Vorkonfigurierte Middleware integriert Back- und Front-Office

Brücken bauen zwischen Software-Inseln

12.11.1998
CW-Bericht, Bernd Seidel Unternehmen verbringen mit der Intergation ihrer Standardsoftwareprodukte viel Zeit. Eine Reihe von Startup-Companys bietet jetzt produktionsreife Lösungen, mit denen sich die monolithischen Programme verbinden lassen.

Jeff Tash, IT-Manager der Firma Hewitt Associates aus Illinois, stand vor Problemen, die eine große Zahl von Kollegen mit ihm teilen dürften: Seine Aufgabe war es, verschiedenste Standardsoftwarepakete in unterschiedlichen Landesausführungen, Architekturen und Plattformen miteinander zu integrieren, so daß ein Datenaustausch über alle Systeme hinweg möglich ist. Hewitt ist ein Personaldienstleister und hat ein entsprechendes Personalwirtschaftspaket im Einsatz. An dieses sind mehr als ein Dutzend externer Unternehmen mit eigenen Anwendungen angeschlossen.

"Normalerweise hätte ich eine eigene Mannschaft aufgestellt oder eine teure Consulting-Firma damit beauftragt, die spezifischen Schnittstellen zu entwickeln", erklärt Tash. Statt dessen entschied er sich für eine neue Klasse von Standardsoftware, mit der sich unterschiedliche Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Pakete sowie Front-Office-Anwendungen integrieren lassen. Die Gartner Group bezeichnet diese Systeme als Enterprise Integration Applications (EAI). Anbieter auf diesem Gebiet sind Startup-Companies wie Crossworlds Inc., Extricity Software Inc. (vormals Crossroutes), Active Software Inc. und Vitria Inc.

Die Anbindung erfolgt dabei nicht wie sonst üblich über proprietäre Schnittstellen oder klassische Middleware- und Messaging-Produkte ê la "MQ Series" von IBM oder Beas "Tuxedo". EAI-Pakete stellen vielmehr eine eigene Anwendungslogik zur Verfügung. So kann beispielsweise ein per Workflow gesteuerter Prozeß eines Helpdesk-Systems wie von Vantive oder Clarify über entsprechende EAI-Logik einen Prozeß in einem Modul von SAP, Baan, Oracle oder Peoplesoft anstoßen.

Der Hewitt-Manager Tash entschied sich für das Tool "Business Ware" von Vitria Technology aus Mountain View, Kalifornien. Das Produkt ermöglicht es laut Tash, Systeme auf Anwendungsebene zu koppeln. Das heißt Funk- tionen der einen Applikation werden mit Features der anderen verbunden. Somit würden tatsächlich die Geschäftsprozesse der Unternehmen unterstützt, während die originären Appli- kationen wie SAP, Baan etc. sich immer noch stark an der Funk- tionsdenkweise orientierten, gab Tash der CW-Schwesterpublikation "Infoworld" zu Protokoll. "Businessware fungiert als universeller Interpreter zwischen den verschiedenen Anwendungen. Der Ad- mininstrationsaufwand konnte deutlich reduziert werden", lautet sein Fazit.

Daß Tash bei der Bewältigung der Integrationsprobleme nicht allein ist, zeigen Analysen der Gartner Group. Laut Daniel Sholer, Senior Research Analyst bei der Gartner Group, setzen die 2000 weltweit größten Unternehmen durchschnittlich 49 unterschiedliche Applikationen ein. Mehr als 35 Prozent der IT-Budgets geben diese Betriebe allein für die Integration unterschiedlicher Anwendungen, Architekturen und Plattformen aus. Rund 70 Prozent des Programmcodes werden für den Informationsaustausch zwischen IT-Systemen erstellt: "Schätzungsweise 24 Milliarden Dollar jährlich lassen sich Unternehmen das Zusammenspiel heterogener Systeme kosten", konstatiert Karen Boucher, Analystin der Standish Group aus Dennis, Massachusetts.

Und der Druck auf die IT-Abteilungen steigt, wie Gartner-Analyst Ross Altmann mahnt. Unterschiedliche ERP-, Front-Office- und Supply-Chain-Management-(SCM-)Systeme müßten nicht nur über Unternehmensgrenzen hinweg integriert werden. Überdies stünden neue Geschäftsmöglichkeiten durch E-Commerce genauso auf dem Plan wie ein permantes Engineering der betrieblichen Abläufe. Dies alles bedürfe einer intensiven Kommunikation unterschiedlichster Systeme.

Bisher bedienten sich Unternehmen dreier Möglichkeiten, Information zwischen Systemen auszutauschen: Völlig unzeitgemäß, aber dennoch anzutreffen ist, daß Daten aus dem Vertriebssystem ausgedruckt und in einem korrespodierenden ERP-System manuell erfaßt werden.

Weitaus fortschrittlicher und laut Analysten gängiger Standard ist der Datenaustausch via File-Transfer. Dazu werden Schnittstellen zwischen den Systemen programmiert. Der Nachteil: Bei jedem Update der einen oder anderen Software müssen die Interfaces angepaßt werden.

Eine weitere Variante bieten Application Programming Interfaces (API), wie sie derzeit von Anbietern wie SAP, Baan und Peoplesoft sowie einer Reihe von Entwicklungs-Tool-Lieferanten propagiert werden. Doch auch dabei handelt es sich letztendlich um Schnittstellen-Programmierung, bei der viel technisches Know-how gefragt ist. Im Vergleich zum konventionellen File-Transfer stehen jedoch mit den APIs in der Regel Entwicklungsrahmen und eine Verteilstruktur zur Verfügung. Zudem lassen sich eine Reihe von APIs mit gängigen Entwicklungswerkzeugen wie Microsofts "Visual Basic" oder Borlands "Delphi" bearbeiten.

Neben der Proprietät der APIs ist der eingeschränkte Zugriff auf Datenbestände zu bemängeln. Daneben müssen Entwickler die Funktionalität sowie die Datenmodelle der zu verbindenden Systeme sehr gut kennen, gibt Annegret Cox, Senior Technical Con- sultant bei Clarify in München, zu bedenken. Bei jedem Upgrade kommt man um eine Überprüfung der Interfaces nicht herum.

Hier melden sich nun die Hersteller von vorkonfigurierter Middleware zu Wort. Crossworlds beipielsweise verspricht, daß deren hauseigene "Connectoren"- und "Collaboration"-Module immer dem aktuellen Entwicklungsstand der Software-Anbieter angepaßt werden: "Anwender haben keine Lust, Software selbst zu entwickeln. Sie möchten lieber Standardlösungen einkaufen", lautet das Crossworld-Motto.

Durch die enge Zusammenarbeit mit Anbietern wie SAP, Baan, Oracle, Peoplesoft, Clarify und Vantive sei die Softwareschmiede in der Lage, sehr frühzeitig an neue Spezifikationen heranzukommen: "Wir arbeiten mit SAP beispielsweise im Takt der Hot Packages", erklärte Katrina Garnett, Chief Executive Officer von Crossworlds, gegenüber der CW.

Hot Packages sind die kleinste Aktualisierungseinheit der SAP und vergleichbar mit Patches zur Fehlerbeseitigung. Sie werden zwischen Releases wie 3.1e und 3.1f an Kunden verteilt. Auch wenn die Anbieter ihre Schnittstellen veröffentlichten, hätten SAP und Oracle kein Interesse, Programmcode untereinander auszutauschen. Gerade hier sehen Anbieter wie Crossworlds ihre Chance als neutrale Dritte. Garnett: Man habe rechtzeitig Zugriff auf neue Schnittstellen, um die entsprechenden Connectoren zu aktualisieren.

Hier bezweifeln Experten allerdings, daß ein kleines Unternehmen wie Crossworlds seine Software an die Vielzahl verschiedener Versionen anpassen kann. Die Crossworlds-Chefin sieht jedoch künftig auch Systemintegratoren wie die hierzulande tätige Syskoplan in der Pflicht, die Aktualität der Interfaces zu gewährleisten.

Universelle Adapter nur für Standard

Ein Manko von EAI-Paketen ist, daß je stärker ein Anwender sein eingesetztes Standardpaket modifziert hat, universelle Adapter per Plug and Play nicht funktionieren können. Für diesen Fall haben die Anbieter vorgesorgt: Sie bieten Workbenches an, mit denen sich individuelle Ausprägungen realisieren lassen sollen.

Innerhalb der EAI-Pakete arbeiten durchaus bekannte Mechanismen: Crossworlds "Processware" beispielsweise setzt sich aus "Collaborations" und "Connectoren" zusammen. Die Col- laborations sind applikationsunabhängig angelegt und enthalten die zusätzliche Anwendungslogik.

Mit den Connectoren lassen sich die Collaborations an die originären Anwendungen anschließen. Diese Adapter sind applikationsspezifisch und greifen auf die APIs der entsprechenden Lösung zu.

Die APIs lassen sich sowohl aus objektorientierten Sprachen wie Java ansprechen als auch mit Tools der dritten Generation wie C. Ein "Interchange Server" stellt die Runtime-Umgebung unter Windows NT für die Collaboration- und Connector-Module bereit. Die Engine ist in Java entwickelt. Als Distributionsschicht greift Crossworlds auf Transportmechanismen wie IBMs MQ Series, Tibco Rendezvous, Bea Tuxedo und Microsofts Message Q zurück. Für den Formatabgleich kommt beispielsweise "Mercator" von TSI Software zum Einsatz.

Ein Crossworlds-Anwender hierzulande ist die Siemens AG. Die Unternehmensgruppe Automatisierungs- und Antriebstechnik (A&D) setzt das Produkt ein, um Kundendienst- und Abrechnungssysteme für deutsche City-Carrier zu verbinden: "Diese Integration intern zu realisieren, wäre zeitaufwendig", urteilt Reinhard Pellet, Division Manager des Softwarehauses von A&D.

Dennoch ist der Einstiegspreis von 250000 Dollar für vorkonfigurierte Middleware für Interessierte ein Kaufhindernis: "Anwender, die nur an einer Stelle wie etwa bei Kundendaten eine Verbindung zwischen Systemen benötigen, fahren mit der herkömmlichen API-Programmierung günstiger", sagt Clarify-Spezialistin Cox. Erst wenn fünf oder sechs Interfaces vonnöten seien, lohne sich der Einsatz von EAI-Produkten. Ihr Fazit: Nur wer viele Schnittstellen, möglichst im Online-Betrieb einsetzt, nutzt die Vorteile des permanenten Updates durch die EAI-Anbieter. Der Aufwand für Integration und Wartung von komplexen Installationen soll sich laut Crossworlds auf ein Zehntel dessen reduzieren lassen, was bei manueller Pflege der Interfaces anfällt.

Die hohen Investitionskosten verdarben Hewitt-Manager Tash jedenfalls nicht die Stimmung: "Vitrias Businessware ist installiert, und ich bin weiterhin sehr euphorisch." Das ist bei vielen Unternehmen in dieser Phase des Projekts nicht mehr der Fall.