Web-Industrie

Berlin ist für Startups der Himmel auf Erden

06.11.2013
Von Michael Kroker

Berlins Startup-Netzwerk

Je nachdem, ob man etwa IT- und Biotech-Unternehmen mitzählt, hat das Startup-Biotop mittlerweile zwischen 10.000 und 50.000 Jobs in Berlin geschaffen. "Berlin ist praktisch selbst wie ein Startup - oder wie ein großer Brutkasten, der ständig neue Ideen gebiert", sagt Roberto Bonanzinga, Partner beim im London ansässigen Wagnisfinanzierer Balderton Capital, einem der größten europäischen Investoren, der zum Beispiel am Berliner Spieleentwickler Wooga beteiligt ist. "Das ist eine perfekte Umgebung für Startups."

Und so sorgt der riesige Inkubator Berlin dafür, dass die Maschen des Startup-Netzwerks von Tag zu Tag dichter werden. Inzwischen gibt es erste Multi-Gründer wie den 44-jährigen Schweizer Christophe Maire, die Geld aus Firmenverkäufen wieder zurück an die Spree pumpen. Maire hat sein 1999 gegründetes Unternehmen für Navigationssoftware, Gate 5, im Jahr 2006 für geschätzt 250 Millionen Dollar an Nokia verkauft.

2008 hob er das Unternehmen Txtr aus der Taufe, das sich nun nach einem Strategieschwenk auf E-Book-Software und virtuelle Bücher-Shops im Internet spezialisiert. Parallel arbeitet Maire inzwischen auch als Business Angel. Das heißt, er steuert Geld und Know-how bei und hat privat sowie als Partner beim Risikokapitalgeber Atlantic Ventures in diverse Berliner Startups investiert. "So entsteht langsam die Basis für ein nachhaltiges Firmen-Ökosystem", sagt Maire über Berlin.

Firmengründer aus aller Welt

"Die Startup-Szene in Berlin sucht zumindest in Kontinentaleuropa ihresgleichen", sagt auch Klaus Hommels. Der 45-Jährige operiert von Zürich aus und hat in der Vergangenheit bereits gutes Gespür bewiesen. Er investierte frühzeitig in den Internet-Telefondienst Skype, der heute zum US-Software-Riesen Microsoft gehört, sowie in das Business-Netzwerk Xing. In Berlin hat Hommels aktuell unter anderem Geld in den Online-Portal-Betreiber Global Leads Group gesteckt.

Im Vergleich zu den USA mangelt es nach Hommels Meinung dem Berliner Internet-Schmelztiegel vor allem noch an Kapital. Aber auch das ändert sich langsam: Ende Juni hat die australische Investmentbank Macquarie zusammen mit den Altgesellschaftern 15 Millionen Euro in den Online-Essensbestellservice Lieferando investiert. Und Anfang dieses Jahres machte die US-Investmentgesellschaft Kleiner Perkins Caufield & Byers Millionen für das Musik-Startup Soundcloud locker. Soundcloud hat eine App für das Musikhören per Internet-Stream am PC und Smartphone entwickelt.

Soundcloud und Gidsy

Soundcloud ist eines der vielen Positiv-Beispiele aus der Berliner Gründerszene. Statt nach London oder ins Silicon Valley zogen die beiden Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforrs bei der Gründung vor fünf Jahren an die Spree. "Einer der Gründe, warum wir Soundcloud in Berlin gestartet haben, war die dortige Musikszene", sagt Ljung. "Am Anfang haben wir praktisch jedes Wochenende ausgiebig das Berliner Clubleben genossen - nicht nur aus Spaß, sondern als perfekte Marketingmethode für Soundcloud."

So befruchten sich die verschiedenen Mitglieder der Berliner Szene - Gründer und Investoren, aber auch Musiker und Künstler - gegenseitig. Die Stadt ist hip, kreativ und international. Damit bietet sie einen Nährboden für Firmengründer aus aller Welt. Das sieht auch der Niederländer Edial Dekker so, Gründer des Internet-Neulings Gidsy, in den Hollywood-Mime Kutcher Teile seiner Gage gesteckt hat. Gidsy ist ein Online-Reiseführer mit angeschlossenem Internet-Marktplatz für spezielle Dienstleistungen, etwa Weinproben.

Dekker sitzt mit seinem Team von elf Leuten unter dem Dach einer Fabriketage in Kreuzberg nahe dem Kottbusser Tor - in "Silicon Kotty", wie Dekker die Gegend wegen ihrer Startup-Dichte nennt. "Berlin ist günstig, verändert sich ständig, zieht kreative Leute an und es gibt kein Establishment", sagt der 27-Jährige. Entsprechend unkonventionell hat er offenbar Kutcher als Investor gewonnen. "Ich habe ihm Passwort und Benutzername von Gidsy per E-Mail geschickt, damit er’s ausprobieren kann", erzählt Dekker.

Der Brutkasten für Internet-Start-ups

Geschwindigkeit, Zusammenarbeit und Kreativität sind das Markenzeichen der Region rund um Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte und Kreuzberg. Einen der Antriebsmotoren nennt Florian Heinemann, Geschäftsführer des vom Otto-Konzern finanzierten Inkubators Project-A Ventures: "In Berlin", sagt Heinemann, "gibt es so etwas wie die Jamba-Mafia." Damit spielt Heinemann an auf die sogenannte Paypal-Mafia in den USA.

So nennt die Internet-Szene ironisch die Gründer des gleichnamigen Online-Bezahldienstes, zu ihnen gehören der Deutsche Peter Thiel und der Amerikaner Reid Hoffman. Sie steckten nach dem Verkauf von Paypal an das Online-Handelsportal Ebay für rund 1,5 Milliarden Dollar 2002 ihr Geld in weitere Neugründungen; Hoffman finanzierte zum Beispiel das inzwischen börsennotierte Karrierenetzwerk LinkedIn.

Analog dazu repräsentiert die Jamba-Mafia in Berlin ein Netzwerk aus Managern und Gründern, die ebenfalls Kasse gemacht haben und nun Geld und Know-how in die Berliner Internet-Maschine stecken. Im Zentrum stehen die drei Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer, die mit dem 2000 gegründeten Klingeltonanbieter Jamba Sporen und Geld verdient haben. 2004 verscherbelten die Samwers Jamba für 223 Millionen Euro an den US-Technologiekonzern Verisign.

Der Deal hatte Folgen. In den Jahren danach verließen diverse Mitarbeiter Jamba und wurden Gründer und Manager in Berlin. Zu ihnen zählen Project-A-Mann Heinemann, Wooga-Gründer Jens Begemann, die Toptarif-Gründer Thorsten und Ingo Bohg sowie der heutige Immoscout-Geschäftsführer Dirk Hoffmann.