Big Blues Betriebssystem ist nur noch ein Lueckenbuesser OS/2: IBM scheitert bei der Rueckeroberung der PC-Kunden Von Gottlieb Bosch*

28.05.1993

Das juengste der neueren Betriebssysteme im High-end-PC- und Workstation-Bereich wurde erst im April 1987 angekuendigt. Vermutlich wird es Durchgangsstation bleiben: Mitte der 90er Jahre sollen, nach dem Willen von IBM,

OS/2, AIX und das Apple-Betriebssystem zu einem neuen Komplex zusammenwachsen. OS/2 ist dann nur noch ein Drittelbestandteil.

Boese Zungen hatten es schon immer mit OS/2, das sie respektlos OS-Halbe nannten. Daran aenderte sich auch nichts, als IBM im April 1991 - gezwungenermassen zum ersten Mal allein - die neue Version 1.3 anbot. Die Koalition mit Microsoft (MS) zur Entwicklung des Multitasking-Systems war zerbrochen. MS-Chairman Bill Gates hatte, salopp ausgedrueckt, dem Branchenriesen die halbfertigen OS/2Brocken auf den Hof gekippt.

Gravierende Qualitaetsprobleme des 32-Bit-Betriebssystems waren mit dieser IBM-Ausgabe weitgehend geloest. Der jetzt erwartete, von vielen Branchenauguren prognostizierte rauschende Erfolg blieb aber aus.

Ausloeser fuer die Arbeit an dem neuen Betriebssystem war die schnelle Weiterentwicklung der Prozessorhardware. Die neuen Prozessoren mit 32-Bit-Technologie und Leistungsdaten eines kompletten Mainframes verlangten nach adaequater Verwaltungs- und Steuerungssoftware. DOS verhielt sich dazu wie ein Steinzeit- zu einem modernen Menschen.

Als die Planung fuer die XT- und AT-Nachfolge anlief, sollten diese Rechnerarchitekturen mit einem neuen Betriebssystem ausgestattet werden. Neben den technischen Erfordernissen war dies der Versuch, erneut Wegweiser wie zu Zeiten des legendaeren PC- Erfolgs zu setzen. Die Zusammenarbeit bei DOS legte es nahe, die Gates-Company auch mit diesem Projekt zu betrauen.

Die Begruendung der einen Seite fuer die Notwendigkeit, neue Rechnerbetriebssoftware zur Hardwaresteuerung zu bauen, war schlicht - und berechtigt. IBM hielt MS-DOS fuer antiquiert. Der andere Grund war, dass der Hardwareriese endlich eine neue Linie von PCs entwickeln musste, wollte er den PC-XT- und AT-Markt nicht endgueltig den Klonern ueberlassen.

Damit war aber bereits ein erster OS/2-Verhinderungsgrund hausgemacht. IBM kuendigte das Betriebssystem zeitgleich mit seinen PS/2-Rechnern mit Microchannel-Architektur an. So kam es in den Ruch, speziell dafuer entwickelt worden zu sein. Es gelang spaeter nie mehr ganz, die Anwendergemeinde von seiner grundsaetzlichen Einsatzfaehigkeit auch auf PC-Rechnern mit AT-Bus zu ueberzeugen.

Auf der anderen Seite wurde Gates immer eine nur halbherzige Begeisterung fuer das neue System nachgesagt. An einer Abloesung des alten DOS konnte ihm gar nicht gelegen sein.

Zum dritten sollte OS/2 eine strategische Entwicklung der IBM werden, die sie nicht aus der Hand geben wollte. Microsoft durfte nur nach vorgegebenen Definitionen - MS-Kreise munkelten von schlechten Entwuerfen und Verfahren - den Code programmieren. Bei MS-DOS war das noch anders. Es stammte notgedrungen fast ganz von Microsoft. Der Presentation Manager in OS/2 konkurrierte zudem direkt mit Windows. Hier lagen wohl die Hauptgruende fuer Microsoft, zu dem Branchenprimus auf Distanz zu gehen.

Verstaendlich ist Gates' eher zoegerliche Haltung zu OS/2, wenn man weiss, dass DOS ihn immerhin mit 35 Jahren zum juengsten Milliardaer und zweitreichsten Mann Amerikas machte. Sollte er - und dann noch von anderen vorgeschrieben - seine Existenzbasis in Frage stellen? Die sah nicht schlecht aus: Etwa 17 Jahre nach der Firmengruendung erwartete er noch im Sommer 1991, bei der Vorstellung der bislang letzten Version DOS 5.0, davon mindestens 18 Millionen Kopien abzusetzen.

An diesen Stueckzahlerfolg reichten die anderen Produkte der Gates-Company, obwohl fast durch die Bank in Millionenauflagen verkauft, nicht heran. Selbst Windows kam, wohl wegen des OS/2- Debakels, gerade erst auf Touren. Microsoft buendelte nach dem Erscheinen von DOS seine Kraefte auf Windows, das "ein besseres DOS als DOS" werden sollte.

1987 waren ueber 250 000 Windows-Kopien verkauft. Anfang 1989 sollten es bereits ueber zwei Millionen sein. Mit Ausnahme von Lotus, Wordperfect und Ashton-Tate hatten alle Anbieter von Applikationssoftware Windows als Standardoberflaeche gewaehlt. Die drei Abweichler bevorzugten Presentation Manager, das grafische Anwender-Interface fuer das von IBM unterstuetzte neue Multitasking- OS/2.

Als IBM fuer 1987 die PS/2-Systeme ankuendigte, war vorgesehen, mit Microsoft zusammen ebenfalls an der Entwicklung von OS/2 sowie am Presentation Manager zu arbeiten. IBM lieferte endlich im Spaetjahr 1989 die Version 1.2 fuer seine Systeme aus. Die MS-Version OS/2 1.21 kam erst ein halbes Jahr spaeter.

Da herrschte zwischen beiden Unternehmen noch Eintracht. Sie liess sogar zu, OS/2 als "Windows Plus" zu bezeichnen. Kurze Zeit spaeter, 1990, "ueberprueften" IBM und MS, letzteres inzwischen mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz die weltgroesste Softwarefirma, ihre Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung von OS/2.

Viele PC-Anwender warteten ungeduldig auf das fuer Jahresende 1990 angekuendigte naechste Release OS/2 2.0. Es erschien aber nicht. Das erzeugte ein Klima, das in dem in der amerikanischen Fachpresse nachlesbaren Rat gipfelte, sich doch lieber gleich einen Mac von Apple zu kaufen. Die weitverbreitete Ansicht, OS/2 sei das Opfer eines Marketing-Bluffs sowohl von IBM als auch von Microsoft, entstand aus dem gleichen Gefuehl von Aerger und Verunsicherung.

Im September 1990 kuendigten beide Unternehmen eine neue Division fuer die OS/2-Entwicklung an. Man wollte der internen, aber nach aussen verborgenen Differenzen auf diese Weise Herr werden. Die Meldung wurde jedoch als erstes Anzeichen einer Scheidung gedeutet. Dann schlug IBMs Deal mit dem gemeinsamen Erzfeind Apple wie eine Bombe ein. Dieses Technologietausch-Abkommen reduzierte Gates' Begeisterung fuer eine IBM-Kooperation erheblich.

Mehr als eine Milliarde Dollar soll IBM nach Insiderberichten in die Entwicklung von OS/2 gesteckt haben. Kostendeckung war fruehestens in zehn Jahren in Sicht, wird aber nie erreicht werden, denn aus der Zusammenarbeit mit Apple soll unter anderem auch ein neues Betriebssystem entstehen. Es basiert auf Komponenten von OS/2,

IBMs Unix-Variante AIX und dem Apple-Betriebssystem.

Nicht genug der wenig schoenen Aussichten, kommentierten Marktanalysten immer haeufiger, OS/2 werde das groesste Desaster in der ganzen IBM-Geschichte. Hinzu kam dann, dass Mitte des Jahres 1991 das bisher nie Dagewesene bereits abzusehen war. Der Umsatz des Branchengroessten war ruecklaeufig. Es gab keine Gewinne mehr. Im Gegenteil: Kraeftige Verluste wuerden zu verbuchen sein.

Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt schossen die Gewinne der Gates- Company um 55 Prozent in die Hoehe. Fast ebenso kraeftig fiel im letzten Quartal des Jahres 1991 das Umsatzwachstum mit 48 Prozent gegenueber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum aus. IBM kuendigte die Entlasssung von 20 000 Mitarbeitern an. Microsoft stellte jede Woche 70 neue ein und beschaeftigte am Jahresende mehr als 10 000 Menschen. Mit geschaetzten 21,9 Milliarden Dollar uebertraf Microsoft sogar den Marktwert von General Motors.

Das war keine gute Basis zum Beheben von Verstaendigungsproblemen. Auf beide Seiten gut verteilt, werden sie durch stark abweichende Aussagen erkennbar. IBM verkuendete, Microsoft und IBM saehen Windows als Langzeitvorhaben und als Erweiterung fuer DOS, das durch OS/2 jedoch nicht ersetzt werden solle. Aus dem Hause Gates toente es anders: Unsere Strategie fuer die 90er Jahre heisst Windows. Das Paket erschien im Mai 1990 in der Version 3.0. Innerhalb von zwoelf Monaten waren drei Millionen Lizenzen verkauft. Nach IBM-Angaben waren es fuer OS/2, Version 2.0, bis dahin ganze 400 000.

Die Situation fuer OS/2 gegenueber DOS sah - trotz seiner Multitasking-Faehigkeit - aus einer Reihe anderer Ursachen nie gut aus. Eine davon war die

schon erwaehnte, enge Koppelung mit den PS/2-Modellen, die zunaechst in ihrem Leistungsverhalten nicht befriedigten. Darueber hinaus war OS/2 nur ein weiteres, nicht kompatibles Betriebssystem zusaetzlich zu allen, die IBM ohnehin schon anbot. Die Anwender schuettelten den Kopf.

Eine bereits Anfang 1988 angekuendigte Zusammenarbeit von Microsoft, Ashton Tate und Sybase zur Entwicklung einer OS/2- Version fuer SQL (Standard Query Language) -Server und damit der Verwaltung netzbasierender Datenbanken vermochte die Begeisterung der Anwender auch nicht zu wecken. Selbst die Extra-Features der IBM-eigenen Version Extended Edition, eine Datenbank (Data Manager) und eine Schnittstelle (Communications Manager) zu den Grossrechnern des Herstellers brachten samt der Einbindung in die SAA (Systems Application Architecture) -Welt keinen Fortschritt. Die Unsicherheit wegen verspaeteter Lieferungen und fehlerbehafteter Versionen war zu gross geworden.

Aber etwa 75 Prozent der 60 Millionen weltweit installierten PCs liefen mit DOS. Sogar PC-Rechner mit hochentwickelten 32-Bit- Intel-Prozessoren der 486er-Klasse emulieren die 16-Bit-Kruecke. Gegen diese Marktzahlen erfolgreich anzugehen, hatte selbst IBM Schwierigkeiten. Da half es auch nichts, dass Big Blue seine Schoepfung OS/2 inzwischen zum Betriebssystem fuer jeden PC-Benutzer ernannte. Diesen breiten Einsatz verhinderten noch zwei weitere Gruende.

Grund eins war das Speicherargument. OS/2 hat nicht ganz zu Unrecht den Ruf, ein Speicherfresser zu sein. Immerhin sind mindestens 4 MB Hauptspeicher notwendig. Auf der Platte muessen fuer eine minimalisierte Version immer noch 16 MB freigehalten werden. Die volle Installation schlaegt, inklusive aller Utilities und Spiele, mit rund 30 MB zu Buch.

Haupt-, aber auch Plattenspeicher waren vor Jahren noch so teuer, dass der private oder Kleinanwender achselzuckend doch wieder beim, wenn auch unvollkommenen, DOS blieb. Nur den Profibenutzern in den Betrieben konnten diese Kosten ziemlich egal sein.

Allerdings ist die haeufig anzutreffende Gegenueberstellung von DOS und OS/2 nicht gut begruendet. Vergleicht man nicht Aepfel (DOS) mit Birnen (OS/2), sondern gerechterweise adaequate System, sieht es bereits deutlich anders aus. Da steht einmal Unix im Ring, beispielsweise in der Unixware-Version des Systems V, Release 4.2. Auch dieses Paket benoetigt zu OS/2 vergleichbare Groessenordnungen. Es kann jedoch zusaetzlich Multiuser-Betrieb verwalten.

Der zweite Grund, der den Erfolg der IBM-Entwicklung verhinderte, war die Nichtverfuegbarkeit von Applikationen. Eigene OS/2- basierende Software gab es kaum. Das war eine Konsequenz der verspaeteten Auslieferung, der von Bugs wimmelnden ersten Versionen und der vorsichtigen Zurueckhaltung bei den durch die IBM- Microsoft-Haendel verunsicherten Software-Anbietern.

Mit wenigen Ausnahmen wurde die Verarbeitung der umfangreichen Palette von DOS-Programmen erst unter der Version OS/2 2.0 moeglich. Diese war fuer April 1992 angekuendigt, wurde endgueltig jedoch erst ab Juni ausgeliefert.

Das Single-User-System DOS hat ein schlechtes Benehmen: Es verhaelt sich, als gehoere aller Speicherraum ihm allein. Sollte nun, neben einer DOS-Partition, auch noch OS/2 mit Anwendungen arbeiten koennen, war dazu eine besondere Einrichtung notwendig. Sie wurde in Gestalt des Protected Mode geschaffen.

Diese Verarbeitungsart stellt jeder Anwendung, genauer jeder Task, einen geschuetzten Speicherbereich zur Verfuegung, auf den andere Applikationen nicht zugreifen koennen. Somit koennen heute unter OS/2 sowohl DOS- als auch Windows- und OS/2-Applikationen gleichzeitig arbeiten. Das Operating System /2, so der volle Name, geht wie ein richtiges Betriebssystem sogar eleganter mit der Zuweisung von Speicherplatz um als Orginal-DOS oder gar Windows.

Ausserdem reduzierte IBM inzwischen den fuer PC-Verhaeltnisse relativ hohen Systempreis von OS/2 auf eine Empfehlung in ueblicher Groessenordnung. Teilweise kehrte der Hersteller sogar zu alten Bundling-Traditionen zurueck. Bestimmte Modelle der PS/2-Serie schliessen das Betriebssystem im Preis ein.

Damit provoziert IBM genau den Vergleich, der eigentlich unsinnig ist. OS/2 ist nicht ein besseres DOS, sondern ein Betriebssystem fuer leistungsfaehigere Maschinen, als es schlichte 8088er PCs waren. Die Frage laesst sich ohnehin anders stellen: War OS/2 ueberhaupt noetig?

Mit dem Argument der Multitasking-Faehigkeit konnte man - ausser bei den IBM-Glaeubigen - wohl niemand hinter dem Ofen hervorlocken. Es gab Produkte, die DOS-Anwendungen bereits parallel ablaufen liessen. Dass OS/2 schon auf einem Rechner mit Intels 286-Prozessor bis zu 16 MB verwalten konnte, war gegenueber den mueden 640 KB von DOS der eigentliche Fortschritt. Doch diese 16 MB und die mindestens 4 MB Hauptspeicher machten OS/2 bei der Einfuehrung an einer ganz anderen Front Schwierigkeiten.

Die Speicher-Chips wurden gerade zu der Zeit teurer, als das System auf den Markt kam. Die amerikanische Industrie hatte den Wettbewerb um den Entwurf und Bau von Dram (Dynamic Random Access Memory) -Bausteinen gegen Fernost verloren. Versuche, in diesem Geschaeft mitzumischen, wurden beispielsweise auch von Intel wegen mangelnder Gewinne wieder aufgegeben. Das schraenkte die weltweite Produktion ein, Verknappung war die Folge. Die Situation eskalierte. Die Dram-Preise verdoppelten sich, als die Japaner - wegen des Dumping-Vorwurfs - ihren Export in die USA einschraenkten.

Daraus ergab sich fuer Software-Entwickler die Alternative: Wuerden sie Software fuer OS/2 schreiben, muteten sie ihren Kunden wegen des Speicherbedarfs beachtliche Mehrinvestitionen zu. Summen von 1000 Dollar pro System sind nicht mehr aus der Portokasse zu bezahlen. Deshalb verharrten die Softwareschmieden bei DOS oder wechselten zu Unix. Das Angebot an Anwendungssoftware fuer IBMs PL- Hoffnungstraeger OS/2 blieb immer mager.

Der Satz "OS/2 ist tot" stimmt zwar noch nicht - aber darauf lassen sich keine langfristig angelegten Investitionsentscheidungen bauen. Wenn das heute so apostrophierte "ideale Betriebssystem fuer moderne PCs" Mitte der 90er Jahre - wie man sich bei IBM vorstellen koennte - in ein objektorientiertes Betriebssystem der Zukunft eingeht und auf Rechner mit IBMs Power- RISC-Chips umorientiert wird, wird es auf die Dauer mit dem Support fuer OS/2 kritisch. Dies gilt freilich unter der Voraussetzung, dass das neue Gespann IBM/Apple mit gemeinsamen Vorhaben mehr Glueck hat als die alte Paarung IBM/Microsoft.

Eine andere Denkvariante - IBM scheint vorsichtiger zu werden - sieht alle drei Komponenten, AIX, OS/2 und Apple, einzeln weiterbestehen. Allerdings sollen sie einander dann so aehnlich sein, dass Binaerkompatibilitaet bis auf Anwendungsebene gegeben ist. Wenn dem einmal so sein sollte, wozu dann dreimal den gleichen Aufwand? Und welcher Anwender wird bereit sein, dafuer die Rechnung zu bezahlen?

*Gottlieb Bosch ist freier Fachautor in Muenchen.