäftigt. Neben Textilien produziert Gore auch Gehörprothesen, Kabelsysteme für elektronische Leitungen sowie Dichtungen und Filter für den industriellen Einsatz.

Auch organisatorisch ist das Unternehmen von Ideenreichtum geprägt. Die Aufgliederung in überschaubare Einheiten ist ein wichtiges Prinzip der Firmenphilosophie. Jedes Werk wickelt seine Geschäfte soweit es geht selbständig ab. Unter Verzicht auf hierarchische Strukturen stehen Eigenverantwortung, Kommunikation und Kundennähe im Vordergrund. Damit korrespondiert auch das DV-Konzept. Auf der AS/400, die in ein Token-Ring-LAN unter Novell Netware integriert ist, laufen sämtliche betriebswirtschaftlichen Applikationen. Jedes einzelne Werk in dem internationalen Konzern verfügt über Client-Server-Konfigurationen mit jeweils eigenem Server-System sowie PCs unter MS-Windows. Die Applikationsentwicklung erfolgt in Putzbrunn unter Einsatz von 4-GL-Tools.

Wie der Leiter des Rechnungswesens, Hermann Erthle, erklärt, bilanziert Gore als Gesamtunternehmen mit einer zentralen Buchhaltung. Soweit möglich, werden die Buchhaltungsfunktionen jedoch in den einzelnen Werken ausgeführt. Auf diese Weise ist das Rechnungswesen direkt in die Abläufe der Werke eingebunden und vor Ort jederzeit erreichbar.

Ein Werkzeugkoffer mit Standardsoftware

Im Einkauf kommt ein integriertes Standardsoftware-System von Soft M zum Einsatz, das seit 1990 mit der Umrüstung von der IBM/36 auf der AS/400 installiert ist. Die zentrale Buchhaltung ist auf übergreifende Funktionen wie Sachbuchhaltung, Rückstellungen, Steuer, Reporting und Bilanzierung beschränkt. Zu den Aufgaben der "schlanken" dreiköpfigen Zentrale zählt die komplette Buchhaltung der Vertriebsbüros in der Schweiz, den Niederlanden und in Österreich, die nach jeweiligem Landesrecht bilanzieren. Die Konten werden in der jeweiligen Landeswährung geführt und Überweisungen per Datenträger an die dortigen Banken geschickt.

Auf PC-Basis erstellt das Frankfurter Bankhaus Metzler Kosten- und Ertragsrechnungen. Harald Illy, Chef-Controller des nach eigenen Angaben "ältesten deutschen Bankhauses in Familienbesitz", steuert Kundendaten und Profitcenter unter mehrdimensionaler Sicht. Er greift dabei auf das System Koreco der Firma Compart aus München zu.

Das System basiert auf der Datenbank MS Access und ist überhaupt stark in die Microsoft-Welt eingebettet. Koreco sowie Softwaresysteme des SNI-Softwarepartners Focus aus München sind wie ein "Werkzeugkoffer mit Standardsoftware", aus dem sich die Controller des Bankhauses bedienen. Eine große Methodenbibliothek von Rechenalgorithmen bis zu Parameterfunktionen bildet die Grundlage des strategischen Investmentbankings im Privatkundengeschäft der Frankfurter. Die Anwenderbeispiele sind nur ein Ausschnitt dessen, was Controlling und IT zu leisten in der Lage sind. Grundsätzlich besteht kein Zweifel daran, daß das Potential der Informationstechnologie für die Planungs- und Steuerungsaufgaben längst nicht ausgeschöpft ist. Zwar existieren dank des Ausbaus der operativen Systeme eine hohe Datenqualität und Datenaktualität. Ihre tatsächliche Nutzung bleibt aber weit hinter den Möglichkeiten zurück. Selbst in Unternehmen mit hohem DV-Durchdringungsgrad steht lediglich ein mehr oder minder ausgedehntes Reporting-System zur Verfügung. Oft helfen sich die Anwender mit mühsam gepflegten Excel-Sheets über die Runden.

Ein Szenario für den Controller im Jahr 2005 hat Manfred Grotheer vom Deutschen Controller Verein entworfen. Einer der Megatrends, die sich demnach unmittelbar auf die Arbeit des Controllers auswirken, werde neben Kapitalkonzentration, Internationalisierung und Liberalisierung "zweifellos die Technologie" sein. Nach seinen Berechnungen könnte ein PC unter Beibehaltung der aktuellen Entwicklungsdynamik im Jahr 2005 eine Megahertz-Leistung in fünfstelliger Höhe erbringen. Diese Anwendungsperformance würde sich unmittelbar auf die Personalintensität auswirken. Folglich stünden 70 Prozent Personalkosten im Bereich des Finanz- und Rechnungswesens zur Disposition.

Unmittelbar davon betroffen dürften laut Grotheer die Kreditioren- und Debitorenbuchhaltungen sein, denen der Electronic Data Interchange (EDI) zwischen Kunden und Lieferanten den Garaus macht. Versicherungs- und Steuerabteilungen fallen dem Outsourcing zum Opfer, das Treasuring wird von den Banken als Servicedienstleistung angeboten, und dem verbleibenden Chief Finance Officer wird vermehrt eine Marketing-Funktion zukommen. Seine Aufgabe bestünde darin zu ermitteln, welche Informationen welchen Adressaten wann bekanntgegeben werden.

Unternehmens- und IT-Planung verschmelzen

Dieses Szenario könnte man bis ins kleinste Detail weiterspinnen. Zentrales Ergebnis des Zukunftsentwurfs aber sei die Verschmelzung von Unternehmensplanung und Informationsverarbeitung, so Grotheer. Der Controller avanciert zum Architekten eines Performance Measurement Systems, zu deutsch: Kennzahlensystems. Dies werde dem Controller jene Informationen liefern können, die ihm breite Akzeptanz auf Top-Management-Ebene garantiere.

Hieraus leitet Visionär Grotheer eine weitere interessante Entwicklung ab: Der Controller wirkt maßgeblich an der Weiterentwicklung der betrieblichen Informationssysteme mit, etwa bei der Organisation der weltweiten Datenbanken. Weil sich auch die physische DV in den meisten Unternehmen nicht mehr im eigenen Hause befindet, werden sich IV-Entscheidungen nur noch auf die Auswahl von Software und Datenbanken, Datenschutz und Datensicherung sowie auf die Organisation der IV-Dienstleister konzentrieren. "Diese Maßnahmen sollten sich aus einer IV-Strategie ableiten, die integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie ist", lautet sein Credo.

Welches Realisierungspotential solche Zukunftsentwürfe tatsächlich mit sich bringen, ist sicherlich eines der Top-Themen des Controller-Kongresses am 18./19. Mai in München. Ein eigener Themenblock "Informationsverarbeitung und Controlling" könnte vielleicht neue Erkenntnisse bringen.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.