Btx: Als Content noch Geld kostete

07.01.2002
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Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zum Jahreswechsel verließen zwei Akteure die Bühne, die der deutschen Online-Gemeinde das Laufen beibrachten: Eric Danke und Btx. Mit Btx, heute als T-Online Classic bekannt, stellt die Telekom respektive T-Online einen Dienst ein, der seine Wurzeln in den 70er Jahren hat.

Ein kritische Wertung der Entwicklungsgeschichte von Btx fällt schwer in Zeiten, in denen Unternehmen ihre Standorte über Virtual Private Networks (VPNs) vernetzen, Glasfaserkabel Daten im Gigabit-Tempo übertragen und selbst für den Heimanwender die Internet-Anbindung mit Megabit-Geschwindigkeit dank DSL kein Traum mehr ist. Und dies nur acht Jahre, nachdem in der CW Anwender noch darüber diskutierten, ob sie besser X.25-Verbindungen oder Btx einsetzen sollten.

1993 nutzten Unternehmen wie die Münchner Osram GmbH, die NUR-Touristic, der Mineralölkonzern BP oder die Versicherungsgruppe Iduna/Nova den Dienst für die Datenübertragung zu Zweigstellen, Agenturen und Tankstellen. Um dabei die Kommunikation abzusichern, mussten sich die DV-Leiter mit "Containern" und "geschlossenen Benutzergruppen" herumärgern, denn VPNs im heutigen Sinne waren noch ein Fremdwort.

Host-Daten für den TV-Bildschirm

Dafür beherrschte 1993 ein anderes Thema die Diskussion: Einhellig begrüßten die DV-Verantwortlichen, dass endlich ein flächendeckender Zugang mit 2400 Bit/s zum Ortstarif erhältlich war. Davor hatten sie in langwieriger Arbeit ihre Anwendungen auf die bis dahin üblichen 1200/75 Bit/s optimiert (zum Vergleich: T-DSL offeriert heute 786 Kbit/s im Download und 128 Kbit/s im Upstream). Doch 1993 war Btx, im internationalen Sprachgebrauch Videotex genannt, bereits 19 Jahre alt.

Seine Entwicklung geht auf den britischen Postingenieur Sam Fedida zurück, der 1972 unter der Bezeichnung "Viewdata" ein System erfand, mit dem sich über Telefonleitung Daten eines Großrechners auf den Fernsehbildschirm übertragen ließen. 1976 lud dann die Deutsche Bundespost den Briten nach Darmstadt zu einer Demonstration der neuen Technik ein.

In einem Lieferwagen brachte Fedida ein sehr großes Fernsehgerät mit, das zur einen Hälfte Fernseher, zur anderen Hälfte Btx-Decoder war. Nach dieser Vorführung dauerte es noch sieben Jahre, bis auf der Berliner Funkausstellung 1983 Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling und Eric Danke den Startknopf ins Online-Zeitalter drückten. In diesem Zeitraum war nicht nur technische Entwicklungsarbeit zu leisten - IBM bekam den Auftrag für das Btx-System -, sondern auch viel politische Überzeugungsarbeit. So stritten sich Bund und Länder sowie potenzielle Informationsanbieter darum, in wessen Kompetenzbereich dieses neue Medium "zur interaktiven Individualkommunikation" falle.

Nach einem Machtwort der Bundesregierung, die feststellte, dass der Dienst ohne publizistisch relevante Inhalte sei, erhielt die Bundespost die Oberhoheit. Ergänzend hierzu war im Btx-Staatsvertrag von 1983 geregelt, dass jeder Anbieter in dem Dienst Content bereitstellen durfte.

Als Zielgruppe hatte man dabei vorerst vor allem den geschäftlichen Bereich im Visier. Privatleute konnten sich die teuren, ab 1987 erhältlichen Multitels - eine Kombination aus Telefon, Bildschirm und Tastatur - kaum leisten. Dafür waren die Geräte im Alltagseinsatz praktischer als das Paket aus Modem und im Fernseher eingebautem Btx-Decoder, an dem eine Eingabetastatur angeschlossen wurde.

An den noch jungen PC, IBM hatte 1981 die ersten Rechner dieser Gattung vorgestellt, als Endgerät zur Massenkommunikation dachte damals niemand. Die Orientierung am Fernseher prägte auch den Aufbau des Dienstes. Er gliederte sich baumartig in verschiedene Bildschirmseiten, die der Anwender über die Tastenkombination "*Seitennummer#" anwählte - vom einfachen Mausklick auf die Hyperlinks des World Wide Web keine Spur. Dabei hatten die Seiten das gleiche Format wie die Videotexttafeln, nämlich 20 oder 24 Zeilen und 40 Spalten.

Eric Danke Die Geschichte von Btx und T-Online ist eng mit einer Person verwoben: dem heute 61-jährigen T-Online-Technikvorstand Eric Danke, der Ende des Jahres aus dem Amt schied. Der gelernte Nachrichtentechniker gilt als Vater des Bildschirmtextes Btx, der Keimzelle der heutigen Online-Dienste. Später gehörte Danke zu den Managern der ersten Stunde, die die Entwicklung von T-Online begleiteten. Abgelöst wird der Btx-Vater durch den 37-jährigen Andreas Kindt, der seine Karriere bei Nixdorf begann.
Eric Danke Die Geschichte von Btx und T-Online ist eng mit einer Person verwoben: dem heute 61-jährigen T-Online-Technikvorstand Eric Danke, der Ende des Jahres aus dem Amt schied. Der gelernte Nachrichtentechniker gilt als Vater des Bildschirmtextes Btx, der Keimzelle der heutigen Online-Dienste. Später gehörte Danke zu den Managern der ersten Stunde, die die Entwicklung von T-Online begleiteten. Abgelöst wird der Btx-Vater durch den 37-jährigen Andreas Kindt, der seine Karriere bei Nixdorf begann.

Euphorisch wurde dabei Cept, die Norm des gleichnamigen Gremiums Conférence Européenne des Administrations des Postes et Télécommunications, als europaweiter Grafikstandard gefeiert. Eine weitere Besonderheit, die den Kindern der kostenlosen Internet-Kultur von heute fast undenkbar erscheint, war, dass der Seitenabruf Geld kostete. Jeder Content-Provider konnte für einzelne Seiten eine Gebühr erheben, die von Pfennigbeträgen bis in den Bereich von mehreren Mark reichte - etwa bei den Erotikanbietern. Doch nicht nur ein Besuch im virtuellen Rotlichtviertel kostete Geld, auch eine einfache Fahrplanauskunft bei der Bahn war kostenpflichtig. Zu den wichtigsten Anbietern im Btx wurden jedoch Kreditinstitute und Sparkassen, die mit dem Homebanking die erste Killerapplikation des Online-Zeitalters offerierten.

Überzeugt von der Attraktivität des Angebots, prognostizierte die Bundespost beim Btx-Start für 1986 eine Million Nutzer. Nicht ganz so optimistisch war das Beratungsunternehmen Diebold, das für 1985 aber immerhin mehr als eine halbe Million Teilnehmer vorhersagte. Beide Prognosen lagen jedoch weit daneben. Zum Jahresende 1988 zählte Btx bescheidene 150 000 User. Dementsprechend existierten Anfang der 90er Jahre Überlegungen, den Dienst ganz einzustellen oder drastisch zu verteuern, da er sich bislang nicht gerechnet hatte. Die Deutsche Bundespost entschied sich für Letzteres, überarbeitete den Dienst und benannte ihn in Datex-J um, als Abkürzung für "Datendienst für Jedermann". Mit Datex-J, von Spöttern gerne als Datex-Jammer bezeichnet, führte der Staatsmonopolist auch einen Minutentakt für die Online-Nutzung ein - ein Tarifmodell, das selbst im Internet-Zeitalter bei T-Online weiterbesteht.

Die Existenz von Btx sicherten jedoch nicht Minutengebühren und ein neuer Markenname, sondern eine Entwicklung im Softwarebereich: 1991 erschienen die ersten Btx-Decoder für Windows 3.0 und lösten die teuren Hardware-Decoder ab. Mit großem Marketing-Tamtam und kostenlosen Plug-and-Play-Sets für PC-Anwender initiierte die Deutsche Bundespost Telekom in Zusammenarbeit mit 1&1 die Wiederbelebung ihres angeschlagenen Mehrwertdienstes.

Maßnahmen, die später durch den ISDN-Ausbau unterstützt wurden. Zudem legte Btx in der Folge in Sachen Geschwindigkeit zu und bot 1995 analoge Übertragungsgeschwindigkeiten von bis zu 14400 Bit/s. Das Jahr 1995 markierte für die Zukunft von Btx eine wichtige Zäsur. So firmierte der Dienst auf der Funkausstellung erstmals unter dem Markennamen T-Online. Gleichzeitig läutete die Berliner Messe bereits das langsame Ende von Btx ein. Ein Zugang ins Internet sowie ein neuer E-Mail-Dienst wurden präsentiert. Für die klassische Btx-Klientel hieß es in der Folge umlernen. Neben dem bekannten Btx- und KIT-Decoder eroberte sich ein Browser seinen Platz auf den PCs - damals noch von Netscape.

Technische Plattform überlebt

Die Option des Internet-Zugangs machte Btx nun attraktiver für eine große Online-Gemeinde. Im Februar 1996, also mit zehnjähriger Verspätung auf die Bundespost-Prognose, wurde der millionste Teilnehmer gezählt. Die dann folgenden Jahre waren bei T-Online durch das Internet geprägt. Bei der Entwicklung der Zugangssoftware stand zunehmend das Internet im Vordergrund, und das ursprüngliche Btx beziehungsweise Datex-J spielte als T-Online Classic nur noch eine untergeordnete Rolle. Angesichts dieser Entwicklung entschloss sich die T-Online International AG, der seit Januar 2000 eigenständige Online-Ableger der Telekom, zur Einstellung des Dienstes. Erhalten bleibt jedoch die technische Plattform, die für Banken und Sparkassen zum Online-Banking weiter angeboten wird.