CeBIT-Rundgang/Entscheidend ist die Anbindung an Netzwerke CeBIT bietet IBM die Chance zur Vermittlung der Strategie

03.03.1995

Von Detlef Borchers*

Die juengsten Ankuendigungen bezueglich IBMs Systemstrategie haben fuer Verwirrung gesorgt: Die erheblichen Abstriche an der einstmals grosszuegig angelegten, universalportablen Zukunftsplattform schlugen auch auf das Bild von OS/2 zurueck, das ohnehin schon mit der fortlaufenden Microsoft-Kampagne fuer Windows 95 konkurrieren muss.

Unter diesem Gesichtspunkt bietet die CeBIT die fuer IBM einmalige Chance, eine kohaerente Produktstrategie zu vermitteln, waehrend sich Microsoft noch mit den Einzelteilen einer Vision begnuegen muss. IBMs Interessen treffen sich hier mit Motorola auf der Hardwareseite und mit Apple (Opendoc) bei der Software.

Insgesamt betreibt die IBM einen erheblichen Aufwand, um ihre Systemstrategie samt OS/2 auf der CeBIT schmackhaft zu machen. Von den erwarteten 685000 Besuchern reklamierte der Branchenriese bereits im Vorfeld 250000 Interessenten fuer sich. Mit einer Gesamtbesatzung von 1300 Personen werden die Besucher in sechs Hallen auf 5000 Quadratmetern Ausstellungsflaeche bedient. Wer sich hallenorientiert durch die Messe bewegt und es vor allem auf Schauwerte abgesehen hat, wird nicht um die multimediale Lasershow "Solutions for a small planet" herumkommen, die in Halle 1, Stand 4G2, ablaeuft.

Interessenten an den Entwicklungen rund um den Power-PC koennen hingegen dieses potentielle Staugebiet weitraeumig umgehen und sich direkt zur Halle 14 begeben, die komplett dem neuen Rechner gewidmet ist und auch OS/2 fuer den Power-PC bereithaelt. In Halle 16 wird schliesslich die globale Vernetzung praesentiert, wobei die "Workforce"-Solutions mit neuen "Thinkpads" die Attraktion sein sollen, auch wenn sie nicht ausschliesslich mit OS/2 bestueckt sind. Das Betriebssystem selbst wird schwerpunktmaessig in Halle 2, Stand C50, gezeigt, wo ein virtueller Shuttle-Rundflug ueber die CeBIT fuer Abwechslung sorgen soll.

Zusammen mit zahlreichen Partnerstaenden wird indes nicht nur die Power-PC-Variante von OS/2 praesentiert - im Mittelpunkt steht auch dessen LAN-Client. Denn IBM konnte mit ihrer Warp-Kampagne die momentane Formschwaeche von Microsoft gut nutzen und dieses persoenliche OS/2 am Markt plazieren. Einen weiteren Erfolg erhofft sich der Konzern mit dem "Warp Full Pack", das gemeinsam mit PC- DOS 7.0 als "Warp mit Win-OS/2" in den Vertrieb kommt. Dieses Warp mit Windows wird laut IBM bereits rege vom Handel geordert.

LAN-Client einem limitierten Betatest unterzogen

Einen aehnlichen Erfolg wuenscht man sich fuer das naechste Modul der Familie, den OS/2-Client im Netzwerk, der allerdings nicht ohne weiteres praesentiert und ueber den Ladentisch verkauft werden kann. Im LAN-Bereich unterscheiden sich die Startbedingungen erheblich von einem reinen Desktop-Produkt: So kann IBM nicht einfach die Verkaufsfoerderung mit einem Bonus-Pack ankurbeln, das aus der Perspektive vieler Systemadministratoren eher unproduktive Tools enthaelt. Merkmale wie die weitreichende Multimedia-Unterstuetzung oder die vordefinierten Einstellungen fuer zahlreiche Spiele sind nicht dazu geeignet, die Bedeutung des Betriebssystems im Netz zu unterstreichen.

Dennoch: Entscheidend ist die Anbindung an das Netzwerk, die das Einstiegs-Warp nicht besitzt, das Firmen-Warp dagegen ueber den LAN-Client fuer OS/2 erhalten soll. Hier unterscheidet sich nicht nur der TCP/IP-Zugriff in einem Netzwerk vom TCP/IP, wie es mit dem Internet-Paket ueber die serielle Schnittstelle gestartet werden kann. Zusaetzlich gibt es Funktionen fuer die Zugriffssicherheit, die Administration und die Installation von Programmen oder Schnittstellen fuer Software-Entwickler. All dies soll der neue LAN-Client besitzen, der im Gegensatz zum persoenlichen Warp nur einem limitierten Betatest unterzogen wurde, zur CeBIT jedoch vertriebsfertig offeriert werden soll.

Der LAN-Client erlaubt nicht nur die Verbindungsaufnahme zu den grossen Netzwerken, er soll auch auf fremdem Terrain Software ersetzen, die von anderen Anbietern nur halbherzig gepflegt wird. Bestes Beispiel ist nicht einmal Windows NT, sondern Novell mit seiner Netware, die OS/2 als Client sehr stiefmuetterlich behandelt. So gibt es neue OS/2-Produkte in roter Verpakkung, allerdings sind diese ausschliesslich auf der Server-Seite angesiedelt und stehen voll im Dienst von Novells Pervasive Computing: Der auf der CeBIT in Halle 11, Stand B14, zu besichtigende neue "Groupwise"-Telefon-Server des Netzwerkspezialisten ist eine reine OS/2-Anwendung. Auch eine deutsche Telefonloesung, die "Voicebox" von Digitronic (Halle 1, Stand 7N13), benutzt OS/2 als Traegermedium.

Zusaetzliche Anbindung von Peer-Arbeitsgruppen

Spannend ist beim LAN-Client vor allem die Frage der zusaetzlichen Anbindung von Peer-Arbeitsgruppen, wie sie Windows for Workgroup kennt. Das Peer-Defizit der IBM glichen bislang vor allem Artisoft mit der OS/2-Variante von "Lantastic" und die deutsche PRS GmbH mit dem "Client Connect" aus. Fuer letzteres will man bis zur CeBIT mit einer schnellen ISDN-Verbindung den Aufbau von Peer-WANs (Halle 2, Stand C50) ermoeglichen. Fuer die grossen Netze kommt eine entsprechende Loesung mit der ISDN-Token-Ring-Bridge fuer OS/2 von Diehl (Halle 13, Stand G35).

Im weiten Feld der Sicherung eines Netzwerks mit OS/2 wird auf der CeBIT neben "Safeguard Easy" und "Safeguard Professional" von IBM/Utimaco auch das Programm "Siko", ein Sicherheits- und Kontrollsystem fuer OS/2, von Keske vertreten sein (Halle 2, Stand C50). Weitere Produkte auf diesem Stand sind "Smartlock" von Corporate Info Management und "OS2safe" der Ikoss GmbH.

Fuer Systemadministratoren und Programmierer ist das neue "USI/2" der Firma Nordhorner Software Engineering (Halle 7, Stand E 43) interessant, mit dem alle Schritte einer Software-Installation abgedeckt werden koennen. Auch bei den Helpdesk-Systemen gibt es mit der Neuvorstellung "Apriori" von der AT&T Istel & Co GmbH (Halle 3, Stand C15) einen weiteren Kandidaten, der OS/2 unterstuetzt. Zur Datensicherheit in grossen Netzwerken kann der "Storage Exec" von Arcadia Software gezaehlt werden, den die Actebis GmbH (Halle 11, Stand A52) praesentiert. Das Programm, das mit dem Konzept einer eigenen Backup-Domain arbeitet, wurde bereits auf der letzten Comdex vorgestellt.

Zum erweiterten Kreis der Netzwerk- und OS/2-Anwendungen gehoeren die Programme auf Basis von "Lotus Notes", das selbst zu den OS/2- Anwendungen der ersten Stunde zaehlt. Unter Notes zeigt Kasten Consulting (Halle 2, Stand C38) sein "KC Ideefix", ein Programm zur betrieblichen Vorschlagsverwaltung. Ob aehnliches auch fuer die Politik gilt, wenn "Kais" (Kommunales Amts-Informations-System) von PCO (Halle 4, Stand D56) eingesetzt wird? Kais wurde fuer Abgeordnetengruppen vom Kreistag an aufwaerts konzipiert. Die Potsdamer Firma bietet unter dem Produktnamen "Undercover" ein weiteres Notes-Modul an, das ueber Nacht Datenbanken durchforsten kann.

Bei den Entwicklungs-Tools kommt neben bekannten Groessen wie IBMs "Visual Age" und der C++-Umgebung "C Set++" auch eine neue C++- Version von Borland zum Zuge, mit der man gleichermassen OS/2- und Windows-95-Code generieren kann. Ebenfalls zu sehen sind auf diesem Gebiet im OS/2-Atrium (Halle 2, Stand C50) Micados "Workplace fuer Smalltalk/V" und "Poet fuer C++" von der Poet Software. Da beim Rightsizing immer wieder Anwendungen auf den Grossrechnern zu pflegen sind, verdient auch der "Xpediter+" von Compuware Erwaehnung, der fuer Cobol-Programme zustaendig ist. Fraglich ist allerdings, ob der ankuendigte CICS-Debugger zur Messe fertiggestellt sein wird.

Wer sich jedoch wirklich fuer die Zukunft von OS/2 und die des Programmierens interessiert, sollte sich die Demonstrationen von Taligent "Commonpoint" (Halle 2 und Halle 14) nicht entgehen lassen. Hinter diesem Namen verbirgt sich das Taligent Application Environment Framework mit seiner objektorientierten Modultechnologie.

* Detlef Borchers ist freier Fachjournalist in Westerkappeln