Bestellungen im Wert von einer Milliarde Dollar stehen offen Verfehlte Produktplanung bringt Apple in grosse Schwierigkeiten

29.09.1995

MUENCHEN (CW) - Anfang Oktober 1995 wird Apple Rechenschaft ueber das abgelaufene Geschaeftsjahr ablegen (Ende: 30. September 1995). Mancher Industriebeobachter glaubt, der Geschaeftsbericht koennte Apple-Aktionaere veranlassen, CEO Michael Spindler den Laufpass zu geben. Sinkende Marktanteile bei PC-Systemen beunruhigen die Anteilseigner, die Zukunft des Unternehmens ist ungewiss.

Konnte Apple 1993 in Europa nach Zahlen von Dataquest noch einen Marktanteil von acht Prozent verbuchen, so ging dieser 1994 auf dem alten Kontinent auf 7,1 Prozent zurueck. In Apples Mutterland stellte sich die Situation noch dramatischer dar: 454000 Rechner brachte das Spindler-Unternehmen im ersten Quartal 1993 in den USA an den Mann oder die Frau. Im Vergleichszeitraum 1994 waren es nur noch knapp 410000. Der Marktanteil sank von 13,5 auf 10,4 Prozent.

Dieser Trend haelt an: Lieferte Apple im ersten Quartal 1995 in Europa noch rund 231400 Systeme aus, waren es im zweiten Vierteljahr nur mehr etwa 194000.

Schuld daran sind, sagt Apple, die Zulieferer, die das Unternehmen nicht schnell genug mit Komponenten versorgen. Es fehlt nicht nur an einer ausreichenden Zahl von Prozessoren, wiewohl dies ein Kernproblem zu sein scheint. Logistische Probleme gibt es offensichtlich auch bei der Versorgung mit Gehaeusen, Festplatten sowie Speicherbausteinen.

Vor allem bei der Prozessorbelieferung scheint einiges im argen zu liegen. Apple wagte Anfang 1994 den mutigen Schwenk von Motorolas CISC-Prozessor-Linie der 680x0-Familie auf die RISC-CPUs "Power- PC" von IBM/ Motorola. Das hatte Folgen: Das Interesse an den "Power-Macintosh"-Modellen war erheblich groesser, als Spindler vorgesehen hatte. Noch im September 1994, als er die Marschrichtung fuer Apple ausgab, rechnete er nicht mit einer sonderlich hohen Zahl von zu verkaufenden Tischmodellen. Notebooks, so seine Devise, wuerden der Renner.

Eine fatale Fehlkalkulation, die sich in Zahlen messen laesst: Ausgerechnet im letzten Jahresquartal 1994, in dem PC-Verkaeufe wegen des Weihnachtsgeschaefts traditionell boomen, verlor Apple in Europa zwei Prozent von ohnehin nicht berauschenden 8,9 Prozent Marktanteil.

Windows 95 koennte Ende von Apple beschleunigen

In der Branche kursieren Informationen, wonach Apple Bestellungen fuer Rechner im Wert von einer Milliarde Dollar angesammelt hat, aber nicht liefern kann. Ginge man beispielsweise von einem Durchschnittspreis pro Mac-System von 2700 bis 3000 Dollar aus, so entspraeche dies rund 355000 nicht ausgelieferten Systemen - fast eine Quartalsproduktion.

Nun schieben sich die Beteiligten gegenseitig den Schwarzen Peter zu: Apple-Chef Spindler behauptet, die Prozessorschmieden IBM und Motorola lieferten nicht genug Power-PC-Chips. Die beiden Chipproduzenten entgegnen, Apple habe nicht rechtzeitig eine ausreichende Zahl geordert.

Ein PC-Hersteller, der nicht genannt werden wollte, bestaetigte gegenueber der COMPUTERWOCHE indirekt die Apple-Version: Die Power- PC-Produktionskapazitaeten sowohl der IBM als auch von Motorola seien naemlich alles andere als befriedigend. Der als sogenannte Yield-Rate angegebene Ausstoss funktionstuechtiger Prozessoren pro Wafer betrage bei der IBM unter drei Prozent, bei Motorola weniger als ein Prozent.

Wuerde diese Aussage stimmen, muesste sich Hauptabnehmer Apple die wenigen Power-PC-Chips "601", "603", "603e" und zukuenftig auch "604" mit Big Blue, Motorola und Unternehmen wie Parsytec sowie Apple-Clonern wie Power Computing, Canon, Radius, Pioneer Electronic und dem taiwanischen New PC Consortium teilen.

Sowohl die IBM als auch Motorola beeilten sich, die Angaben zu der Yield-Rate zu dementieren. Beide wollten allerdings auch keine Angaben ueber zutreffende Zahlen machen. Marketing-Manager Tobias Thuemmler von Motorola sagte: "Die Zahlen stimmen definitiv nicht." Sei erst einmal die Massenproduktion von Prozessoren angelaufen, liege die Yield-Rate bei 70 bis 90 Prozent. In Mengen wuerden bislang der 601-, der 603- und der 603e-Prozessor gefertigt.

IBM-Sprecher Albrecht Brenner moechte sich wie sein Kollege zu den Yield-Rates bei Power-PC-CPUs nicht aeussern. Die kolportierten drei beziehungsweise ein Prozent erscheinen ihm aber "gefuehlsmaessig, aus dem Bauch heraus gesprochen, etwas wenig".

Ob die Malaise nun durch nicht verfuegbare Prozessoren oder den Mangel an anderen Komponenten verursacht ist, duerfte potentiellen Apple-Kunden und Aktionaeren allerdings egal sein. Mit den schwindenden Marktanteilen wird die Apple-Plattform vor allem fuer Software-Entwickler immer unattraktiver. Geht zudem der Run auf Windows 95 erst einmal richtig los, so dass sich immer mehr Softwarefirmen auf Anwendungen fuer das Microsoft-Betriebssystem konzentrieren, dann koennte dies das Ende von Apple als selbstaendiger Firma beschleunigen.